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Interview„FĂŒr die Akutmedizin ist das mobile Niedrigfeld-MRT eine Revolution!“

31.07.2023Ausgabe 8/20235min. Lesedauer

Die Neonatologie des UniversitĂ€tsklinikums Bonn (UKB) setzt ein mobiles MRT zur Diagnostik bei FrĂŒh- und Neugeborenen ein. Das GerĂ€t ist an einer deutschen Klinik bisher einmalig. Sein Einsatz geht auf Prof. Dr. Hemmen Sabir zurĂŒck, Oberarzt der Abteilung Neonatologie und pĂ€diatrische Intensivstation sowie Leiter der Experimentellen Neonatologie des UKB. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn nach seinen Erfahrungen mit dem mobilen MRT.

Redaktion: Was sind die technischen Besonderheiten des mobilen MRT?

Prof. Sabir: Es handelt sich um ein Niedrigfeld-MRT mit einer sehr geringen magnetischen FeldstĂ€rke von 0,06 Tesla. Der Magnet rotiert nicht um den Patienten. Stattdessen liegt der Patient zwischen zwei Magnetplatten, die in unterschiedlichen Frequenzen ein- und ausgeschaltet werden. Wegen der niedrigen FeldstĂ€rke können die Eltern bei ihrem Kind bleiben, ihm die Hand halten oder es mit einem Schnuller beruhigen. Das Kind braucht keine besondere Kleidung. Selbst Metallknöpfe am Schlafsack haben keinen negativen Einfluss, es gibt keine Artefakte. Einziges Ausschlusskriterium des Herstellers ist, dass der Patient keinen Herzschrittmacher haben darf. Eine Vorsichtsmaßnahme, die uns so gut wie nicht betrifft.

Redaktion: Was untersuchen Sie?

Prof. Sabir: Ein großer Schwerpunkt unserer Abteilung am UKB liegt neben der Versorgung von FrĂŒhgeborenen auf Neugeborenen, die mit einer Fehlbildung des Gehirns, des Herz-Lungen-Apparats oder des Magen-Darm-Trakts zur Welt kommen. Gerade bei diesen Kindern ist eine engmaschige Überwachung entscheidend, um die richtige Therapie zu finden und rechtzeitig einzugreifen. Patienten mit einer Zwerchfellhernie sind z. B. wochen- bis monatelang auf unserer Station, weil sie keine funktionsfĂ€hige Lunge haben und auf die Intensivmedizin angewiesen sind. Sie erhalten viele Medikamente und werden oftmals analgosediert. FĂŒr die Entwicklung ihres neugeborenen Gehirns kann dies relativ toxisch sein, zumal v. a. FrĂŒhgeborene ein sehr unreifes Gehirn haben.

In einer Studie möchten wir nun herausfinden, wann die vulnerable Phase der Hirnentwicklung ist und wie wir z. B. die Medikation und die Beatmung optimieren können. MĂŒssen wir die Kinder nach der Geburt tief sedieren, obwohl sie schwer krank sind? Oder macht das womöglich gar keinen Unterschied oder kann es sich negativ auswirken? Dazu vergleichen wir die Bildgebung des mobilen MRTs mit der Standard-Bildgebung des Ultraschalls.

Redaktion: Wie profitieren die Kinder?

Prof. Sabir: Bislang haben wir etwa 30 Neu- und FrĂŒhgeborene mit dem mobilen MRT untersucht. Das Kleinste wog 400 g. Eine kleine Gruppe waren ECMO-Patienten, bei denen sich individuell Hinweise auf einen Infarkt bzw. eine Hirnblutung ergeben hatten. Bisher war bei ihnen eine CT-Bildgebung notwendig, um zu entscheiden, ob es eine HirnschĂ€digung gibt, welche die Prognose des Patienten verĂ€ndert. Es war bei diesen instabilen Patienten ein großer und risikoreicher Aufwand, mit ihnen das GebĂ€ude zu wechseln, um sie in die radiologische Abteilung zu bringen. Nun können wir das mobile MRT an das Bett des Kindes heranrollen, sodass wir es maximal 60 cm bewegen mĂŒssen. Auch bei Neugeborenen mit anderen Indikationen hĂ€tten wir nicht die Möglichkeit gehabt, sie mehrmals ins MRT zu transportieren. Die Eltern hĂ€tten nicht eingewilligt, es hĂ€tte kaum einen Kosten-Nutzen-Vorteil gegeben. Das ist nun anders.

Redaktion: Werden die Kinder dabei sediert?

