Interview„Mit der Vernetzung radiologischer Institute bergen wir ein riesiges Wissenspotenzial!“
Vivantes in Berlin ist Deutschlands größter kommunaler Krankenhauskonzern mit neun Krankenhäusern. Dort wurden im Jahr 2023 laut Geschäftsbericht 188.280 stationäre Fälle behandelt. Dr. Anna Magdalena Zielke ist seit dem 01.01.2025 Chefärztin am Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie am Vivantes Klinikum Kaulsdorf. Zudem ist sie Leitende Oberärztin der Institute im Klinikum im Friedrichshain und im Klinikum Am Urban. Sie hat sich vorgenommen, die Zusammenarbeit in der Radiologie über die Standorte hinaus weiter zu vereinigen und damit zu stärken. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte sie nach diesen Plänen.
Redaktion: Sie sind seit 2007 bei Vivantes beschäftigt. Das sind fast 20 Jahre, in denen die Digitalisierung rasante Fortschritte gemacht hat. Wie dachte man damals in der Radiologie über Zusammenarbeit?
Dr. Zielke: Ich kam als junge Assistenzärztin an den Standort in Friedrichshain. Ärzte und MTR waren dort wie eine Familie, deren Mitglieder sich zum Teil schon aus DDR-Zeiten kannten. Ich wurde in diese Familie aufgenommen wie in ein zweites Zuhause. Obwohl wir bereits damals einen Chefarzt hatten, dem zwei Standorte unterstanden, fühlte sich kaum jemand für den anderen Standort im Klinikum Am Urban verantwortlich. Man traf sich auf Weihnachtsfeiern, schaute jedoch sonst nicht über den Tellerrand hinaus.
Redaktion: Was hat den Wandel eingeleitet?
Dr. Zielke: Gegen Ende meiner Assistenzarztzeit rotierte ich ans Klinikum Am Urban in Kreuzberg, weil sich eine Karriereperspektive eröffnet hatte. Nach meiner Facharztprüfung wurde ich dort Oberärztin. Um im Bild zu bleiben: Ich kam aus einer alten in eine neue Familie, hatte Kontakte zu beiden. Da es am Standort „Am Urban“ kein MRT gab, arbeitete ich einen Tag pro Woche in Friedrichshain. Ein weiterer Kollege folgte mit diesem Modell. Es wurde gang und gäbe, dass Assistenzärzte rotierten. Mit mir begann der Austausch auf Oberarztebene. Wir konnten Personal gegenseitig fördern und die eigenen Leute standortübergreifend entwickeln. Das ist bei der Suche nach gutem Personal viel Erfolg versprechender, als sich auf Bewerbungsunterlagen von außen zu verlassen. Auch heute wissen wir bei unseren Assistenzärzten, woran wir sind. Die Katze im Sack zu kaufen, bleibt uns erspart.
Redaktion: Wie wurde diese persönliche Vernetzung technisch begleitet?
Dr. Zielke: Vivantes ist sehr fortschrittlich. Als ich anfing, wurde das digitale Archiv eingeführt. Innerhalb von zwei Jahren verschwanden die Papiertüten, in denen Patienten Röntgenbilder mit sich herumtrugen. Aus Datenschutzgründen ist nicht allen Kliniken der Zugriff auf alle Patientenbilder zugänglich, aber die radiologischen Institute können Bilder an allen Standorten gegenseitig einsehen. Ich habe sofort damit begonnen, auch Kollegen in Friedrichshain anzurufen, wenn ich eine Frage hatte: „Kannst Du mal auf dieses Bild gucken?“
Heute haben wir digitale Möglichkeiten, die sich seit 2007 um Lichtjahre weiterentwickelt haben. Auf Bilder, die im Langzeitarchiv gespeichert sind, warten wir nur wenige Sekunden. Wir können zum Beispiel am CT-Gerät Knotenpunkte zu den Archiven anderer Standorte einrichten. Im Klinikum Kaulsdorf arbeiten wir nachts seit vielen Jahren telemedizinisch, weil nicht jedes Haus rund um die Uhr einen Radiologen vorhalten kann. Früher musste ich nach einer Herzuntersuchung am CT die Gefäße einzeln mit der Maus verfolgen. Jetzt macht die KI das im Hintergrund, noch bevor ich den Datensatz des Patienten öffne.
Redaktion: Was sind die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser standortübergreifenden Zusammenarbeit? Birgt sie Sparpotenzial?
