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Interview„Ausreichend spezialisiertes Fachpersonal zu gewinnen, ist auch für die Qualitätssicherung eine große Herausforderung!“

28.03.2024Ausgabe 4/20246min. Lesedauer

85 Seiten umfasst die Leitlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik. Diese Leitlinie muss täglich in den radiologischen Kliniken und Praxen mit Leben gefüllt werden – auch vor dem Hintergrund zahlreicher Veränderungen in Medizintechnik, Diagnostik, Strahlenschutz und Ausbildung. Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Koops ist Chefarzt des Instituts für Radiologie und interventionelle Therapie am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und am Vivantes Wenckebach-Klinikum in Berlin. Er hat eine Zusatzqualifikation im ärztlichen Qualitätsmanagement, unterrichtet QM an der Universität und ist im Konzern für die Gruppe der Radiologie Sprecher des Medical Board. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn, wie die Neuerungen der vergangenen Monate sich auf das Qualitätsmanagement auswirkten.

Redaktion: Wie oft werden die Standardarbeitsanweisungen (Standard Operating Procedures [SOPs]) in Bezug auf Qualitätssicherung angepasst und worum geht es dabei in der Regel?

Dr. Koops: Aufgrund des technischen Fortschritts und sich ändernder Dokumentationsauflagen passen wir unsere SOPs intern immer wieder an. Dabei werden die SOPs allerdings eher optimiert durch Präzision und Kondensation als durch immer längere Texte. Grundsätzlich bevorzugen wir einfach lesbare Tabellen, angereichert mit Bildern. Durch das Bildmaterial wird klar, in welcher Projektion geröntgt wird oder wie der Scanbereich des CT-Geräts eingestellt werden muss. Das lässt sich mit Screenshots der Gerätebedienoberflächen einfach gestalten. Die Zukunft könnte dahin gehen, dass auch Videos hinzukommen.

Redaktion: Sind eher mehr oder weniger SOPs notwendig?

Dr. Koops: Mit der aktuellen Leitlinie der Bundesärztekammer sind wir nun verpflichtet, auch die seltenen Prozeduren mit SOPs zu versehen. Früher wurden zuerst die täglichen Routineaufgaben geregelt, seltene Verfahren wurden eher individuell gelöst. Heute geht die Vorgabe weiter: Auch und vielleicht sogar gerade die weniger häufigen Untersuchungen brauchen eine standardisierte Verfahrensanleitung. Obgleich das für die Kolleginnen und Kollegen die stressige Aufgabe weiterer SOP-Erstellungen bedeutet, lassen sich so doch erkennbar Fehler vermeiden und eine spürbare Anwendungssicherheit vermitteln.

Redaktion: Wie sind die neuen Patientenschutzempfehlungen der Strahlenschutzkommission (SSK) inzwischen umgesetzt worden?

Dr. Koops: Die neuen Empfehlungen vereinfachen Vieles. Sie beziehen sich einerseits auf die personelle Teamleistung, andererseits auf die Aufnahmetechnik. Dokumentation und SOPs mussten vielfach neu entwickelt werden. So wurden ja auch die diagnostischen Referenzwerte deutlich reduziert, insbesondere in der Angiografie und Katheterintervention. Bei uns im Hause hatten wir die Dosisreferenzwerte schon 2018 so angepasst, dass wir eine Einsparung beim Thorax- und Abdomen-CT um 20 Prozent der Dosis gut erreichen konnten, in der angiografischen Intervention konnten wir sogar noch deutlich weiter nach unten korrigieren. Möglich ist das durch unsere modernen CT-Geräte mit verschiedenen Techniken der Dosismodulation und iterativen Bildrekonstruktion, letzteres auch bei den Angiografie-Geräten.

