InterviewâFĂŒr mehr DiversitĂ€t in der Radiologie mĂŒssen wir die Perspektive wechseln!â
Unter dem Dach der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) arbeitet das Netzwerk Diversity@DRG. Es will die Vielfalt in der Radiologie fördern. Dr. med. Katharina Ronstedt, Kinderradiologin und ChefĂ€rztin des Instituts fĂŒr Kinderradiologie am Klinikum Kassel, ist Sprecherin des Netzwerks. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte sie, wie es um die DiversitĂ€t in der Radiologie steht.
Redaktion: In einer Pressemitteilung des Klinikums steht, es sei Ihnen ein Herzensthema, DiversitÀt und Inklusion zur NormalitÀt im klinischen Alltag zu machen. Wie weit ist die Radiologie von dieser NormalitÀt entfernt?
Dr. Ronstedt: ZunĂ€chst einmal ist DiversitĂ€t in der Radiologie etwas anderes als es mitunter an Hochschulen oder z. B. in der SozialpĂ€dagogik verstanden wird. Es geht mitnichten darum, Ă€ltere weiĂe MĂ€nner zu marginalisieren. Vielmehr wollen wir Raum fĂŒr andere schaffen, die in der Radiologie wirken wollen und inklusiv denken. Als Fachgesellschaft sind wir da schon recht weit. Ich weiĂ von keinem anderen beruflichen DiversitĂ€ts-Netzwerk in einer Fachgesellschaft. Weil wir die breite UnterstĂŒtzung des Vorstands haben, können wir auf berufspolitischer Ebene sogar eine Vorreiterrolle ausfĂŒllen und Interessierte beraten. Doch insgesamt wird in der Medizin viel zu wenig divers gedacht.
Redaktion: Wie Ă€uĂert sich das?
Dr. Ronstedt: Abweichung ist in der medizinischen Tradition unseres Landes hochsanktioniert. Jemand mit einer körperlichen Behinderung oder nicht einwandfreien Deutschkenntnissen wird regelhaft als schwacher Teil eines Teams betrachtet. Es fehlen LösungsansĂ€tze. Körperlich Behinderte mĂŒssten beispielsweise nicht jeden Nachtdienst machen, sie könnten sich auch um das ebenfalls nicht allzu beliebte QualitĂ€tsmanagement kĂŒmmern. KĂŒnstliche Intelligenz (KI) könnte Texte von denjenigen korrigieren, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben. Kliniken könnten mit medizinischen Deutschkursen weiterhelfen. Auch gibt es in der Radiologie kaum offen nicht-heterosexuell lebende Menschen. Ich kenne niemanden, der sich als transidentitĂ€r geoutet hĂ€tte. FĂŒr mehr DiversitĂ€t mĂŒssen wir die Perspektive wechseln und uns erlauben, in den eigenen Reihen den Normbegriff zu erweitern.
Redaktion: Die deutsche Gesellschaft ist in einigen Teilen schon viel weiter. Warum ist die Medizin so normativ?
Dr. Ronstedt: Es ist wohl ein Relikt. Nach meiner persönlichen EinschĂ€tzung liegt die Ursache auch darin, dass die deutsche Medizin sich aus der MilitĂ€rmedizin entwickelte. Wir sind sehr hierarchisch. Diese Hierarchie fĂŒhrt dazu, dass Menschen sich an das System anpassen sollen, nicht umgekehrt. Ein Beispiel: Als ChefĂ€rztin habe ich Anspruch auf einen Parkplatz auf dem KlinikgelĂ€nde â ob ich ihn brauche oder nicht. Ich weiĂ von einem schwerbehinderten Kollegen, der Dienste wahrnehmen kann, weil die GeschĂ€ftsfĂŒhrung ihm einen Parkplatz vor der TĂŒr einrichtete. Doch im Team gab es Kritik, weil er nicht Chefarzt sei.
Redaktion: Zum Netzwerk Diversity@DRG gehören vier Fokusgruppen:
- Migrationsgeschichte@DRG,
- Radiologinnen@DRG,
- Queer@DRG und
- YesWeCanToo@DRG.
