„Ein Austausch zwischen Radiologie und Geburtshilfe wäre perfekt!“

Bei der Geburt eines Kindes spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle: Größe und Form des knöchernen Beckens der Gebärenden, die Kraft der uterinen Kontraktionen, die Größe des kindlichen Kopfes, seine Verformbarkeit sowie seine Haltung. Besteht ein Kopf-Becken-Missverhältnis, kann eine natürliche Geburt zum Risiko für Mutter und Kind werden. Es kann zu einer längeren Geburt oder sogar zum Stillstand kommen. Dem könnte vorgebeugt werden, wenn in Zukunft Geburtsabläufe durch die MRT virtuell simuliert werden. Auch fetale Fehlbildungen lassen sich mit MRT-Untersuchungen deutlich präziser erkennen. Dr. Anna Dückelmann ist Oberärztin an der Klinik für Geburtsmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sie erläutert gegenüber Ursula Katthöfer (textwiese.com), wie die Bildgebung zu mehr Sicherheit für Mutter und Kind beitragen kann.

Redaktion: Beginnen wir mit der Schwangerschaft und dem Wohl des ungeborenen Kindes. Welche Rolle spielen dort die Radiologie und speziell die MRT?

Dr. Dückelmann: Obwohl es zu fetalen Fehlbildungen von Hirn, Herz oder anderen Organen sehr viele Fragestellungen gibt und diese Auffälligkeiten im MRT präzise und mit zusätzlichen Informationen erkannt werden können, haben wir kaum Radiologinnen und Radiologen, die sich damit befassen. Bei uns an der Charité haben wir eine Oberärztin, die für das fetale MRT verantwortlich zeichnet. Lange gab es nur in Wien Prof. Dr. Daniela Prayer, die sich ihr Leben lang auf fetale Fehlbildungen spezialisiert und ein Zentrum gegründet hatte. Es kam zu einem regelrechten Tourismus. Aus allen Teilen Deutschlands reisten schwangere Frauen nach Wien, um ihr ungeborenes Kind untersuchen zu lassen. Diese Situation hat sich Gott sei dank in den letzten Jahren in Deutschland verbessert.

Redaktion: Hätte man die Bilder nicht einfach von deutschen Instituten nach Wien senden können, statt die werdenden Mütter einer Reise auszusetzen?

Dr. Dückelmann: Es handelt sich nicht um banale Untersuchungen. Das Kind darf sich während der MRT so wenig wie möglich bewegen. Daher muss die Mutter spezifisch betreut werden. Auch müssten MTR geschult werden, um Schwangere speziell zu lagern und Artefakte zu vermeiden. Das große Problem ist jedoch, dass die Radiologie in Deutschland sich kaum mit Schwangerschaft und Geburt befasst, diese Themen kommen in der Facharztausbildung meines Wissens kaum vor. Radiologen lernen nicht, das Becken sonografisch zu befunden, weil dabei eine transvaginale Untersuchung notwendig ist. Sie verwenden keine transrektale Sonde, sondern setzen eher CT oder MRT ein, obwohl zahlreiche Fragestellungen sich sonografisch lösen ließen. Hat eine Frau Unterbauchschmerzen, hört die Untersuchung in der Radiologie oftmals beim Appendix auf. Auch auf Kongressen findet praktisch kein Austausch zwischen Radiologie sowie Gynäkologie und Geburtsmedizin statt. Für die Radiologie gibt es Veranstaltungen rund um den Ultraschall des Abdomens, wir besuchen die Veranstaltungen zu fetalen Fehlbildungen. Dabei wäre eine Überlappung perfekt.

Redaktion: Wie kommt es zu dieser strikten Trennung?

Dr. Dückelmann: Das hat historische und kulturelle Gründe. Die Röntgenstrahlung verhinderte, dass die Radiologie sich mit der Schwangerschaft befasst. In vielen Häusern gab es zudem bis vor etwa 20 Jahren jeweils eine Sonografeurin für den gynäkologischen Ultraschall, den machte also immer eine Frau. Als Geburtshelfer schallen wir zum Glück selbst, um das Schätzgewicht zu messen und die kindliche Lage sowie Einstellung, Haltung und Höhenstand des Köpfchens zu eruieren. So bleibt alles in einer Hand, wir können die Patientin gleichzeitig fragen, ob etwas schmerzt und erhalten einen kompletten Eindruck von ihr und dem Zustand des Kindes, ohne auf die Angaben anderer angewiesen zu sein.

Redaktion: Womit wir bei der Geburt angekommen wären. Wie werden Umfang, Einstellung und Haltung des kindlichen Kopfes üblicherweise in Geburtskliniken bestimmt?

Dr. Dückelmann: Den Leitlinien folgend werden diese Parameter sub partu digital bestimmt. Eine Bildgebung ist in der low-risk Population nicht Pflicht. Dennoch wird die Sonografie routinemäßig durchgeführt und hat sich durchgesetzt. Um abschätzen zu können, wie der Geburtsverlauf etwa sein wird und ob eine vaginale Geburt möglich ist, ist eine sonografische Untersuchung zeitlich betrachtet gegen Ende des dritten Trimesters akzeptabel. Bei uns ist zusätzlich eine Sonografie zu Geburtsbeginn Standard. Zudem lassen sich per Ultraschall auch Plazenta, Fruchtwassermenge und Gebärmutterhals beurteilen. Studien zufolge gibt es in Häusern, die sonografisch untersuchen, unter der Geburt weniger Komplikationen. Dennoch beäugen viele Hebammen die Bildgebung grundsätzlich kritisch. Knackpunkt ist, dass es sich bei der Sonografie um eine ärztliche Tätigkeit handelt. Hebammen fühlen sich in ihrer Kompetenz beschnitten. Dabei ist das überhaupt nicht so gemeint.

