Interview„Chefärzte der Radiologie erkennen die Chancen der Ambulantisierung nur selten!“
„Radiologie 2024 – die Zukunft ist ambulant“ – so lautete der Titel des Vortrags von Ursula Klinger-Schindler, Geschäftsführerin der AmPAC-Consulting GmbH & Co. KG, beim Röko 2024. Das Beratungsunternehmen AmPAC unterstützt Krankenhäuser bei ihrer Ambulanzstrategie. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte, was das für die Radiologie bedeutet.
Redaktion: Lassen Sie uns zu Beginn die aktuelle Entwicklung zusammenfassen. Aus welchen Gründen steht der Radiologie die zunehmende Ambulantisierung bevor?
Frau Klinger-Schindler: Um Kosten zu reduzieren und die Krankenversicherungsbeiträge stabil zu halten, will der Gesetzgeber mehr ambulante Strukturen. Dazu zählen das medizinische Versorgungszentrum (MVZ), die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach §116b SGV V, das ambulante Operieren nach §115b SGB V und die Notaufnahme. Der Medizinische Dienst (MD) der Krankenkassen weist bereits heute viele stationäre Fälle zurück. Sie müssen ambulant abgerechnet werden. Es stellt sich also gar nicht die Frage, ob ein Krankenhaus ambulantisieren kann oder will. Es bleibt ihm keine andere Wahl. Obwohl sich im ambulanten Setting schon viel getan hat, wissen viele radiologische Chefärzte nicht, welche Möglichkeiten sie mit ambulanten Operationen und der ASV haben. Sie denken, dass sie nur an den stationären Fällen etwas verdienen. Doch das ist ein Trugschluss.
Redaktion: Warum?
Frau Klinger-Schindler: Statt Chirurgen um ein Konzept zur Ambulantisierung zu bitten, denken Chefärzte der Radiologie zu häufig, dass nur stationär erbrachte Leistungen Umsatz bringen. Der Radiologe hat ja keine eigenen stationären Betten, er erbringt konsiliarische Aufträge der Fachabteilungen. Da liegt der Trugschluss. Viele Klinikärzte und -verwaltungen wissen nicht, was sie ambulant in welcher Behandlungsart erbringen können. Unklar ist, dass sie Sachkosten und Kontrastmittel zusätzlich zur ambulanten Leistung abrechnen können. Wir haben sogar schon ein Haus beraten, das 300 CTs nicht abzurechnen wusste, weil die CTs von der Notaufnahme angefordert worden waren. Die radiologische Abteilung argumentierte, dass sie keine ambulante Abrechnungsstruktur habe. Ein Fehler, denn die ambulanten Erlöse sind immerhin attraktiver als keine Erlöse. Weil Chefärzte das nicht wissen, lehnen sie z. B. ambulante radiologische Leistungen mit der Begründung ab, dafür fehle die Zeit. Das ist Falschdenken, denn das Patientengut ist doch das gleiche.
Redaktion: Also kurz zusammengefasst: Was bedeutet die Abrechnung nach EBM für die Kliniken?
Frau Klinger-Schindler: Die DRG dreht sich um. Sachkosten, einzelne Leistungen, Überweisungsmöglichkeiten vom Labor, der Radiologie und der Pathologie müssen nach Einzelleistungen berechnet werden. Patientenpfade müssen teilweise völlig neu abgebildet werden. Es ist zwischen gelbem, weißem und rotem Schein zu unterscheiden.
Redaktion: Wer ambulant behandelt, lässt aber Betten leer stehen. Das ist doch ein großer Kostenfaktor.
Frau Klinger-Schindler: Grundsätzlich gilt im Stationären, dass bei einem guten Case-Mix Betten für diejenigen Patienten genutzt werden, die länger bleiben und einen guten Erlös erbringen. Einfache Fälle müssen hingegen ambulant behandelt werden. Die Technik für radiologische Interventionen ist bereits da, der Patient geht nach sechs Stunden wieder nach Hause. Für Häuser, die Slots für ambulante Patienten freihalten, entsteht eine Win-win-Situation. Einerseits sind ihre Betten mit schwierigen Fällen belegt, andererseits rechnet es sich, einen Radiologen einzustellen, der nur ambulant arbeitet. Ziel der Strategie kann auch sein, dem Pflegekräftemangel entgegenzuwirken sowie Kompetenz und Wissen zu bündeln.
Redaktion: Welche Schritte sollte eine Ambulanzstrategie beinhalten?
Frau Klinger-Schindler: Ambulanzen sollten sich immer am stationären Portfolio orientieren. Für die Radiologie könnte sich ein MVZ anbieten. Dann ist ein Facharztpool mit hoher Qualifikation nötig. Wichtig für eine Entscheidung für oder gegen ein MVZ ist auch, die Einnahmen im Voraus zu berechnen. Eine Kalkulation ohne das nötige Wissen zu EBM-Leistungen ist nicht sinnvoll. Wird die ambulante Leistung hingegen in der Klinik erbracht, ist die Voraussetzung für diese Entscheidung, dass mit dem Chefarzt ein ambulanter Leistungskatalog abgestimmt wird, der für die EBM-Abrechnung nebst Sachkosten und Kontrastmittelkosten hinterlegt wird. Gilt hingegen der Leistungskatalog bei ambulanter Leistungserbringung für die stationäre Behandlung, wird nach GOÄ-Pauschalen abgerechnet. Dann kann es passieren, dass die Klinik einen erhöhten Satz an den Radiologen ausbezahlen muss. Das ist nicht im Sinne der Ambulantisierung. Man muss also über die unterschiedlichen Honorare reden.