Im konventionellen Röntgen war es für Mitarbeitende und Patienten neu, dass bei vielen Untersuchungen auf Strahlenschutzmittel verzichtet werden kann. Die Mitarbeitenden haben wir geschult und viel Verständnis dafür erhalten, dass z. B. der Ovarienschutz im Strahlenfeld, der schon länger nicht mehr empfohlen wurde, wegfällt. Werden die Mitarbeitenden entsprechend ausgebildet, lassen sich Vorbehalte einfach überwinden.

Redaktion: Wie handeln die MTR Ihrer Abteilungen nun, wenn Patienten doch einen Strahlenschutz wünschen?

Dr. Koops: Auf eine Strahlenschutz-Gonadenschürze bei der Thorax-Projektionsradiografie verzichten wir jetzt komplett, weil er keine Vorteile bringt. Wenn es die Psyche des Patienten allerdings beruhigt, ist der Einsatz solcher Schürzen, wenn sie nicht im Strahlenfeld liegen, dennoch gerechtfertigt. Auch ist zu berücksichtigen, dass zusätzliche Bleiabdeckungen außerhalb des Strahlenfelds in der interventionellen Angiografie durchaus hilfreich sind, um die Streustrahlung für das Personal im Untersuchungsraum zu reduzieren.

Wichtiger als manche Strahlenschutzmittel ist aber vor allem die optimale Lagerung und Einblendung des Strahlenfelds. Zudem sind bei oberflächlichen Strukturen wie der Schilddrüse oder der Brustdrüse die geräteseitigen Dosisreduktionsmöglichkeiten in der Art der sektoriellen Röhrenstromabschaltung gerade bei Patienten, die älter als 40 Jahre sind, gute Alternativen zu protektiven Abdeckungen im Strahlenfeld.

Redaktion: Wie kann die Schulung des Personals an den radiologischen Geräten vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der Fluktuation gewährleistet werden?

Dr. Koops: Ausreichende Schulungen zu gewährleisten, ist eine Herausforderung. Wir nutzen vermehrt die Möglichkeiten des digitalen Lernangebots mit vielen Bildern, Videoclips und interaktiven Fragen. Den individuellen Teil einer Einweisung können sie allerdings nicht ersetzen. Dafür brauchen wir eine gewisse Personalstärke im Team und die Bereitschaft, dass sich die Mitarbeitenden letztlich vielen Geräten zugeordnet fühlen und sich in diese genau einweisen lassen.

Viele Institute vereinheitlichen ihren Gerätepark, auch um diese Einarbeitung zu vereinfachen. Sie haben dann nicht immer das neueste Gerät im Markt und nicht zwingend die Innovationsbreite wie bei der gleichzeitigen Nutzung der Geräte verschiedener Hersteller, dafür aber relativ einheitliche Bedienoberflächen und die Möglichkeit gleichartiger Untersuchungsprotokolle. Das wiederum ermöglicht auch eine Remotesteuerung von außerhalb der Institutsräume. Dabei geht es nicht darum, die Geräte externen Dienstleistern anzuvertrauen, sondern in der Zukunft die Anwendung spezieller Protokolle vornehmlich im MRT an mehreren Standorten vorzuhalten und zu unterstützen.

Redaktion: Seit dem 01.01.2023 gilt die Reform des MT-Berufegesetzes. Welchen Einfluss hat das Gesetz auf die Qualitätssicherung?

Dr. Koops: Die praktische Ausbildung wurde erweitert, das Curriculum modernisiert und das E-Learning integriert. MTR dürfen mehr Tätigkeiten ausüben und lernen nun auch in der Schule, z. B. Pharmaka zu verabreichen. Die Qualität der Ausbildung hat sich sicherlich verbessert, viele Zwischenprüfungen werden absolviert. Aber in der Praxis stehen wir wegen der hohen Zahl der benötigten Praxisanleiterinnen vor erheblichen Schwierigkeiten. Hinzu kommt, dass für 15 Prozent der praktischen Ausbildungszeit die Praxisanleiterinnen den Auszubildenden zugeordnet sein sollen. Um das zu leisten, müsste man den Stellenschlüssel der Ausbildungsinstitute anpassen, doch gibt der Markt dieses Personal mit entsprechender Zusatzqualifikation gar nicht her.

