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Radiologie und technologische Innovation „KI kann nur nachhaltig honoriert werden, wenn ihre Evidenz bewiesen ist!“

30.09.2024Ausgabe 10/20245min. Lesedauer

Für die Radiologie kommen ständig neu entwickelte Algorithmen zur Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) auf den Markt. Sie versprechen eine schnellere und effizientere Befundung. Doch wie steht es um KI als Geschäftsmodell aus Sicht eines Radiologen? Was lässt sich bereits heute abrechnen, was wird bald in die Regelversorgung überführt werden und worauf können Radiologen sich in Zukunft einstellen? Dazu sprach Ursula Katthöfer (textwiese.com) mit Dr. med. Daniel Pinto dos Santos, Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Uniklinik Köln, wo er die Machine Learning and Data Science Group leitet, sowie Oberarzt der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin der Uniklinik Frankfurt.

Redaktion: KI ist in aller Munde. Doch wie hoch ist ihr Anteil bei der Befundung derzeit überhaupt?

Dr. Pinto dos Santos: Noch spielt KI eher eine untergeordnete Rolle. Doch haben viele Krankenhäuser und Praxen sie für spezielle Anwendungsfälle integriert, bei denen KI beispielsweise zeitintensive manuelle Tätigkeiten ersetzt. So ist bei Volumenbestimmungen am Herzen oder im Gehirn nachvollziehbar, dass KI der Radiologie Arbeit abnimmt und sich lohnt. Auch bei diagnostischen Anwendungen wie Knochenbrüchen und anderen Fällen wird KI teils unterstützend genutzt.

Redaktion: Nach den Praxen erschließen auch Krankenhäuser sich zunehmend Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL). Bei welchen IGeL der Radiologie können Patienten sich bereits für eine KI-Befundung entscheiden?

Dr. Pinto dos Santos: KI verbreitet sich bei IGeL mehr und mehr. Allerdings sind mir bisher nur Niederlassungen oder MVZ, die an ein Krankenhaus angeschlossen sind, als Anbieter bekannt, keine Krankenhäuser. Die Volumenbestimmung von Gehirnstrukturen wird häufig als IGeL angeboten. Nachgefragt wird sie z. B. von Angehörigen demenzerkrankter Personen, um bei der Einstufung in Pflegestufen besser argumentieren zu können. Auch bei Knochenveränderungen wird KI als IGeL genutzt, um hauchdünne Frakturen oder potenzielle Knochenmetastasen an der Wirbelsäule zu erkennen.

Redaktion: Müssten solche Untersuchungen nicht eher als Regelleistung gelten?

Dr. Pinto dos Santos: Prinzipiell ja, allerdings wäre ich dafür, zuerst die Evidenz einer Anwendung zu beurteilen und sie erst nach einem positiven Ergebnis am Patienten einzusetzen – dann natürlich als Regelleistung. Bis dahin wäre es eher unethisch, Geld aus dem Solidarsystem zu verwenden, ohne dass der Nutzen nachgewiesen ist. Das ist aber auch eine philosophische Diskussion. Aus meiner Sicht hat die Radiologie die Aufgabe, den Nutzen von KI wissenschaftlich zu beweisen. Wenn KI die Versorgung nicht verbessert, brauchen wir kein Geld dafür auszugeben. Wenn wir aber zeigen können, dass Patienten sich dank KI besser behandeln lassen, dann ist es legitim zu verlangen, dass die bessere Behandlung bezahlt wird. Auf dem Weg zur Evidenz kann es sinnvoll sein, KI als IGeL zu finanzieren, oder wie bei den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) zu verfahren. Sie werden für ein Jahr als Regelleistung finanziert, um in dieser Zeit ihren Nutzen zu beweisen.

Redaktion: Was schätzen Sie, wie KI sich als Geschäftsmodell grundsätzlich entwickeln wird?

Dr. Pinto dos Santos: Wenn ein Teil des Erlöses einer Untersuchung an eine KI-Firma abgegeben werden muss, kann das in der Erlösstruktur schwer abbildbar sein. Dennoch wird KI als Geschäftsmodell eine wachsende Rolle spielen, gerade in Screening-Settings wie der Mammografie und dem Lungenscreening. Im Verordnungstext zum Lungenscreening ist bereits von Softwareunterstützung die Rede, wenn auch nicht ausdrücklich von KI. Ebenso bei der Mammografie, wo die Evidenz für KI gar nicht schlecht ist – da könnte sie den Fachkräftemangel lindern, wenn sie als zweiter Befunder eingesetzt werden dürfte und sich vermutlich dann auch wirtschaftlich rechnen würde.