Letztere haben Sie mitgegrĂŒndet und sind Ansprechpartnerin. Was können Sie fĂŒr Menschen mit Behinderungen tun?
Dr. Ronstedt: Wir weisen z. B. auf Behindertenbeauftragte hin und geben Hinweise zu Regelungen und Formularen. Doch sind in dieser Gruppe auch Menschen ohne EinschrĂ€nkungen, die sich fĂŒr eine inklusive Medizin interessieren. Auch fĂŒr FĂŒhrungskrĂ€fte ist es schwierig, jemanden mit Behinderung einzustellen. Man braucht UnterstĂŒtzung, um UmbaumaĂnahmen und den BeschĂ€ftigungssicherungszuschuss zu beantragen. Die Kommunikation ins Team ist oft sehr herausfordernd, da können wir unterstĂŒtzen.
Redaktion: Welche BedĂŒrfnisse haben die Mitglieder der Fokusgruppe Migrationsgeschichte?
Dr. Ronstedt: Sie haben mehrere ganz wesentliche Probleme. Da ist zum einen die strukturelle Diskriminierung. Menschen, die auĂerhalb der EU ihre Ausbildung abgeschlossen haben, mĂŒssen sich bei den Ărztekammern ihre BefĂ€higung anerkennen lassen. Die Regelungen sind schlecht nachvollziehbar und nicht bundeseinheitlich, der bĂŒrokratische Aufwand ist immens. Gleichzeitig wird Menschen aus dem Ausland oft vermittelt, dass sie dafĂŒr dankbar sein mĂŒssten, in Deutschland arbeiten zu dĂŒrfen. Ist ihre Sprache quasi nicht muttersprachlich, wird ihre Kompetenz immer wieder infrage gestellt. Sagt jemand âdie Lungentumorâ, wird auf Kollegenebene schnell mal unterstellt, die Person habe von Lungentumoren gar keine Ahnung.
Redaktion: Das Radiologinnen-Netzwerk der DRG gibt es schon lĂ€nger. Es hat sich in Diversity@DRG integriert. Beispielhaft fĂŒr seine Arbeit sind die âFit fĂŒr den Dienst"-Sessions, ein Fortbildungsformat auf dem Deutschen Röntgenkongress. Mit welchem Ziel?
Dr. Ronstedt: Die âFit fĂŒr den Dienstâ-Veranstaltungen sind offen fĂŒr jeden. Radiologinnen@DRG haben den fachlichen Bedarf erkannt und ebenso, dass Frauen viel seltener die Gelegenheit zum Vortrag erhielten als MĂ€nner. Daher gab es anfangs eine gewisse Bevorzugung von Referentinnen. 2022 sollten erst 30 Prozent, 2023 dann 40 Prozent der VortrĂ€ge des gesamten Röntgenkongresses an Frauen vergeben werden, das bildet ungefĂ€hr das MitgliederverhĂ€ltnis ab. âFit fĂŒr den Dienstâ war ein Format, fĂŒr das man Frauen gezielt gewinnen konnte, auch wenn sie noch recht jung in der Karriere sind. Es ist didaktisch sogar von Vorteil, wenn ihr Start in den Beruf noch nicht allzu lang zurĂŒckliegt.
Redaktion: Die Fokusgruppe âQueer@DRGâ möchte fĂŒr die LSBTI*-Community der DRG eine safer-space-Plattform zum Vernetzen und Austauschen anbieten. Sie wĂŒnscht wertschĂ€tzende Sichtbarkeit fĂŒr queere Mitglieder. Wie unterscheidet sich diese WertschĂ€tzung von der WertschĂ€tzung fĂŒr weiĂe, heterosexuelle Radiologen?
Dr. Ronstedt: Das eine widerspricht dem anderen nicht. Doch ist die Diskriminierung von Menschen mit HomosexualitÀt sehr hoch. Die Angst, sich zu outen, ist so stark, dass diese Gruppe erst einmal einen sicheren Austauschraum braucht. Aber im Diversity-Netzwerk können alle mitmachen, das Interesse an einem Thema reicht aus.