Dr. Zielke: Röntgen, MRT und CT brauchen wir an allen neun Standorten. Doch wie wir früher den Toilettensitz für eine Defäkografie von einem Ort zum anderen gefahren haben, machen wir es heute mit dem Gerät zur Mikrowellenablation. Das ist viel wirtschaftlicher, als mehrere Geräte anzuschaffen. Umgekehrt kann auch ein Patient per Krankentransport zu einem spezialisierten Radiologen gefahren werden. Es ist günstiger, ein Kind vom Klinikum Am Urban zum Kinderradiologen nach Neukölln zu schicken, als an jedem Haus einen Spezialisten vorzuhalten oder die Diagnostik gar nicht anzubieten. Für die Radiologie steckt ein wahnsinniges Wissenspotenzial in diesen neun Kliniken. Gerade die pädiatrische Radiologie ist eine Subspezialisierung, von der ich mir erhoffe, dass wir in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Wir sind prädisponiert für einen Kinderradiologen, der fest an einem Standort sitzt, aber für alle anderen befundet. Was kardiale Bildgebung betrifft, bin ich wohl die am weitesten ausgebildete Radiologin. Kollegen rufen mich bereits an, doch es dürfen mehr werden. Denn eine Subspezialisierung dauert so lange, da sollten wir das Potenzial gegenseitig ausschöpfen. Niemand kann alle Fächer beherrschen.
Redaktion: Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt und das Berufsbild?
Dr. Zielke: Man macht sich als Arbeitgeber attraktiver, wenn Radiologen vor allem in ihrem Fachgebiet ausgelastet werden können. Wir hatten beispielsweise für Friedrichshain schon Bewerbungen von Kinderradiologen. Die sind nicht begeistert, wenn sie erfahren, dass sie auch andere Patienten befunden müssen. Auch ist eine Klinik für die Weiterbildung von Assistenz- und Fachärzten attraktiver, wenn das spezialisierte Arbeiten möglich ist. Neuroradiologen sollen beispielsweise für ihre Spezialisierung zwei Jahre in der Neuroradiologie verbringen. Bei uns müssen sie alles andere auch abdecken. Wir haben zwar ein Institut für Neuroradiologie, doch ist es zu klein, um alle dorthin rotieren zu lassen. Besser wäre, Neuroradiologen in mehreren Häusern, aber nur in ihrem Fach einzusetzen. Um das zu erreichen, müssen wir als Chefärzte Vorbild sein. Ich hoffe, dass der Austausch zum „neuen Normal“ wird. Der Geist ist bereits da, nun muss er wachsen.
Redaktion: Was ist der nächste Schritt für eine weitere Vernetzung?
Dr. Zielke: Zeitnah haben wir ein großes Problem, MTRs zu bekommen. Deshalb kaufen wir derzeit bei allen neuen Geräten die Applikation für den remote Zugriff auf die Scanner-Oberfläche hinzu. Gerade am MRT reicht ein PJler, eine MFA oder eine studentische Hilfskraft, um den Patienten zu platzieren. Die Hersteller von MRT-Geräten bieten an, MTR stundenweise remote zu vermieten. Wenn es mit dem MTR-Mangel so weitergeht, werden wir darauf zurückgreifen.
Redaktion: Sie haben zu Ihrer Chefarztposition in Kaulsdorf zwei weitere Führungspositionen als Leitende Oberärztin in Friedrichshain und Am Urban. Wie gestaltet sich Ihre Arbeit angesichts der Vernetzung praktisch?
Dr. Zielke: Sehr selten besuche ich alle drei Standorte an einem Tag. Häufig bin ich an zwei Standorten. Das hat jedoch weniger mit meiner Kerntätigkeit als Radiologin zu tun als mit Managementaufgaben. Heute sitze ich in Kaulsdorf, mein erster Patient heute Morgen war in Friedrichshain. Doch für Mitarbeitergespräche fahre ich los. Sie sind im persönlichen Rahmen deutlich wertschätzender als bei einer Videokonferenz – die im Notfall sicher auch ginge. Auch Chefarztkonferenzen führen wir gerne im persönlichen Gespräch. Manchmal überreiche ich auch einen Blumenstrauß zum Geburtstag eines Mitarbeitenden.
Redaktion: Zusätzlich sind Sie zweite Vorsitzende der Röntgenvereinigung zu Berlin und Brandenburg e. V. Wie steht es dort mit der Vernetzung?
Dr. Zielke: Es ist die älteste radiologische Vereinigung Deutschlands. Und es war immer gute Tradition, dass Vorsitzender und Stellvertreter jeweils für zwei Jahre entweder von der Charité oder einem großen kommunalen Anbieter wie Vivantes oder DRK kamen. Als Vivantes den Vorsitz hatte, war ich zwei Jahre Stellvertreterin und wollte das Amt eigentlich abgeben. Doch aus der Radiologie der Charité rief PD Dr. Torsten Diekhoff an, ob wir nicht mit der Tradition brechen und den Vorsitz gemeinsam übernehmen wollten. Das war so nett, dass ich nicht Nein sagen konnte. Das gemischte Doppel aus Charité und Vivantes hat das Verhältnis der jüngeren Kollegen aus den unterschiedlichen Berliner Häusern gefördert. Sollte unsere Spezialistin für muskuloskelettale Bildgebung im Urlaub sein und ich eine Frage haben, würde ich mich nicht scheuen, Dr. Diekhoff anzurufen. So ein Austausch über die Häuser hinweg wäre in der Generation vor uns noch schwer denkbar gewesen.
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