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Interview„Die Radiologie spielt eine zentrale Rolle im medizinischen 3D-Druck-Prozess!“

30.06.2023Ausgabe 7/20235min. Lesedauer

Die Technologie des medizinischen 3D-Drucks etabliert sich zunehmend in der klinischen Praxis. Der Radiologie kommt eine Schlüsselrolle zu, da Bilddaten die Grundlage für viele Anwendungen sind. Robert Rischen ist Assistenzarzt an der Klinik für Radiologie des Universitätsklinikums Münster und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft (AG) Physik und Technik der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG). Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn, wie der medizinische 3D-Druck sich auf die Radiologie auswirken könnte.

Redaktion: Wo werden medizinische Produkte aus dem 3D-Druck eingesetzt?

Rischen: Wir unterscheiden zwischen anatomisch basierten und speziell designten Produkten. Anatomisch basierte 3D-Modelle werden für die Patientenaufklärung, die Kommunikation unter den Fachdisziplinen und die Lehre eingesetzt, um das Verständnis komplexer anatomischer Verhältnisse zu fördern. So kann z. B. eine Operation am patientenindividuellen Modell simuliert werden. Das Training an einem konkreten Modell hilft, die Aufgabe im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen und bringt bessere Ergebnisse als die rein visuelle Vorbereitung. Speziell entwickelte bzw. designte Produkte umfassen neben Instrumenten und Hilfsmitteln auch Bauteile für die Forschung.

Redaktion: Könnten anatomisch basierte und designte Produkte auch eine Symbiose bilden?

Rischen: Patientenindividuelle Medizinprodukte können aus anatomischen und designten Anteilen bestehen, beispielsweise in der Prothetik und bei Implantaten. Hat ein Patient z. B. eine Gesichtsverletzung, lässt sich auf Basis seiner Anatomie die gesunde Gesichtshälfte spiegeln und ein individueller Knochenersatz drucken. Perspektivisch wird auch das Bioprinting von Geweben und Organen relevant. Hierbei können wir von Schnittmengen zum Druck herkömmlicher Implantate ausgehen.

Redaktion: Es handelt sich um ein interdisziplinäres Thema. Welche Fachgebiete gehören dazu?

Rischen: Zunächst ist ein Techniker notwendig. Bei uns in Münster ist das ein Orthopäde, der außerdem Ingenieur ist – eine Sondersituation. Es kann auch ein Radiologe mit technischer Expertise sein. Zudem wird ein 3D-Designer benötigt, wenn über die reine Anatomie hinaus Produkte wie Instrumente oder OP-Schablonen hergestellt werden sollen. Radiologen liefern die Bilddaten und haben im besten Falle den gesamten Prozess im Blick. Für Spezialfragen ist es sinnvoll, Naturwissenschaftler im Team zu haben. Chemiker kennen sich mit der Oberflächenbeschaffenheit der 3D-Produkte aus. Biologen wissen, wie Gewebe aufgebaut sind und ob das gedruckte Produkt gewebeverträglich ist.

Redaktion: Das ist der engere Kreis. Wer kommt aus der Ärzteschaft hinzu?

Rischen: Anwendungen für den 3D-Druck gibt es fast für jedes Fach. In der Klinik ist das klassischerweise die Zahnmedizin mit 3D-Modellen für den Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Die Orthopädie und Unfallchirurgie benötigt z. B. Modelle des Beckens und der Wirbelsäule. Die Urologie kann ein Modell aus dem 3D-Drucker bei Harnwegsanomalien wie der ektopen Uretermündung zur besseren Therapieplanung nutzen. In der Gefäßchirurgie lassen sich die Gefäße darstellen. Nicht zuletzt können wir in der interventionellen Radiologie komplexe vaskuläre Anatomien vor der Intervention am Modell anschauen und das gefäßinterventionelle Verfahren simulieren.

Redaktion: Welche Kenntnisse aus der Radiologie sind für ein gutes Ergebnis beim 3D-Druck wichtig?

Rischen: Für den 3D-Druck braucht es ein Fach, das sowohl die Bildgebung als auch die Anatomie gut kennt. Damit sind wir bei der Radiologie. Wir bringen Kenntnisse der Bildakquisition, Visualisierung und Bilddatenverarbeitung sowie Wissen über den klinischen Kontext ein. Auch eine gezielte Kommunikation mit den Anforderern hinsichtlich spezieller Fragestellungen gehört fest in unseren Berufsalltag. Beispiel Neurochirurgie: Wer bestimmte Strukturen des Gehirns und der Gefäße darstellen will, muss bereits die zugrunde legende Bildgebung entsprechend wählen und dabei technische Voraussetzungen des 3D-Drucks u. a. zu Schichtdicke, Auflösung und Kontrast beachten.

