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Interview„Mit einem Niederfeld-MRT lässt sich eine radiologische Praxis energieautark betreiben!“

30.08.2021Ausgabe 9/20216min. Lesedauer

Das Unternehmerportal „Die Deutsche Wirtschaft“ (DDW) zeichnete im Jahr 2020 die radiologische Praxis GreenScan aus dem Siegerland als Innovator des Jahres aus. Allein das ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist die Innovation, um die es geht: GreenScan arbeitet mit einer Technik aus den 1980er Jahren, dem Niederfeld-MRT. Betrieben wird es mit Solarstrom aus einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach der Praxis. Prof. Dr. Hans-Martin Klein ist Facharzt für Radiologie und geschäftsführender Gesellschafter der GreenScan GmbH. Mit Ursula Katthöfer (textwiese.com) sprach er über die Renaissance der Niederfeldtechnik.

Redaktion: Forschungseinrichtungen rühmen sich ihrer 7-Tesla MRTs. Sie antworten mit einem Niederfeld-MRT, dessen Feldstärke unter 0,5 Tesla liegt. Warum?

Prof. Dr. Klein: Manchmal kann weniger mehr sein. Das Augenmerk der klinischen MRT-Forschung wie auch der industriellen Entwicklung liegt seit vielen Jahren am oberen Ende der Feldstärke-Skala. Das ist historisch bedingt. Bis in die 80er Jahre standen mit den Permanentmagneten und den klassischen resistiven Elektromagneten zwei Magnettechniken zur Verfügung, die sinnvoll nur Feldstärken bis 0,5 Tesla erlaubten. Ab Mitte der 80er wurden heliumgekühlte Supraleiter eingeführt, die höhere Feldstärken erzeugen konnten. Da eine Verdoppelung der Feldstärke das nutzbare Signal-zu-Rausch-Verhältnis etwa um 40 Prozent erhöht, war der hohe technische Aufwand gerechtfertigt. Feldstärke wurde zum Synonym für Qualität – wobei 1,5 Tesla der Standard wurde und bis heute ist.

Doch mittlerweile sind ganz neue technische Möglichkeiten verfügbar, um die Bildqualität zu verbessern: Mehrkanalspulen, bessere digitale Signal- und Bildverarbeitung, Compressed Sensing oder Deep-Learning basierte Bildrekonstruktion. Diese Verfahren ermöglichen ganz neue Qualitäten, auch bei geringerer Feldstärke.

Redaktion: Wo liegen die technischen Vorteile bei geringerer Feldstärke?

Prof. Dr. Klein: Das augenfälligste Argument sind immer noch andere, offenere Magnetgeometrien. Das ist für Patienten mit Platzangst ein großer Vorteil. Die T1-Zeit ist kürzer, der T1-Gewebekontrast besser. Der Einfluss von Magnetisierbarkeitsunterschieden des Gewebes, die Suszeptibilität, sinkt mit der Feldstärke. Das bedeutet weniger Metallartefakte und bessere Bildqualität, z. B. bei Diffusionssequenzen an der Schädelbasis. Dielektrische Effekte sind geringer, was zur Verbesserung der HF-Homogenität (B1-Feld) führt. Bei geringerer Frequenz und größerer Wellenlänge ist die Durchdringungsfähigkeit der HF-Strahlung besser. Das führt zu erstaunlich guter Bildqualität bei Abdomen-Untersuchungen. Eine Arbeitsgruppe des National Institutes of Health (NIH) in den USA berichtet aktuell sogar über Lungendiagnostik bei COVID-19-Patienten mit einem 0,55 T MRT.

Redaktion: Nachhaltigkeit ist das große Thema unserer Zeit. Wo liegen die Vorteile in Bezug auf Klima- und Umweltschutz sowie bei der Patientensicherheit?

Prof. Dr. Klein: Wenn Permanentmagneten verwendet werden, reduziert dies die Energieaufnahme drastisch. Das macht es unserer Praxis möglich, energieautark zu sein. Zudem wird kein Helium verbraucht. Auch muten wir den Patienten eine geringere Hochfrequenzenergie zu. Die emittierte HF-Energie sinkt quadratisch mit der Feldstärke. Bei geringerer Feldstärke sind die Gefahren durch magnetische Anziehung von Metallen deutlich reduziert. Narkose im MRT oder MR-gesteuerte Interventionen werden sicherer und weniger aufwendig. Das Gleiche gilt für Patienten mit biomedizinischen Implantaten wie z. B. Shunt-Ventilen, Schmerzpumpen, Cochlear-Implantaten und Endoprothesen. Bei Schrittmachern bleibt das Risiko zum Teil. Zwar ist das Problem der Erhitzung von Elektroden deutlich geringer. Aber die elektromagnetische Beeinflussung bleibt.

Redaktion: Reicht die Bildqualität?

Prof. Dr. Klein: Das ist die entscheidende Frage. Es gibt vom G-BA Richtlinien zur Qualitätssicherung in der Kernspintomografie. Die hier geforderten Kriterien sind mit unserem Gerät erfüllt. Aufgrund der durchaus vorhandenen Nachteile von höheren Feldstärken und der relevanten Verbesserungen in Bild- und Signalverarbeitung muss jetzt eine Re-Evaluierung erfolgen. Die Frage ist: Wie viel Feldstärke brauchen wir heute für die richtige Diagnostik?