Prof. Sabir: Nein, das ist auch beim Standard-MRT heutzutage nicht mehr ĂŒblich. Bei Babys nutzen wir „feed-and-wrap“. Sie bekommen die Flasche oder die Brust. Wenn sie gut gesĂ€ttigt sind, werden sie eingepuckt. Sie schlummern und brauchen keine Sedierung. Ausnahmen gibt es bei speziellen Untersuchungen, die sehr lange dauern. Schwer erkrankte Kinder wie unsere ECMO-Patienten sind wegen ihrer Erkrankung ohnehin analgosediert.

Redaktion: Die Gretchenfrage lautet: Wie ist die BildqualitÀt des mobilen Niedrigfeld-MRTs?

Prof. Sabir: Je nach Alter der Patienten reicht sie von schlecht bis sehr gut. Bei einem extremen FrĂŒhchen, das nur wenige Hundert Gramm wiegt, ist der Ultraschall deutlich ĂŒberlegen, weil das Gehirn nur wenig myelinisiert ist. Verwenden wir aber die Bildgebung, um das Kleinhirn oder den Hirnstamm zu befunden, eignet sich der Ultraschall weniger gut. Ist die Fontanelle der Kinder geschlossen, also ab dem Alter von sechs bis acht Monaten, ist die BildqualitĂ€t des Niedrigfeld-MRTs extrem gut, deutlich besser als das CT.

Redaktion: Was heißt das fĂŒr die Erwachsenenmedizin?

Prof. Sabir: FĂŒr die Notfall- oder Intensivmedizin ist das GerĂ€t eine Revolution. Denn es hilft, eine akute Blutung, einen akuten Tumorprogress oder ein Trauma nach einem Unfall zu identifizieren. FĂŒr Kontrollen nach einer Operation oder einer Ventrikeldrainage eignet es sich sehr gut, da Komplikationen schnell ausgeschlossen werden können. Man darf aber nicht den Fehler begehen, zu denken, dass es das 1,5-Tesla-MRT ersetzt. Wenn es darum geht, feine VerĂ€nderungen zu beurteilen, ist das Niedrigfeld-MRT nicht das StandardgerĂ€t. Auch fĂŒr die Zahnmedizin, die kleine Strukturen im Zahnschmelz befundet, eignet es sich weniger.

Redaktion: Das UKB ist deutschlandweit die einzige Klinik, die das mobile MRT nutzt. Wie kommt das?

Prof. Sabir: Mein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist seit vielen Jahren die therapeutische Hypothermie – in Deutschland eine Standardtherapie bei Neugeborenen, die bei der Geburt einen Sauerstoff- und Durchblutungsmangel erlitten haben. In EntwicklungslĂ€ndern kommt der Sauerstoffmangel deutlich hĂ€ufiger vor, doch die KĂŒhlung ist dort nicht wirksam. Man bringt sogar mehr Kinder damit um. Dieses Thema und die Frage, warum das so ist, interessiert auch die Bill & Melinda Gates Foundation, die sich seit vielen Jahren fĂŒr eine bessere Gesundheit von MĂŒttern und Kindern in EntwicklungslĂ€ndern einsetzt. Ich werde von der Stiftung gefördert und gehöre einem wissenschaftlichen Konsortium an, das eine Studie in SĂŒdafrika zur therapeutischen Hypothermie vorbereitet. Bei einem unserer Meetings stellte die Bill & Melinda Gates Foundation die Firma Hyperfine vor, die das Niedrigfeld-MRT in den USA auf den Markt gebracht hat. Ich habe das GerĂ€t gesehen und so lange gefragt, bis ich eins bekommen habe.

Redaktion: Hat das GerÀt in Europa bereits eine Zulassung als Medizinprodukt?

Prof. Sabir: Nein, es ist noch nicht CE-zertifiziert, doch in den USA von der FDA zugelassen. FĂŒr den Hersteller steht der Akuteinsatz an Kopf und Gelenken im Fokus. Es bietet sich fĂŒr EntwicklungslĂ€nder an, weil es ĂŒberall eingesetzt werden kann, wo es eine Steckdose gibt. Sein Stromverbrauch ist nicht höher als der einer Kaffeemaschine. Die Stiftung hat 20 StĂŒck gekauft, von denen in Europa nur zwei klinisch eingesetzt werden, eines in London und eines bei uns. Acht sind in europĂ€ischen Forschungsinstituten, denen wir mit unseren Bildern z. B. helfen, die T2w zu optimieren.

Redaktion: Könnte das GerĂ€t in Zukunft fĂŒr Praxen und MVZ eine ErgĂ€nzung des GerĂ€teparks sein?

Prof. Sabir: Absolut. Es kostet 300.000 US-Dollar, also viel weniger als ein Standard-MRT. Da es wenig Strom verbraucht, ist auch der Unterhalt geringer. Niedergelassene Radiologen können schauen, wo das GerÀt seine Nische findet. Ich glaube jedoch, dass das GerÀt primÀr in Kliniken und der Akutmedizin eingesetzt werden wird.

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