Redaktion: Die von Ihnen genannte Zusatzqualifikation nimmt 300 Unterrichtsstunden in Anspruch, jährliche Auffrischungen für Praxisanleiterinnen sind vorgeschrieben. Wie stemmen Sie diesen Aufwand?

Dr. Koops: Diese Aufwertung ist für viele Institute schwierig umzusetzen, weil sie viel Zeit kostet. Zum Vergleich: Die Absolventen eines sehr breiten Spektrums aller möglichen medizinischen Ausbildungsberufe können in nur 90 Stunden à 45 Minuten einen Röntgenschein für das selbstständige Röntgen erlangen. Gleichzeitig sind nun ganze 300 Stunden von einer bereits ausgebildeten MTR gefordert, nur um die pädagogische Fähigkeit zu erlernen, das eigene Wissen weiterzugeben. Eine vermeintliche Dysbalance zeigt sich auch in den Aktualisierungsanforderungen: Das Wissen zum Strahlenschutz muss alle fünf Jahre für acht Stunden aufgefrischt werden. Die Praxisanleiterinnen sind hingegen pro Jahr für 24 Stunden zur pädagogischen Fortbildung. Der Zeitaufwand ist hier 15-mal so hoch.

Aus anderen Bereichen des Gesundheitswesens, in denen es ebenfalls nun die Praxisanleitung gibt, höre ich zudem von einem bedenklichen Trend: Nicht-Praxisanleiterinnen ziehen sich von der Verantwortung für die Auszubildenden zurück. Wo sich vorher alle in der Pflicht fühlten, entsteht nun Neid, weil die Praxisanleiterinnen eine besondere Stellung haben und etwas mehr Gehalt bekommen. Glücklicherweise habe ich die Zurückhaltung in der Ausbildungsunterstützung bei Nicht-Praxisanleiterinnen in unserer Radiologie noch nicht beobachtet.

Redaktion: Wie gelingt es, die Akzeptanz neuer Technologien z. B. zur Archivierung und zu künstlicher Intelligenz (KI) beim Personal zu fördern?

Dr. Koops: Sofern die neuen Techniken solide funktionieren, werden sie sehr gut angenommen. Wir haben z. B. die Nachrekonstruktion der multiplanaren Reformatierung im CT automatisiert. Das entlastet die MTR am Gerät erheblich. Dosismanagementsysteme überwachen die großen Datenmengen ständig, das wäre händisch nur noch schwer zu regulieren. KI-Algorithmen erleichtern die Arbeit der Ärzteschaft, Prozesse werden beschleunigt, es kann besser triagiert werden. Das wirkt sich positiv auf die Patientensicherheit aus.

Redaktion: Mit welchen Herausforderungen rechnen Sie für die Zukunft?

Dr. Koops: Wir brauchen geeignetes Personal. Für die optimale Nutzung der radiologischen Geräte müssen die Mitarbeitenden zunehmend spezialisiert sein, Praxisanleitungen sind eine pädagogische Herausforderung, auch für Qualitätssicherungsmaßnahmen ist geschultes Personal vonnöten. An den Medizinphysikexperten haben wir gesehen, was die Spezialisierung bedeutet. Wir müssen mehr ausbilden. Vivantes hat gerade eine neue MTR-Schule aufgebaut, um hier selbst auszubilden, doch sind auch Lehrkräfte schwer zu finden.

Die technische Entwicklung kommt uns eher entgegen, z. B. um die Vorgaben zum Strahlenschutz leitliniengerecht zu dokumentieren oder mithilfe von KI schneller zu befunden. Auch bei der Archivierung von Big Data sehe ich keine großen Datenschutzbedenken. Doch spezialisiertes Fachpersonal in adäquater Zahl zu gewinnen, ist die große Herausforderung. L

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