„Die Kinderradiologie ist bei der Krankenhausreform bislang vergessen worden!“

Die Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR) gründete sich vor über 60 Jahren mit dem Ziel, kinderradiologische Qualitätsstandards nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entwickeln und Kindern die bestmögliche bildgebende Diagnostik zu ermöglichen. Was bedeutet das heute angesichts neuer Strahlenschutzrichtlinien und Künstlicher Intelligenz (KI)? Dies sind nur zwei der Themen, die PD Dr. Thekla von Kalle, Präsidentin der GPR und Ärztliche Direktorin der Kinderradiologie am Olgahospital des Klinikums Stuttgart, mit Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) besprach.

Redaktion: Die 61. GPR-Jahrestagung findet im September unter dem Motto „Kinderradiologie 2024 – So bunt wie das Leben“ statt. Was macht die Kinderradiologie so bunt?

Dr. von Kalle: Wir sind ein Fach mit einem sehr breiten Spektrum. Manche unserer Patienten sind noch gar nicht geboren, andere sind fast erwachsen, dazwischen liegt das gesamte Altersspektrum. Bunt sind wir auch im Hinblick auf die Diagnosen und den Umgang mit unseren Patienten. Denn mit einem Frühgeborenen müssen wir ganz anders umgehen als mit einem ängstlichen Kleinkind oder einem pubertierenden Jugendlichen. Von den sehr unterschiedlichen, altersspezifischen Differenzialdiagnosen ganz zu schweigen.

Redaktion: KI hat ihren Platz in der Radiologie längst gefunden. Welchen Nutzen hat sie in der Kinderradiologie?

Dr. von Kalle: Die Nutzung der KI für die Knochenalterbestimmung ist in unserem Fach am weitesten verbreitet. Das Skelettalter ist sehr wichtig für die Endokrinologie und die Wachstumsbestimmung zur Planung orthopädischer Maßnahmen. Händisch das Skelettalter anhand der linken Hand zu bestimmen, ist vor allem bei Abweichungen sehr zeitaufwendig, da alle Knochen der Hand mit Standards verglichen werden müssen. Das kann die KI deutlich schneller und oft auch genauer als ein Radiologe. Allerdings kann der Computer nicht erkennen, ob es überhaupt eine normale linke Hand ist, also keine Knochenerkrankung oder genetische Erkrankung vorliegt. Dazu braucht es die kinderradiologische Expertise.

Ansonsten haben wir in der Kinder- und Jugendradiologie ähnliche KI-Themen wie in der Erwachsenenradiologie. Um Lungenmetastasen zu erkennen, ist KI beispielsweise für uns sehr hilfreich. Bei der Entwicklung spezifischer KI haben wir jedoch das Problem der geringen Zahlen, da Krankheitsgruppen bei Kindern häufig klein sind. Es gibt nicht die große Masse an Daten wie bei Erwachsenen mit Darmkrebs oder einem Prostatakarzinom. Da ist internationale Zusammenarbeit erforderlich.

Redaktion: Welche neuen Technologien eignen sich darüber hinaus gut?

Dr. von Kalle: In der MRT hilft jede Technik, die die Untersuchung beschleunigt. Denn für Kinder sind ja weder die Röhre noch das Geräusch das Problem, sondern die Langeweile. Die Photon Counting CT ist noch nicht so weit verbreitet, dass sie in der Kinder- und Jugendradiologie etabliert ist. Aber es gibt einige Arbeitsgruppen an Universitätskliniken. Dort wird derzeit verifiziert, ob die Vorteile für Kinder so groß sind wie anfangs angenommen.

Redaktion: Wie lassen sich junge Medizinerinnen und Mediziner für die Kinderradiologie begeistern?

Dr. von Kalle: Das Thema Nachwuchs ist für alle Fächer wichtig. Bei uns kommt noch dazu, dass die Kinder- und Jugendradiologie in der Bevölkerung eher unbekannt ist. Wir müssen Studierende erst einmal auf die Idee zu unserem Fach bringen. Zusätzlich zum Röntgenkongress nutzen wir unsere eigene Jahrestagung, die in diesem Jahr im September in Erlangen stattfindet, um Nachwuchs auf uns aufmerksam zu machen. Wir haben spezielle Angebote für Studierende und bieten reduzierte Kongressbeiträge, damit sie teilnehmen können.

Redaktion: Welche Rolle spielt dabei die Junge Kinderradiologie (JuKiRad) der GPR?

