Arbeitsbelastung
âDie FĂŒhrungsebene sieht, wie gestresst MTRAs sindâ
In Deutschland haben 97 Prozent der Medizinisch-technischen Radiologieassistenten (MTRA) mĂ€Ăige oder schwere Burn-out-Symptome, so die Studie âRadiology staff in focusâ, die die Marketech Group fĂŒr Philips erstellt hat. Deutlich geringer ist die Burn-out-Quote in anderen Industrienationen wie die USA (36 Prozent), Frankreich (33 Prozent) und GroĂbritannien (30 Prozent). Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte Nicole Rennschmied, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin der Marketech Group und Mitautorin der Studie, nach Ursachen und LösungsansĂ€tzen.
Redaktion:Die Studie zitiert einen Leiter der Radiologie so: âMit dem Fokus auf Wirtschaftlichkeit ist die Arbeitsbelastung in den vergangenen Jahren gestiegen. Gut ausgebildete Mitarbeiter fehlen. (...) Wenn jemand krank wird oder im Urlaub ist, stehen Patienten Schlange. Es ist unglaublich.â Eine einzelne Meinung?
Nicole Rennschmied: Nein, wir beobachten seit einigen Jahren, dass Kliniken sich zunehmend als Wirtschaftsunternehmen verstehen. Daher streben sie danach, am Ende des Jahres einen Gewinn einzufahren. Um das zu erreichen, schrauben sie u. a. am Patientendurchsatz. Zudem haben die Möglichkeiten der bildgebenden Verfahren sich enorm verfeinert, sodass die Zahl der Patienten steigt.
Redaktion:Mit welchen Folgen?
Nicole Rennschmied: Die Arbeitstage sind streng getaktet. Wenn der Ablauf nur ein wenig in Verzug kommt, gerÀt der ganze Tag durcheinander. Dann ist es brechend voll, die Patienten stehen tatsÀchlich Schlange.
Redaktion:Was stresst MTRAs besonders?
Nicole Rennschmied: Die Nicht-KerntĂ€tigkeiten haben stark zugenommen. MTRAs verbringen heute fast den gröĂten Teil ihrer Arbeit mit der Organisation des Arbeitsablaufs. Das stresst am stĂ€rksten. Es ist also nicht der eigentliche Job, sondern es sind die UmstĂ€nde. Selbst wenn alles perfekt geplant ist, kann es sein, dass ein Patient zu spĂ€t kommt, weil der Transportdienst ĂŒberlastet ist. Oder der Patient wurde vom Zuweiser nicht darĂŒber informiert, dass er nĂŒchtern sein muss. Oder er hat einfach vergessen, seine Prothese herauszunehmen. Die Kommunikationsprobleme zwischen dem zuweisenden Arzt und der Radiologie werden z. B. immer wieder als Stressfaktor genannt.
Redaktion:Was machen andere LĂ€nder besser?
Nicole Rennschmied: Beispielsweise sind elektronische Patientenakten in vielen LÀndern schon weiter fortgeschritten als in Deutschland. KrankenhÀuser und Praxen kommunizieren dort anders miteinander, die technischen Systeme sind besser aufeinander abgestimmt. In Deutschland haben wir oft das Problem, dass Bilder zwar bereits vorhanden, die technischen Systeme jedoch nicht kompatibel sind. Innerhalb eines Krankenhauses ist das oft kein Thema, doch es passiert, dass das bildgebende System eines Krankenhauses in den Arztpraxen nicht lesbar ist. Deshalb wird mit ausgedruckten Bildern und CDs hantiert.
Redaktion:Ist Besserung absehbar?
Nicole Rennschmied: Deutschland holt ganz gut auf. Aber einheitliche Schnittstellen brauchen Zeit und aufeinander abgestimmte Systeme sind kostenintensiv. GegenĂŒber einigen europĂ€ischen LĂ€ndern und den USA stehen wir hinten an. Das ist ein Wettbewerbsnachteil.
Redaktion:Was mĂŒsste ein Chefarzt oder der Leiter eines MVZ tun, um diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen?
Nicole Rennschmied: Es gibt Kliniken, die von sich aus an Zuweiser herantreten, um Kooperationen aufzubauen. Sie regeln z. B. den Austausch von groĂen Datenmengen wie Bilddateien ĂŒber eine zentrale Plattform. Das wird in einigen Regionen schon stark angenommen, ist aber nicht deutschlandweit der Fall.
