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Interview

„Wenn wir fĂŒr die Patienten das Maximum wollen, mĂŒssen wir die Daten aller FĂ€cher betrachten!“

29.06.2022Ausgabe 7/20226min. Lesedauer

„Smart Hospital“ beschreibt das ZusammenfĂŒhren von zahlreichen verfĂŒgbaren Gesundheitsdaten, seien sie prĂ€stationĂ€r, stationĂ€r oder poststationĂ€r. Auch Rehabilitation, Telemedizin und Daten aus Apps der Patienten werden bei diesem sektorenĂŒbergreifenden Ansatz einbezogen. Der Radiologe Prof. Dr. Felix Nensa ist seit MĂ€rz 2022 Professor fĂŒr Radiologie mit dem Schwerpunkt KĂŒnstliche Intelligenz (KI) an der Medizinischen FakultĂ€t der UniversitĂ€t Duisburg-Essen (UDE). Dort leitet er die Gruppe „KI und intelligente Krankenhausinformationsplattform“. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn, inwieweit die Radiologie eine SchlĂŒsselposition im „Smart Hospital“ besetzt.

Redaktion: Ihre Professur ist am Institut fĂŒr KĂŒnstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) angesiedelt, das Sie mitgegrĂŒndet haben. Was ist die Aufgabe des Instituts?

Prof. Dr. Felix Nensa: Im Gesundheitswesen werden viele Innovationen der nĂ€chsten 10 bis 20 Jahre aus Digital Health und KI kommen. Prof. Dr. Michael Forsting, Direktor des Instituts fĂŒr Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des UniversitĂ€tsklinikums Essen und Spiritus Rektor des IKIM, hat das visionĂ€r erkannt. Er vertrat die Ansicht, dass es auch in der medizinischen FakultĂ€t eine Institution geben muss, die die Innovationen durch Forschung begleitet und sie direkt in der Patientenversorgung anwendet. Die Patientenversorgung ist in die DNA des IKIM eingebaut, sodass es einen Mehrwert fĂŒr das Gesundheitswesen gibt.

Redaktion: Woran forschen Sie?

Prof. Dr. Felix Nensa: Wir arbeiten intensiv an Algorithmen der Bildsegmentierung. Bisher ist es ein sehr aufwendiger Prozess, Strukturen, die wir mittels MRT oder CT darstellen, millimetergenau zu vermessen. So ist es fĂŒr das Gesundheitssystem finanziell nicht darstellbar, tĂ€glich die Tumorlast von 40 Patienten prĂ€zise zu befunden. Über KI lĂ€sst sich die Messung automatisieren. Ein KI-Modell kann z. B. auch ein CT in wenigen Sekunden in Muskulatur, Fettgewebe, Knochen, Organe etc. mittels Body Composition Analysis (BCA) zerlegen und deren Volumina quantitativ exakt bestimmen. Die BCA funktioniert komplett automatisch und ist ohne jeden Zusatzaufwand möglich, denn ein CT wird ohnehin gemacht. Es reichen eine Grafikkarte und ein bisschen Strom, um einen zusĂ€tzlichen RisikoprĂ€dikator zu bekommen.

Redaktion: Wie profitieren andere FĂ€cher?

Prof. Dr. Felix Nensa: Das Fettgewebe ist fĂŒr die kardiovaskulĂ€re Medizin wichtig. In der Onkologie lĂ€sst sich Muskelschwund, die sogenannte Sarkopenie, genauer betrachten. Das schafft die Möglichkeit, das Risiko eines Patienten besser abzuschĂ€tzen und die Therapie daran anzupassen. Ein weiteres Beispiel ist die Transplantationsmedizin. Bei der Lebertransplantation gibt es immer wieder die Eltern-Kind-Spende. Das Organ muss vorher genau vermessen werden, um zu entscheiden, wie viele Anteile der elterlichen Leber das Kind bekommt. Ein Radiologe benötigt etwa eine halbe Stunde Zeit, um die anatomischen Strukturen der Leber zu vermessen und die Operation so zu planen, dass fĂŒr Elternteil und Kind genug Gewebe vorhanden ist. Auch da haben wir ein vollautomatisches KI-Modell konstruiert, das den Prozess beschleunigt und die Radiologie entlastet.

Redaktion: Gehen Sie davon aus, dass diese KI-Modelle marktfÀhig sind?

Prof. Dr. Felix Nensa: Bisher wenden wir sie im Forschungskontext an. Es ist sehr wertvoll, dass wir als UniversitĂ€tsklinikum, sozusagen am Point-of-Care, die wissenschaftliche Richtung weisen können. Da das Klinikum kein Medizinproduktehersteller ist, ist noch keine der Entwicklungen zugelassen. Wir wĂŒrden das gerne tun, doch fehlen uns die personellen Ressourcen. Wir haben allerdings Patente angemeldet und mit Finanzinvestoren gesprochen. Ein Nachteil ist, dass die Geldgeber in Köpfe investieren wollen. Ich mĂŒsste meine Professur aufgeben und in ein Start-up wechseln. WĂŒrde die Klinik ein Start-up grĂŒnden, wĂŒrde sie mit dem Personal ihre höchsten Werte fortgeben. Wir stellen uns daher einen langfristig interessierten strategischen Investor vor, der mit uns einen Start-up-Incubator aufbaut, der an das IKIM angebunden ist.