Redaktion: Ihre Praxis ist energieautark, denn Sie produzieren den Strom selbst. Was für eine Anlage haben Sie installiert?

Prof. Dr. Klein: Eine 29,8 Megawatt Peak (MWp) Photovoltaik-Anlage mit einem 10 kWh Lithium-Ionen Speicher. Wir produzieren damit ca. 30 Megawattstunden (MWh) pro Jahr und verbrauchen mit der Praxis inklusive Heizung, Klimaanlage und Kaffeemaschine 22 MWh. Also haben wir in der Bilanz ca. 40 Prozent Überschuss.

Redaktion: Die Photovoltaik-Anlage produziert den Strom aber nur bei Licht bzw. Sonnenschein. Wie verteilt sich die Stromerzeugung?

Prof. Dr. Klein: Die Autarkierate liegt zwischen 85 Prozent im Sommer und 0 Prozent im Winter. Im Jahresmittel ist sie bei ca. 50 Prozent. Die Stromüberschüsse aus dem Sommer können wir mit der Batterie nicht kompensieren, daher müssen wir im Winter Strom aus dem Netz ziehen.

Redaktion: Was leistet die Batterie und was machen Sie im Sommer mit dem Stromüberschuss?

Prof. Dr. Klein: Der Batteriespeicher schafft eine Glättung der Verbrauchskurve und deckt einen Teil des Stand-By-Verbrauchs in der Nacht ab. Durch mehr Speicher könnte man die Autarkie erhöhen, doch diese Lösung ist nicht wirtschaftlich. Lieber warte ich auf technische Neuerungen, es ist viel Dynamik im Markt. Durch die Elektromobilität entstehen ganz neue Konzepte, das wird schnell gehen. Den Überschuss speisen wir ins Netz ein und erhalten dafür eine Vergütung. In der Summe kompensieren sich Einspeisevergütung und Stromkosten.

Redaktion: Ihre Investitionen sparen mittel- bis langfristig Kosten?

Prof. Dr. Klein: Das ist ganz erheblich. Die Stromkosten machen etwa 30 Prozent der Betriebskosten einer MRT-Anlage aus. Der Verbrauch eines Hochfeld-MRT inkl. Klimaanlage liegt bei ca. 350 MWh pro Jahr. Das macht bei 30 Cent pro KWh bis zu 100.000 Euro Stromkosten pro Jahr. Unser Verbrauch liegt, wie gesagt, inklusive Klimaanlage und Kaffeemaschine, bei 22 MWh. Das sind 5 Prozent des Verbrauchs eines Hochfeld-MRTs. Ökologie und Ökonomie sind da absolut kongruent.

Redaktion: Was hat Sie veranlasst, in die innovative Technik zu investieren?

Prof. Dr. Klein: Angeregt wurde mein Interesse für geringe Feldstärken durch einen Artikel von Leon Kaufman aus dem Jahr 1989, quasi eine Apologetik der offenen Niederfeld-Geräte. Im Jahr 2002 habe ich mir bei den Kollegen Kolbe und Loretan in Brig in der Schweiz ein 0,2 Tesla MRT mit 8-Kanal Technik angeschaut. Die Bilder waren exzellent. 2004 habe ich mein erstes 0,35 Tesla MRT installiert und war überzeugt von der Qualität. Selbst die Techniker des Herstellers fanden die Bilder besser als erwartet.

Die Klimaschutz-Thematik beschäftigt uns alle in zunehmendem Maße. Daher war die Kombination von Niederfeld-MRT und regenerativer Energiegewinnung naheliegend und wir haben vor drei Jahren die GreenScan Konzeption aufgelegt. Eine energieautarke Praxis war immer mein Traum.

Redaktion: Sie sind Vorreiter?

Prof. Dr. Klein: Ich habe viele Jahre eine Minderheitsmeinung vertreten. Doch in den letzten Jahren ist das Niederfeld-MRT ins Blickfeld gerückt. In dieser Entwicklung stecken riesige Chancen. Es ist wie mit einem Stein, der ins Wasser geworfen wird. Er stößt viele Wellen an, die zu neuen Entwicklungen führen.

Redaktion: Was empfehlen Sie anderen Radiologen, die ebenfalls ins Niederfeld-MRT investieren wollen?

Prof. Dr. Klein: Bisher gibt es nur wenige Hersteller von qualitativ hochwertigen Niederfeld-MRT, doch das ändert sich gerade. Ein deutscher Hersteller hat für Ende dieses Jahres die Vermarktung eines High-End- Niederfeldsystems angekündigt. Das Interesse ist jetzt schon sehr groß. Peter Rinck, ein bekannter Pionier der MRT, hat im Februar den Vorschlag in den Raum gestellt, 0,5 Tesla zur Brot-und-Butter-Feldstärke zu machen. Hochfeld-MRT würden dann besonderen Fragestellungen vorbehalten.

Mit Blick auf interessierte Kollegen würde ich an deren Stelle die Entwicklung auf Kongressen verfolgen, bei denen technische Neuerungen vorgestellt werden.

Allerdings haben die Maschinen noch keine Kassenzulassung. Es sind derzeit eher Add-on-Geräte. Wir haben hier am Standort auch ein 1,5 Tesla. Ich gehe aber davon aus, dass die zukünftigen Niederfeld-MRT sicherlich die Kassenzulassung bekommen werden. Das radiologische Establishment wird jetzt aufmerksam, das ist das Entscheidende.

Redaktion: Vielen Dank!

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