Redaktion: Gibt es auch Fälle, bei denen Sie für KI keine rosige Zukunft erwarten?

Dr. Pinto dos Santos: Der Erfolg hängt sehr vom Anwendungsgebiet ab. Bei einfachen Untersuchungen wie der Knochenbrucherkennung sehe ich KI eher nicht. Dort ist es auch schwierig zu argumentieren, dass eine Untersuchung, die ohnehin wenig Geld einbringt, durch die KI effektiv teurer wird. Insbesondere weil sich der Radiologe oder die Radiologin, die auf das Bild schauen, zumindest in der aktuellen Regulatorik – allen voran dem EU AI act – nicht einsparen lassen. Die zentrale Frage bleibt für mich also, ob KI einen wissenschaftlich erwiesenen Nutzen hat. Wir werden nur dann für eine nachhaltige Vergütung argumentieren können, wenn evident ist, dass sie am Ende unseren Patienten etwas bringt.

Redaktion: Wo kann KI Personal bei MTR und MTA einsparen?

Dr. Pinto dos Santos: Gute Frage. Da wir angesichts des Fachkräftemangels sowieso zu wenig Personal haben und keines einsparen müssen, würde ich das Thema anders aufziehen: Wo kann KI das vorhandene Personal unterstützen und z. B. Sequenzen im MRT vorplanen? Im Zweifelsfall könnte so vielleicht eine Person zwei Geräte bedienen. Auch in der Remote Operation, also mit MTR im Hintergrund, steckt viel Potenzial. Wir sollten nicht so sehr daran denken, wo wir Personal einsparen können, sondern vielmehr, wie wir dem Personal, das wir haben, bessere Arbeitsbedingungen schaffen können.

Redaktion: Technische Neuerungen machen den Beruf des Radiologen reizvoll. Doch was macht eine Technologie wie KI, die Details besser sehen kann als das menschliche Auge, mit dem Selbstverständnis dieses Berufsstands?

Dr. Pinto dos Santos: Vor 20 Jahren haben wir uns vielleicht gefragt, was es mit der Radiologie macht, wenn keine Filme mehr entwickelt werden müssen. In den vergangenen Jahren gab es viel Angst, dass KI uns in unserer Arbeit ersetzt, doch inzwischen sind wir da glücklicherweise etwas entspannter geworden. Wir sehen, dass in der klinischen Realität der Mensch in vielen Bereichen gut mit der KI mithält oder ihr sogar noch überlegen ist. Angst brauchen wir nicht zu haben, doch müssen wir dazu bereit sein, dass sich unser Berufsbild ändert. Wenn unsere Patienten und Patientinnen bessere Hilfe durch KI bekommen können, dann dürfen wir sie ihnen nicht vorenthalten.

Ich denke, die Radiologie ist seit jeher ohnehin ein Fachgebiet, das sehr flexibel auf technische Innovationen reagiert hat. Insofern freue zumindest ich mich darauf, jede Veränderung unseres Berufsbilds, die da kommen mag, zu begleiten und vielleicht auch mitgestalten zu können.

Redaktion: Unter welchen Voraussetzungen akzeptieren Patienten Dr. KI?

Dr. Pinto dos Santos: Das hängt sehr von der Geschichte ab, die wir als Radiologen von KI erzählen. Es kann auch passieren, dass der Nutzen von Patienten als zu hoch eingeschätzt wird oder dass ein Nutzen gesehen wird, wo in Wirklichkeit keiner ist. Patienten vertrauen ihrem Arzt, so wie wir beispielsweise auf die Menschen in unserer Autowerkstatt vertrauen – den Nutzen einzelner Maßnahmen können wir nicht immer genau einschätzen und doch vertrauen wir. Genauso sollten wir mit dem Vertrauen unserer Patienten verantwortlich umgehen. Wenn es einen wissenschaftlich bewiesenen Nutzen von KI gibt und wir diesen ehrlich und offen kommunizieren, bin ich zuversichtlich, dass unsere Patienten dies akzeptieren.

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