Redaktion: Ausgrenzung von Minderheiten hat oft juristische Aspekte. Wie geht das Netzwerk damit um, wenn jemand eine Rechtsberatung wĂŒnscht?
Dr. Ronstedt: Wir können keine Rechtsberatung leisten, doch wir können durchaus auf Wege und Erfahrungen hinweisen. So kann ich sagen, dass ein bestimmter Paragraf existiert. Ich kann aber nicht behaupten, dass er auf eine bestimmte Person anwendbar ist. Allerdings ist das bei der Inklusion nicht die Frage. Die Menschen fragen uns nicht, ob sie ihren Arbeitgeber verklagen können. Bisher habe ich niemanden erlebt, der konfrontativ gewesen wÀre.
Die Leute suchen Lösungen. Sie fordern keine RĂŒcksicht, weil sie schwerbehindert sind, sondern suchen den Fehler eher bei sich. Dann ist es an uns zu sagen, dass sie sich ihre Behinderung nicht ausgesucht haben und dass wir in einer solidarischen Gesellschaft leben, in der es okay ist, von anderen unterstĂŒtzt zu werden.
Redaktion: Sie sind seit Oktober 2024 ChefĂ€rztin des Instituts fĂŒr Kinderradiologie am Klinikum Kassel. Wie flieĂen Diversity-Gesichtspunkte bei Ihren Entscheidungen ein?
Dr. Ronstedt: Ich achte sehr darauf, die LebensumstĂ€nde der Teammitglieder zu beachten, wenn wir die Arbeitsverteilung planen. Darauf RĂŒcksicht zu nehmen, ob jemand Kinder oder pflegebedĂŒrftige Eltern hat, nĂŒtzt auch mir: Die AtmosphĂ€re im Team ist viel freundlicher und wertschĂ€tzender. Das gibt uns allen mehr Sicherheit. Das gilt ebenfalls, wenn FĂŒhrungskrĂ€fte nach Lösungen suchen, weil eine Radiologin schwanger wird oder jemand mit Behinderung eingestellt werden soll: Der Druck ist viel geringer, wenn man bereits Erfahrungen damit gemacht hat und die Strukturen kennt. Das macht das Arbeiten viel entspannter.
Redaktion: Wo liegen die Vorteile fĂŒr Kliniken und Praxen, die nach Diversity-Gesichtspunkten handeln?
Dr. Ronstedt: Wer fĂŒr Menschen, die oft Ausgrenzung erfahren, attraktiv ist, hat weniger Probleme mit dem FachkrĂ€ftemangel. Es ist ein geringerer Aufwand, die Bedingungen fĂŒr jemanden zu schaffen, als dessen Arbeit zu ĂŒbernehmen. Als ich kĂŒrzlich einen Vortrag zu Diversity hielt, merkte jemand kritisch an, dass gesunde, weiĂe MĂ€nner wirtschaftlich betrachtet am effektivsten seien. Ja, das stimmt. Aber es gibt von ihnen nicht genug, um die Arbeit zu schaffen.
Die Entwicklung zu mehr DiversitĂ€t beginnt gerade erst. Sie hat nicht nur mit dem FachkrĂ€ftemangel zu tun. Auch ist der jĂŒngeren Generation der Ărzteschaft wichtig, nicht als âArbeits-Botâ betrachtet zu werden, sondern als Mensch WertschĂ€tzung zu erfahren. SchlieĂlich gibt es Bedarf, weil unsere Patienten divers sind. Ein total genormtes Team setzt sich nicht damit auseinander, dass Menschen unterschiedlich sind und auf unterschiedliche Art versorgt werden mĂŒssen. Ich brauche z. B. beim Ultraschall dunkelhĂ€utiger Kinder meistens einen Schallkopf, der bei hellhĂ€utigen Kindern fĂŒr GröĂere gedacht ist. So etwas bringt einem kaum jemand bei. Das wird erst dann geschehen, wenn wir die einzelnen Menschen betrachten und wenn wir vom alleinerziehenden Vater bis zur schwerbehinderten Topmanagerin alle dabeihaben.
- Zur Website des Netzwerks Diversity@DRG
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