Start-up „Als Dienstleister in der Teleradiologie haben wir eine enorme Verantwortung!“
Die Fachärztin für Radiologie PD Dr. med. Nora Sommer gründete im Oktober 2021 das Start-up Raya Diagnostics, dessen Co-CEO sie ist. Raya Diagnostics hat sich auf Teleradiologie spezialisiert. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte die Gründerin, was ihr Unternehmen anbietet und was sie persönlich dazu bewog, in die Wirtschaft zu wechseln.
Redaktion: Raya Diagnostics bietet Teleradiologie rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. Was beinhaltet Ihr Service?
Dr. Sommer: Wir haben am Markt eine Sonderstellung, da wir nicht nur die klassische Teleradiologie nach Strahlenschutzgesetz anbieten, sondern auch Software entwickeln. In der Teleradiologie unterstützen wir mit Raya-Service unsere Kunden, wenn in ihren Häusern nachts oder am Wochenende kein Radiologe mehr vor Ort ist oder als Urlaubsvertretung sowie als Konsilleistung im stationären Setting. Als Softwarenentwickler bieten wir mit Raya-One eine Plattform zur standortübergreifenden Vernetzung für Klinikverbünde zum Lastausgleich oder zur teleradiologischen Nutzung.
Redaktion: Wie gestaltet sich der digitale Workflow der Teleradiologie?
Dr. Sommer: Wir sind tief in die RIS-Systeme unserer Kunden integriert. So müssen wir kein zusätzliches Webportal dazuschalten. Die Anwender in den Kliniken haben in ihrem RIS zwei Buttons, über die sie mit unserer Radiologie kommunizieren. Über den ersten Button bekommen wir die Stammdaten des Patienten, Anamnese, Laborwerte und Fragestellung, um die rechtfertigende Indikation zu stellen. Unser Radiologe legt das Protokoll fest. Wie in der Klinik auch, sieht die MTR diese Information im System. Nach der Untersuchung werden die Bilder über den zweiten Button an uns versendet. Wir schreiben den Befund, der automatisch ins RIS übermittelt wird. Es ist, als würde jemand von Raya im Nebenraum sitzen. Auch nachgelagerte Prozesse wie die Abrechnung werden angestoßen.
Redaktion: Wie schnell kann Ihr Service einen Befund liefern?
Dr. Sommer: Das hängt von der Vertragsvereinbarung und den gesetzlich vorgegebenen Zeiten ab. Wir bedienen das komplette Leistungsspektrum. Bei Polytraumen und Schlaganfällen schauen wir online direkt drauf. Oft haben unsere Radiologen die Kollegen im Schockraum am Telefon. Andere Untersuchungen sind nach Dringlichkeit gestaffelt. Wir befunden auch nach Routineuntersuchungen, bei denen 24 oder 48 Stunden Zeit ist.
Redaktion: Wer sind Ihre Kunden?
Dr. Sommer: Wir bedienen Häuser aller Art, vom Grund- bis zum Maximalversorger. Einige nutzen unseren Service nur am Wochenende oder als Urlaubs- und Krankheitsvertretung. Wir bieten auch Spezialexpertisen an. Einige Häuser versorgen wir z. B. nur neuroradiologisch.
Redaktion: Externe Dienstleister einzukaufen, ist immer ein besonderer Kostenpunkt. Ist Ihr Service für Ihre Kunden wirtschaftlich oder die teure Ausnahme, wenn es gar nicht anders geht?
Dr. Sommer: Das hängt vom Volumen ab. In der Regel spart der Kunde Arzt- und MTR-Kosten. Im Schnitt sind es bei den ärztlichen Vergütungen 40 Prozent gegenüber dem Honorararzt und 21 Prozent gegenüber der Rufbereitschaft. Plant ein großer Maximalversorger hingegen, eine komplette Stelle dauerhaft über uns zu besetzen, ist es nicht günstiger. Doch muss man sich die Fälle individuell anschauen. Die interventionelle Radiologie wird beispielsweise gut vergütet. Hat eine Abteilung einen großen Schwerpunkt im Bereich der Intervention, kann es für sie wirtschaftlicher sein, die Nachtdienste auszulagern, damit die Fachärzte tagsüber am Tisch stehen können.
Ein weiterer Punkt ist, Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten. Wenn wir die Wochenenddienste übernehmen, kann ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden am Wochenende freigeben. Wir überbrücken auch Personalmangel. Steht z. B. bereits fest, mit welcher Oberärztin eine freie Stelle besetzt wird, sie aber noch in einem anderen Arbeitsverhältnis ist, können wir hier überbrücken. Auch auf MTR-Seite spart ein Haus Kosten. Sie sind am Arbeitsplatz zufriedener, wenn ihr Workflow einfacher wird und sie nicht mehr viel telefonieren und copy-pasten, sondern stattdessen nur wenige Buttons klicken müssen. Mit der Teleradiologie und einem volldigitalisierten Workflow lassen sich pro Jahr 300 MTR-Stunden sparen.