Redaktion: Dennoch haben kommerzielle Anbieter Digitalisierung und KI fĂŒr die Gesundheitsbranche lĂ€ngst entdeckt.

Prof. Dr. Felix Nensa: Ja, doch entwickeln große und kleine Konzerne sehr hĂ€ufig am klinischen Bedarf vorbei. Sie nehmen z. B. Deep Learning als Methode und suchen nach Problemen, die sich damit lösen ließen. Viel sinnvoller wĂ€re es, ins Krankenhaus zu gehen und zu fragen, wo der Schuh drĂŒckt. Auch ĂŒberlegen Informatiker, wie sie Radiologen helfen können, Bilder zu betrachten. Doch das Betrachten und daraus SchlĂŒsse zu ziehen, macht die Freude unserer Arbeit aus. Darin sind wir extrem effizient und brauchen meistens ĂŒberhaupt keine Hilfe. Viel besser wĂ€re es, wenn wir bei den ĂŒbrigen 80 Prozent unserer Arbeit, die weniger Spaß macht, entlastet wĂŒrden.

Redaktion: Sie haben zudem die „Smart Hospital Information Platform“ (SHIP) an der Essener UniversitĂ€tsklinik entwickelt und leiten sie. Welche Informationen liefern andere FĂ€cher an die Plattform?

Prof. Dr. Felix Nensa: Zwei der Professuren im IKIM kommen aus der Onkologie, eine aus der Medizininformatik und eine aus der Kardiologie ist zurzeit im Berufungsverfahren. In Essen gibt es kein Hauen und Stechen, eins und eins sind mehr als zwei. Die anderen Fachdisziplinen sehen, dass das IKIM methodisch die Ganzheitlichkeit fördert. Wenn wir fĂŒr einen Patienten das Maximale herausholen wollen, dann mĂŒssen wir ihn als Ganzes betrachten. Dabei helfen die Daten aller Disziplinen. Das Patient-Dashboard, das wir jetzt haben, wird mit jedem Eintrag automatisch synchronisiert. Es hilft massiv. Wir sind schneller und schreiben bessere Befunde.

Redaktion: Dennoch gibt es Ärztinnen und Ärzte, die mit der Digitalisierung hadern. Sie argumentieren, dass sie lieber behandeln als Daten einzugeben.

Prof. Dr. Felix Nensa: Dann ist die Digitalisierung dort fehlgeschlagen. Denn sie entlastet in Wirklichkeit ja. Vor 20 Jahren war es mit viel Archivarbeit, Telefonaten und Papierkram verbunden, ein aktuelles CT mit der Voruntersuchung des Patienten zu vergleichen. Heute sparen digitale Medien viel Zeit. Doch darf man die Dinge nicht vermischen: Digitalisierung und BĂŒrokratie sind zweierlei. Der Workload im Gesundheitswesen ist in den vergangenen 20 Jahren extrem gestiegen. Die Dokumentation hat stark zugenommen. Auch die Bildgebung wird von Jahr zu Jahr stĂ€rker nachgefragt. Doch sollte die Digitalisierung, wenn sie richtig gemacht ist, den bĂŒrokratischen Aufwand eigentlich reduzieren. Man kann natĂŒrlich sagen: GĂ€be es die Digitalisierung nicht, wĂ€re der Workload nicht so angestiegen. Aber das kann nicht die Lösung sein.

Redaktion: Ihr Werdegang ist beeindruckend. Sie studierten parallel Medizin an der Ruhr-UniversitĂ€t Bochum und in Straßburg sowie Informatik an der FernuniversitĂ€t Hagen. Warum reichte ein Studium nicht aus?

Prof. Dr. Felix Nensa: Als ich Abitur machte, mussten junge MĂ€nner noch Wehr- oder Zivildienst leisten. Ich war damals wie ein trockener Schwamm, wollte lernen und eine Zivistelle, die mich fordert. Über mehrere Ecken stieß ich auf ein Forschungsinstitut, das sich mit LungenkrebsfrĂŒherkennung beschĂ€ftigte. Dessen Leiter erkannte schnell mein Interesse. Er ließ mich eine Forschungsdatenbank erweitern und VortrĂ€ge vorbereiten. Nach einem Jahr hatte ich die Befundungssoftware im Institut komplett neu entwickelt und um mehrere Features erweitert. Dieser Leiter empfahl mir, Medizin zu studieren, da man so in Wissenschaft und Forschung breit aufgestellt sei. Um meine IT-FĂ€higkeiten weiterzuentwickeln, schrieb ich mich an der FernuniversitĂ€t ein. 24 Stunden am Tag reichten schließlich nicht mehr aus, als ich zusĂ€tzlich in ein Start-up einstieg. Daher setzte ich das Informatikstudium nicht fort, sondern machte das Staatsexamen als Mediziner. Als ich 30 wurde, entschied ich mich endgĂŒltig fĂŒr die Medizin. Radiologie war wegen der digitalen Inhalte naheliegend, die Detektivarbeit fand ich immer spannend. Ich wollte an ein UniversitĂ€tsklinikum, möglichst progressiv. Essen stach heraus, denn der Standort war nicht nur in der Forschung sehr gut, sondern es gab auch eine extrem gute Truppe von IT-lern in der radiologischen IT. Die waren total froh, dass ein Radiologe ihre Sprache spricht.

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