Redaktion: Das zu den Finanzen. Was gehört noch zum Konzept?
Frau Klinger-Schindler: Es reicht nicht, einfach ein CT einzurichten und einen Radiologen einzustellen. Notwendig ist ein Konzept, das Ausstattung, Überweisungsformen, ein elektronisches Terminsystem, Marketing und Qualifikation der Mitarbeitenden berücksichtigt. Es führt nicht zum Erfolg, Medizinische Technolog/innen für Radiologie (MTR) einzustellen, die nur den Krankenhausbetrieb kennen. In einem MVZ arbeitet es sich ganz anders. Auch gehört ins Konzept, welche Patienten behandelt werden sollen. Niedergelassene Radiologen sind in vielen KV-Regionen wirtschaftlich gesund, weil sie gut organisiert sind und die richtigen Konzepte haben. Manche versorgen sogar die radiologische Leistung der Krankenhäuser mit.
Redaktion: Wo liegen besondere Hürden für die Krankenhäuser?
Frau Klinger-Schindler: Es mangelt an vielem, etwa bei der Digitalisierung. Da Patientenakten z. B. nicht digital vorliegen, gehen Informationen verloren. Das erhöht das Risiko von Komplikationen. Statt Zeit für die Pflege am Patienten aufzuwenden, gibt es doppelte und dreifache Dokumentationsstrukturen. Hohe Datenschutzhürden verhindern ein gutes Datenmanagement. Personal ist schlecht in Krankenhausinformationssysteme (KIS) eingearbeitet. Ambulante und stationäre Strukturen doppeln sich, die gesetzlichen Vertragsstrukturen für die Ambulantisierung sind komplex. Es fehlen Wissen und Personal zur Abrechnung nach EBM. Auch beim Controlling, das mindestens einmal pro Quartal stattfinden sollte, fehlen Strukturen. Zudem bildet sich der sehr hohe Innovationsstandard in der Radiologie in den ambulanten Vergütungsstrukturen nicht ausreichend ab. Die letzte EBM-Reform in der Radiologie war 2005.
Redaktion: Was ließe sich z. B. bei der Digitalisierung tun? Welche zusätzlichen Softwaremodule sind für einen optimalen Abrechnungsprozess notwendig?
Frau Klinger-Schindler: Alles, was die Niedergelassenen schon seit vielen Jahren machen, müsste auch in den Krankenhäusern geschehen. Ein einfaches Beispiel ist das automatisierte Terminsystem in den Niederlassungen. Der Patient sucht sich online einen Standort aus und bucht in wenigen Minuten einen Termin. Sofort erhält er per E-Mail den Aufklärungsbogen und die Patienteninformation, die er unterschreiben muss. Der Patient kann sogar Vorbefunde hochladen. In den Klinken wird hingegen noch viel telefoniert. Die Station ruft in der Radiologie an, vereinbart den Termin und telefoniert anschließend hinter dem Patienten her, um den Termin zu kommunizieren. Auch nachdem der Befund vorliegt, sind die Niedergelassenen besser aufgestellt. Der Patient erhält einen QR-Code und hat den Befund und die Bilder 20 Minuten nach der Untersuchung auf dem Handy. Das ist in Kliniken oftmals völlig unvorstellbar.
Weitere Softwaremodule sind nötig, um Leistungen standardisiert zu erfassen. Es müsste eine Plausibilisierung mittels Kl stattfinden. Mithilfe einer ambulanten Codiersoftware müsste jede Leistung automatisch im System erfasst werden können, inklusive der Sachkosten und leistungsortabhängig. Telemedizinische und teleradiologische Konzepte müssen ausgebaut werden. So könnten MTR in Altenheimen Thorax-Röntgenuntersuchungen leisten. Weil diese Tools fehlen, werden Leistungen zu stationären Bedingungen erbracht. Das macht sie zu teuer.
Redaktion: Was bedeutet die Ambulantisierung der Radiologie für die bereits niedergelassenen Kollegen?
Frau Klinger-Schindler: Sie denken marktwirtschaftlicher und profitieren von den Versäumnissen der Kliniken. Sie bekommen die Zulassung der ASV leichter als Klinikchefärzte, die ihre stationären Strukturen beibehalten möchten. Weil niedergelassene Radiologen die Leistung kostengünstiger anbieten können, vernetzen sie sich zunehmend besser mit Kliniken und übernehmen outgesourcte Bereiche. Die Kliniken hingegen müssen mit attraktiven Facharztkonzepten dafür sorgen, gut ausgebildete Radiologen nicht an die Niederlassungen zu verlieren. Ohne diese qualifizierten Radiologen wird die Ambulantisierung unmöglich. L
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