Redaktion: Wie begleitet die Radiologie anschließend den Druckprozess?

Rischen: Wir stellen die Bilddaten bereit und fungieren als interdisziplinärer Übersetzer. Eine gute Qualität gelingt nur, indem anatomische und radiologisch-technische Expertise in den Prozess integriert wird. Denn wir verstehen, welches Produkt der Endanwender braucht und welche Daten für das Ausgangsbild nötig sind. Wenn wir diese Aufgabe nicht wahrnehmen, besteht die Gefahr, dass Radiologen zu Bildlieferanten verkommen. Alternativ können wir verantwortungsvoll den gesamten 3D-Druckprozess mit allen seinen Fragestellungen als „process owner“ begleiten. Die Frage ist, wie tief man sich einarbeiten und wie viel man investieren möchte.

Redaktion: Welche Rolle wird der medizinische 3D-Druck nach Ihrer Einschätzung in Zukunft in der Radiologie spielen?

Rischen: Es sind verschiedene Szenarien möglich. Ich denke, dass einige größere Kliniken 3D-Druck-Kapazitäten für die eigene Versorgung aufbauen werden. Zudem wird es wenige spezialisierte radiologische Zentren geben, die hochwertige 3D-Modelle anbieten. Dabei ist eine Integration von Dienstleistern auf verschiedenen Prozessstufen möglich. Eine andere Möglichkeit ist, dass ein Hersteller aus ohnehin vorliegenden Daten ein Modell fertigt. Dann wäre die Radiologie völlig raus. Radiologische Praxen können somit diskutieren, ob und wieweit der 3D-Druck für sie spannend ist. Neben dem hochwertigen Druck für professionelle Zwecke ihrer Zuweiser könnte eine Praxis Modelle zu Werbezwecken nutzen, um sie im Wartezimmer auszustellen oder um Patienten daran ihre Pathologien zu demonstrieren. Dann würde ein relativ preiswerter 3D-Drucker reichen.

Redaktion: Was brauchen radiologische Institute, um die neue Technik in ihre Arbeitsabläufe zu integrieren?

Rischen: Ergänzend zur Bildakquisition, meist CT und MRT, ist eine Software für die Bilddatenverarbeitung nötig. Diese gibt es in einer weniger performanten Version für den Einstieg auch als Freeware. 3D-Drucker für den Hobbybereich sind schon für wenige Hundert Euro zu haben. Industrielle 3D-Drucker können je nach Verfahren fünf- bis sechsstellige Summen kosten. Dann ist eine entsprechende Infrastruktur mit Reinräumen, spezieller Belüftung, Materiallager sowie Vor- und Nachbereitungsanlagen nötig. Wer das nicht investieren möchte, kann auch mit Anbietern kooperieren, die Fertigungsstraßen für Modelle haben.

Redaktion: Wie steht es um die Vergütung?

Rischen: Aktuell finanzieren wir uns über Forschungsgelder. Die GOÄ ist lange nicht aktualisiert worden, eine analoge Ziffer dürfte schwierig sein. Die gesetzlichen Krankenversicherungen übernehmen die Kosten nicht. In der Klinik könnten 3D-Modelle intern verrechnet werden. Der 3D-Druck ermöglicht individualisierte Anfertigungen und kostengünstige Kleinserien. Bei entsprechendem Nutzen für die Versorgung bzw. resultierenden Einsparungen an anderer Stelle findet sich dann auch jemand, der bereit ist, dafür die Kosten zu übernehmen. Wenn zum Beispiel ein 3D-Modell aus Daten, die sowieso vorlagen, eine halbe Stunde der teuren OP-Zeit einspart, ist das für die Klinik ein Gewinn. Denkbar ist auch, dass Patienten auf Selbstzahlerbasis die Kosten übernehmen.

Redaktion: Sie sind Vorstandsmitglied im Forum Junge Radiologie der DRG. Sind neue Techniken wie diese ein Argument, um Medizinstudierende für die Radiologie zu begeistern?

Rischen: Absolut. Die Radiologie ist ein hochinnovatives und interdisziplinäres Fach. Die Verzahnung mit dem 3D-Druck und anderen Technologien interessiert viele technikaffine Personen und demonstriert gleichzeitig einen Mehrwert für unsere Patienten. Entsprechend erhalte ich viele positive Reaktionen von Studierenden.

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