Redaktion: Welche Qualifikationen haben die Radiologen und Radiologinnen, die für Ihr Unternehmen tätig sind?
Dr. Sommer: Im Team arbeiten ausschließlich Festangestellte, die zu 80 Prozent eine Oberarztstelle hatten oder haben. Bedingt durch die Notfalldiagnostik ist die Neuroradiologie unser größter Schwerpunkt. Doch auch Kardio- und Prostatadiagnostik sowie Kinderradiologie gehören dazu. Nur Mammadiagnostik wird von unseren Zuweisern nicht nachgefragt.
Redaktion: Raya Diagnostics hat rund 50 Angestellte. Was können Sie diesen Menschen bieten, was eine Klinik, ein MVZ oder eine radiologische Praxis nicht bieten kann?
Dr. Sommer: Die wenigsten unserer Radiologinnen und Radiologen arbeiten ausschließlich für uns, sondern sind auch in einer Praxis oder einer Klinik beschäftigt. Nach meinem Gefühl ergibt sich dadurch eine gute Synergie, durch die wir Expertise im Gesundheitssystem halten. Viele sind in der Klinik nicht ganz glücklich und würden in die Wirtschaft wechseln. Bei uns können sie radiologisch arbeiten und gleichzeitig mitgestalten, denn bei uns geben sie den maßgeblichen Input für unsere Softwareentwicklung. Unmittelbar an besseren Prozessen mitzuarbeiten, kennt man aus der Klinik kaum.
Außerdem ist unser Anspruch, dass die Radiologen sich um nichts kümmern müssen. Sie sollen von zu Hause aus arbeiten können und ideale Voraussetzungen haben, um zu befunden. Wenn der Workflow nicht passt, können wir ihn schnell anpassen, weil wir das Portal selber programmieren.
Redaktion: Welche Aufgaben übernimmt Kollege KI?
Dr. Sommer: Mir gefällt das Bild von der KI als Co-Pilot. Ein Beispiel: Wir haben als Teleradiologieanbieter viele Notfälle. Wenn nahezu gleichzeitig Bilder von fünf Notfall-CTs des Schädels auf der Plattform ankommen, triagiert die KI, wer einen Schlaganfall und wer eine Blutung hat. Die übrigen Bilder können später befundet werden. Nachts um drei Uhr ist ein Co-Pilot, der als zweites digitales Augenpaar unterstützt, zudem sehr sinnvoll.
Redaktion: Sie haben vor Gründung des Start-ups zehn Jahre lang an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Radiologin gearbeitet. Wieso haben Sie als Ärztin ein Start-up gegründet?
Dr. Sommer: Ursprünglich war meine Karriere sehr darauf ausgerichtet, universitäre Forschung an der LMU zu betreiben. Dort habe ich mich habilitiert, dort bin ich Privatdozentin. Parallel hätte ich gerne teleradiologisch gearbeitet, habe aber am Markt kein überzeugendes Angebot gefunden. Ein „window of opportunities“ ergab sich, als ich meine Mitgründer, den Kaufmann Christoph Commes und den Softwareentwickler Tobias Höfler, kennenlernte. Mir war klar, dass das Fenster sich bald schließen könnte. Also habe ich mich entschieden. Jeder von uns dreien bringt seine Fachexpertise mit, das funktioniert sehr gut.
Redaktion: Wie ließ sich Ihr Vorhaben finanzieren?
Dr. Sommer: Zunächst haben wir selbst investiert. Unsere Familien und einige Freunde waren ebenfalls davon überzeugt, dass Telemedizin in Zukunft ein wichtiger Bestandteil der Patientenversorgung sein wird. Zum Glück waren wir nicht darauf angewiesen, uns auf Start-up Börsen zu präsentieren, um Investoren zu finden.
Redaktion: Wie halten Sie sich darüber auf dem Laufenden, was in den radiologischen Instituten geschieht?
Dr. Sommer: Wir haben hier im Hause alle zwei Wochen eine radiologische CME-Fortbildung, an der ich teilnehme. Ich lese das RadiologenWirtschaftsForum und andere Fachpublikationen, bin gut auf LinkedIn vernetzt, besuche den RöKo und andere Veranstaltungen. In der DRG gehöre ich dem Netzwerk Diversity@DRG an.
Redaktion: Würden Sie den Wechsel aus der Klinik in die Wirtschaft Ihren Kolleginnen und Kollegen empfehlen?
Dr. Sommer: Für mich war es die beste Entscheidung, doch man muss es mögen. Für „First-time-founder“ ist vieles Neuland, wenn man aus der Universitätsmedizin kommt. Jeden Tag kann man sich weiterentwickeln und an neuen Herausforderungen wachsen. Und es gibt eine völlig neue Perspektive: Plötzlich ist man Dienstleister. Wir haben bei Raya eine extrem große Verantwortung für sehr viele Menschen: das eigene Team, die zuweisenden Kollegen und vor allem die Patienten.
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