Dr. von Kalle: Ich war damals noch als Vizepräsidentin der GPR eine der Ideengeberinnen, diese Gruppe zu gründen. Die JuKiRad ist inzwischen eine sehr lebhafte, aktive Gruppe, die vorwiegend online Angebote für junge Radiologen und junge Kinderradiologen macht. Es gibt regelmäßig Videokonferenzen zu berufspolitischen Themen, zu Fallvorstellungen und zur Karriereplanung, aber auch persönliche Treffen auf den Kongressen. Das Kernteam hat sich gefunden und es läuft wunderbar. Auch die Teilnehmerzahlen bei den Onlineveranstaltungen können sich sehen lassen.

Redaktion: Auch die Kinderradiologie steht unter ökonomischem Druck. Wie ist die Situation vor dem Hintergrund der Krankenhausreform?

Dr. von Kalle: Für die gesamte Radiologie als Querschnittsfach ist es ein großes Problem, dass sie in der Krankenhausreform kaum erwähnt wird. Trotz Expertenempfehlungen werden im bisherigen Entwurf nur Geräte aufgelistet, die vorgehalten werden müssen. Es ist nicht davon die Rede, dass es auch Radiologen geben muss, die die Bilder bewerten. Das ist wieder das Problem der Masse: Bei der Krankenhausreform geht es sehr um häufige Diagnosen. Da fallen Querschnittsfächer und kleinere Fächer wie die Kinderradiologie hinten runter. Doch wir müssen dafür sorgen, dass wir gehört werden. Wir sind der Deutschen Röntgengesellschaft sehr dankbar, dass sie gemeinsam mit uns sowie der Fachgesellschaft der Neuroradiologie interveniert hat. Auch mit Pädiatern und Kinderchirurgen sind wir in Kontakt getreten. Denn es braucht ja nicht nur Geräte, sondern auch Menschen, die für eine gute Bildqualität sorgen, die Kinder untersuchen können und die die Bilder fachlich und altersgerecht interpretieren. Das ist bislang vergessen worden.

Redaktion: Ein Problem vieler Kliniken ist, dass Untersuchungen und Behandlungen von Kindern sich nicht lohnen, wenn die Kinder nicht stationär aufgenommen werden, um über Nacht zu bleiben. Wie ist das bei der Kinderradiologie?

Dr. von Kalle: Das betrifft das Thema Ambulantisierung. Weil es so wenig Pflegekräfte gibt, ist jede Nacht, die ein Patient nicht im Krankenhaus verbringt – organisatorisch betrachtet – gut für die Klinik. Aber finanziell ist sie eine Katastrophe. Das ist kein spezielles Problem unseres Fachs, sondern grundsätzlich ein Problem bei der Behandlung von Kindern in der Klinik. Die Liegezeiten sind generell sehr kurz und jetzt wegen des Personalmangels manchmal noch kürzer. Das führt dazu, dass Kinderklinken noch weniger Umsatz machen. Der Schritt zur Ambulantisierung ist zeitgemäß, sie muss vorangetrieben werden. Aber es muss eine adäquate Finanzierung dahinterstehen. Das Stichwort lautet „tages- oder teilstationär“. Patienten werden tagsüber diagnostisch und therapeutisch wie in der Klinik betreut, verbringen die Nacht aber möglichst zu Hause. Speziell für Kinder gibt es dazu zwar einen DRG-Katalog des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), doch sind die Preise noch nicht abschließend verhandelt.

Redaktion: Sie sind seit September 2022 Präsidentin der GPR. Was konnten Sie bereits erreichen?

Dr. von Kalle: Ein Punkt ist tatsächlich, dass die Junge Kinderradiologie so einen guten Start hatte. Es freut mich ungemein, dass es jetzt so gut läuft. Andere Dinge haben wir gemeinschaftlich erreicht. Wir haben unsere eigenen Leitlinien aktualisiert und uns an sehr vielen pädiatrischen Leitlinien beteiligt. Dann gab es die Neuauflagen der Empfehlungen der Strahlenschutzkommission und der Leitlinie der Bundesärztekammer. Uns zu beteiligen, war zum einen fachlich wichtig für unsere Patienten und zum anderen gut, damit unser Fach wahrgenommen wird.

Redaktion: Was soll sich in nächster Zukunft bewegen?

Dr. von Kalle: Die Krankenhausreform wird in den nächsten Jahren eine berufspolitische Herausforderung bleiben. Wir werden dazu weiterhin den Schulterschluss mit den Radiologen und mit den pädiatrischen Fächern pflegen.

Vielen Dank!

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