Redaktion: Von der Pelvimetrie ist man abgekommen. Warum?

Dr. Dückelmann: Das Becken der Mutter kann man unter der Geburt nicht messen. Auch ein schwangeres Becken sonografisch zu messen, ist schwierig. Doch sind die Beckenmaße für die Geburt weniger maßgeblich als Gewicht und Kopfumfang des Kindes. Bei Beckenendlage-Geburten ist es anders. Wünscht die Mutter eine vaginale Geburt statt einer Sectio, übernehmen die Krankenkassen sogar eine Untersuchung im MRT. An der Charité machen wir das allerdings nicht. Aus unserer Sicht ist evidenzbasiert, dass wir mit der Sonografie den Kopf- und Abdomenumfang präzise messen können.

Redaktion: Dennoch spielt die MRT eine große Rolle. Im Jahr 2010 gab es an der Charité eine Weltpremiere, eine Geburt im offenen MRT. Es lief alles glatt, dennoch blieb es bei dieser einen Geburt. Warum?

Dr. Dückelmann: Es war sehr schwierig, von der Ethikkommission eine Genehmigung zu bekommen. Um die Sicherheit von Mutter und Kind zu gewährleisten und jederzeit eine Not-Sectio machen zu können, müssen Kreißsaal und MRT sehr nah beieinander liegen. An der Charité waren die Geburtsräume und ein offener 1,0-Tesla-Kernspintomograph zufällig nebeneinander auf der gleichen Etage, das ließ sich also realisieren.

Um die Herztöne des Kindes überwachen zu können, musste eine besondere MRT-kompatible CTG-Lösung gefunden werden. Das Ganze war sehr teuer. Auch gab es Kritik seitens der Öffentlichkeit. In Doha in Katar ist heute in jedem Kreissaal ein MRT-Gerät, um bei gewissen Fragestellungen eine kurze Sequenz machen zu können. Das ist in Deutschland allein aus Kostengründen unvorstellbar.

Redaktion: Bezog sich die Kritik an der MRT sub partu damals auf die hohe Geräuschbelastung für das Kind?

Dr. Dückelmann: Auch. Doch dauerte die MRT-Untersuchung nur bis zum Blasensprung. Die Fruchtblase wurde nicht geöffnet, sie sprang erst bei Geburt des Kopfes. Man weiß, dass das Fruchtwasser die Lautstärke um 30 Dezibel reduziert. Die Lautstärke lag daher während der MRT im Bauchraum immer unter 90 Dezibel, das ist zu rechtfertigen.

Das im Jahr 2010 geborene Kind ist inzwischen 13 Jahre alt, es wurde mehrfach untersucht und ist wohlauf.

Redaktion: Wie nutzen Sie die Bilder von 2010 heute für Forschung und Lehre?

Dr. Dückelmann: In der Geburtsmedizin nutzen wir bis heute die Leopold’schen Handgriffe, um die Gebärende zu untersuchen. Sie sind über 100 Jahre alt. Doch wie die Geburtsmechanik am Ende der Geburt verläuft, wussten wir lange nicht. Wie stellt sich der Kopf ein? Wie ist seine Haltung? Wie verformt er sich? Was passiert mit dem Beckenboden? Das ist hochspannend und extrem zuträglich, um beispielsweise zu verstehen, wann unter der Geburt ein vaginaloperativer Eingriff sicher durchgeführt werden kann und welche Bewegungen mit der Saugglocke notwendig sind. Rotation und Hochsteigen des Köpfchens kann man im MRT sehr gut simulieren und den Studierenden zeigen.

Digital lässt sich das nicht beurteilen und sonografisch ist die dreidimensionale Darstellung wegen des Kopfschattens ebenfalls nicht möglich.

Redaktion: Gibt es weitere Forschungsergebnisse?

Dr. Dückelmann: Durch Untersuchungen vor Geburtsbeginn haben wir weitere MRT-Bilder von 31 Schwangeren. Daran konnten wir zeigen, dass die sonografische Beurteilung des Höhenstands des kindlichen Kopfes zur MRT komplett gleich ist. All diese Bilder zeigen wir in der Lehre als Film oder 3D-Aufnahmen, um zu vermitteln, wie sich der kindliche Kopf bewegt und sich zum Becken verhält. Das lässt sich mit der MRT super darstellen. Allerdings dauern diese Untersuchungen beispielsweise zu fetalen Fehlbildungen 30 Minuten. Ein so langer Zeitraum wäre unter der Geburt unzumutbar. Es wäre ein fantastischer Fortschritt, wenn es in Zukunft eine schnellere Technik gäbe.

Redaktion: Würden mehr MRT-Untersuchungen unter der Geburt zu mehr Kaiserschnitten führen?

Dr. Dückelmann: Erfahrungsgemäß würden es weniger. Denn wenn ich von vornherein eine Sectio plane, brauche ich keine Bildgebung. Sie ist nur dann notwendig, wenn eine Entscheidung getroffen werden muss. Wenn beispielsweise eine Patientin, die bei der ersten Geburt einen Geburtsstillstand und eine sekundäre Sectio hatte, bei der zweiten Geburt vaginal gebären möchte, würde man in Doha kurz vor der Entbindung vielleicht eine MRT machen und danach entscheiden. Die große Euphorie, die wir vor über zehn Jahren hatten, ist zunichte, weil Schwerpunkte anders gesetzt wurden und Ressourcen fehlen. Nicht nur in der Ausstattung, sondern gerade auch bei der Manpower.

Vielen Dank!