MVZ und Krankenhausabteilungen sind oft gut ausgestattet. Problematisch sind eher kleine allgemeinmedizinische Praxen. Sie stehen im Fall einer hohen Investition vor einem groĂen Risiko. Denn wir haben in Deutschland nicht wie beispielsweise in GroĂbritannien eine staatlich geregelte IT-Struktur fĂŒr KrankenhĂ€user. In GroĂbritannien gibt es ab einer bestimmten KrankenhausgröĂe Vorgaben zur IT-Struktur. Hier haben wir eine bunte Landschaft. Ein Arzt, der die falsche Software bestellt, gerĂ€t möglicherweise auf ein Abstellgleis. Da es zur elektronischen Patientenakte und zum Datenschutz noch keine einheitliche Richtung gibt, kann man keinen Rat geben.
Redaktion:Sie schreiben in Ihrer Studie, dass weltweit die Alarmglocken in der Radiologie schrillen. Machen Vorgesetzte sich Sorgen um ihre Mitarbeiter?
Nicole Rennschmied: Ja, das kann man wirklich sagen: Die FĂŒhrungsebene sieht und fĂŒhlt genau, was geschieht, wenn Zeitpuffer sich in Luft auflösen und der Stress zunimmt. Radiologen versuchen, ihre Teams zu motivieren und zu unterstĂŒtzen. Doch sind ihnen die HĂ€nde gebunden, wenn die darĂŒberliegende Instanz hohe Anforderungen stellt und einen bestimmten durchschnittlichen Patientendurchsatz fordert. Gerade wenn neue Investitionen anstehen, wird die Patientenzahl zunehmend zur Gegenrechnung herangezogen.
Redaktion:Welche Rolle spielt der Team-Spirit?
Nicole Rennschmied: In allen Kliniken, die wir befragt haben, versteht das Team in der Radiologie sich als solches, angefangen vom Leiter der Radiologie ĂŒber die MTRAs bis zu Technik und IT. Alle hangeln sich gemeinsam durch den Tag.
Redaktion:Wie sollten FĂŒhrungskrĂ€fte reagieren, wenn es nicht genug Personen gibt, die sich hangeln?
Nicole Rennschmied: Sie können nur in die GeschĂ€ftsfĂŒhrung kommunizieren, was sie trotz des Personalmangels bereits leisten, und an anderer Stelle Zeit optimieren. Das haben inzwischen auch die Hersteller erkannt. Sie bauen GerĂ€te, bei denen bestimmte Handgriffe automatisch erfolgen, sodass neue Zeitpuffer entstehen. So schlĂ€gt das GerĂ€t z. B. automatisch ein bestimmtes Protokoll vor, nachdem die Patientenakte eingelesen worden ist.
Redaktion:LieĂe sich auch die BĂŒrokratie erleichtern?
Nicole Rennschmied: In einigen radiologischen Praxen und Abteilungen erhĂ€lt der Patient bereits am Empfang ein Tablet mit Informationen und einem Fragebogen. Er erfĂ€hrt, was ihn erwartet und kann angeben, ob er beispielsweise raucht, allergisch ist oder Medikamente nimmt. Das Untersuchungsteam erhĂ€lt die Angaben ohne Zeitverlust und muss nichts hĂ€ndisch ĂŒbertragen. Auch kann die Software erkennen, welche Angaben des Patienten noch fehlen und ihn darauf hinweisen. So etwas könnte man dem Patienten auch am Tag vor der Untersuchung zukommen lassen, dann wĂ€re es vielleicht noch effizienter.
Möglich ist auch, dass das MRT-System sich meldet, wenn eine Untersuchung lĂ€nger dauert als geplant. Dann verschieben sich die Folgetermine automatisch. FĂŒr die Anmeldung ist direkt ersichtlich, dass die Reihenfolge der Patienten sich Ă€ndert und wer als nĂ€chster dran ist. Alle diese Stellschrauben können auch die Leiter der Radiologie im Blick haben.
Redaktion:Könnten diese Optimierungen auch dazu fĂŒhren, dass der Patientendurchsatz noch weiter erhöht wird?
Nicole Rennschmied: Die Gefahr besteht. Das zu verhindern, ist dann eine interne Diskussion innerhalb eines Klinikums.
Redaktion:In der Studie ging es auch um das Selbstvertrauen der Leiter radiologischer Abteilungen. Wie schÀtzen Radiologen ihre FÀhigkeiten ein?
Nicole Rennschmied: Es ging bei dieser Frage darum, ob die Ărzte sich technisch sicher fĂŒhlen. Hintergrund war, zu erfahren, ob der Service seitens der Hersteller verbessert werden soll. Die deutschen Teilnehmer sagten ganz klar, dass es in Bezug auf Technik, Wissen und Ausbildung nicht hapert. Es ist das âDrumherumâ.
Redaktion:Stimmt diese EinschĂ€tzung mit der RealitĂ€t ĂŒberein?
Nicole Rennschmied: Ja, das kann man sagen. Technisch betrachtet stehen wir in der radiologischen Ausbildung in Deutschland gut da. Es gibt wenig Nachholbedarf. Die Herausforderungen liegen in der BĂŒrokratie.
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