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VertragsarztrechtÄrztlicher Leiter muss nicht in MVZ-Filiale tätig sein

02.01.2025Ausgabe 1/20254min. Lesedauer
Von Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht Dr. Christina Thissen, Münster, voss-medizinrecht.de

Die Zahl der radiologischen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) wächst stetig. Kleinere Praxisstandorte werden dabei häufig als Filiale an ein MVZ mit einem größeren Hauptstandort angebunden, also nicht als rechtlich eigenständiges MVZ geführt. Dies gilt insbesondere, wenn Einzelpraxen von einem MVZ aufgekauft werden und der ursprüngliche Praxisstandort unter Anstellung des früheren Praxisinhabers aufrechterhalten werden soll (sogenannte Versorgerfiliale). Jedes MVZ muss dabei über einen eigenen ärztlichen Leiter verfügen. Das Sozialgericht (SG) München hat sich mit der Fragestellung auseinandergesetzt, ob der ärztliche Leiter eines MVZ auch an den jeweiligen Filialstandorten in bestimmtem Umfang vor Ort tätig sein muss (Urteil vom 11.07.2024, Az. S 28 KA 95/22).

Sachverhalt

Das klagende MVZ beantragte im streitgegenständlichen Fall bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) die Genehmigung zum Betrieb einer vom Hauptstandort 85 Kilometer entfernten Filiale. Die Inhaberin der früheren dortigen Einzelpraxis sollte in der Filiale nun angestellt tätig werden. Die KVB sah in der beantragten Filiale sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Verbesserung der Patientenversorgung im Sinne des maßgeblichen § 24 Abs. 3 S. 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) und erteilte die beantragte Genehmigung. Diese wurde allerdings mit der Auflage versehen, dass der ärztliche Leiter des MVZ an mindestens zwei Werktagen ebenfalls vor Ort in der Filiale tätig werden müsse, und zwar zeitlich in einem solchen Umfang, dass eine Beurteilung über das Verhalten der Mitarbeiter aus eigener Anschauung möglich sei.

Nach erfolglosem Widerspruch erhob das MVZ Klage gegen die Auflage beim SG München.

KVB verweist auf BSG-Urteil: Verantwortung bei ärztlicher Leitung

Die KVB argumentierte im Verfahren, dass die Auflage auf § 95 Abs. 1 S. 3, 1. Hs SGB V und der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14.12.2011 (Az. B 6 KA 33/10) beruhe, wonach die ärztliche Leitung des MVZ die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der KV übernehmen müsse. Nach Ansicht der KVB erfordere die Wahrnehmung von Leitungsfunktionen und die dazu notwendige tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit ärztliche Präsenz. Die Einwirkungsmöglichkeiten seien wiederum nur dann hinreichend, wenn der Arzt selbst in die Arbeitsabläufe eingebunden sei und aus eigener Anschauung das Verhalten der Mitarbeiter beurteilen könne. Da der ärztliche Leiter vorliegend fachidentisch mit der angestellten Ärztin in der Filiale sei, bestünde die Möglichkeit, ihn in die Abläufe am Standort zu migrieren, um sich vor Ort ein Bild von der eingesetzten Ärztin zu machen.

Auflage aufgrund der „zu großen“ räumlichen Entfernung

Der ärztliche Leiter müsse in der Lage sein, bei Problemen im Betriebsablauf der Filiale unmittelbar korrigierend eingreifen zu können. Es sei daher erforderlich, dass dieser auch sehr kurzfristig die entsprechende Filiale aufsuchen könne. Die hier vorliegende große Entfernung sei mit der BSG-Rechtsprechung zur tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit nicht in Einklang zu bringen. Es habe einer Abwägung der räumlichen Distanz und der besonderen Verantwortung des ärztlichen Leiters in einem MVZ bedurft, die die Erteilung einer Anwesenheitsauflage notwendig gemacht habe. Die vorliegende Auflage sei geeignet, erforderlich und angemessen, um die Einbindung des ärztlichen Leiters in die Betriebsabläufe zu gewährleisten. Es handele sich bei der „Auflage“ um eine Definition des Inhalts der Genehmigung und nicht um eine von der Genehmigung abkoppelbare zusätzliche Regelung, sodass diese auch nicht isoliert Gegenstand einer Klage sein könne.

Entscheidungsgründe

Das SG München ließ diese Argumentation nicht gelten und gab dem klagenden MVZ recht. Das MVZ habe gem. § 24 Abs. 3 S. 6 Ärzte-ZV einen Anspruch auf auflagenfreie Genehmigung der beantragten Filialgenehmigung. Die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung lägen sowohl aufgrund der qualitativen als auch der quantitativen Versorgungsverbesserung am geplanten Filialstandort vor.

Richter pochen auf einheitliche Regelungen

Die Genehmigung könne gem. § 24 Abs. 4 S. 1 Ärzte-ZV zwar grundsätzlich mit Nebenbestimmungen versehen werden, wenn dies zur Sicherung der Erfüllung der Versorgungsverpflichtung des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz und an den anderen Standorten unter Berücksichtigung angestellter Ärzte erforderlich sei. Nähere Regelungen hierzu seien wegen § 24 Abs. 4 S. 2 Ärzte-ZV aber einheitlich in den Bundesmantelverträgen (BMV) zu treffen. Bis zum heutigen Tag sei in dem Zusammenhang im BMV-Ärzte aber lediglich eine zeitliche Beschränkung für die Aufteilung vertragsärztlicher Tätigkeit an mehreren Standorten aufgenommen worden.

Darüber hinaus lägen keine einschränkenden Regelungen für die Tätigkeit von MVZ an weiteren Standorten und insbesondere keine Vorschrift zur Frage der Präsenz der ärztlichen Leitung in einer Filiale vor. Es sei nicht Aufgabe der KVen, im Rahmen von Auflagen Regelungen zu treffen, die dem Zuständigkeitsbereich der Partner der Bundesmantelverträge vorbehalten seien.

Klage war auch zulässig

Es handele sich bei der Auflage auch nur um eine Neben- und keine Inhaltsbestimmung, sodass das MVZ hiergegen auch isoliert klagen könne, ohne die Genehmigung als solches zur Disposition zu stellen. Entsprechend hat das Gericht der Klage stattgegeben, sodass das MVZ die Filiale betreiben kann, ohne dass der ärztliche Leiter in bestimmtem Umfang vor Ort eingesetzt wird. Die Auflage wurde ersatzlos gestrichen.

Fazit

Das Urteil weist die KVen in ihre Kompetenzschranken. Es gibt den MVZ den räumlichen und organisatorischen Spielraum, den es insbesondere im ländlicheren Raum bedarf, um trotz ärztlichen Personalmangels kleinere Versorgungseinheiten vor Ort in größerer Distanz zum Hauptstandort aufrechterhalten zu können.
Es bleibt zu hoffen, dass die Partner der Bundesmangelverträge keinen Handlungsbedarf sehen und der Einsatz des ärztlichen Leiters in der Filiale auch weiterhin keinen zeitlichen Vorgaben unterliegt.

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