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HaftungsrechtUrteil: Radiologen müssen Nebenbefunde mitteilen

30.11.2023Ausgabe 12/20234min. Lesedauer
Von Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Rainer Hellweg, Hannover

Ein Radiologe, dem ein Patient mit der Befundbeschreibung „Kopfschmerzen“ zum MRT überwiesen wird, dürfe auch vor einem sichtbaren Nebenbefund außerhalb des Gehirnschädels nicht die Augen verschließen. So bewertete es im dort entschiedenen Fall das Oberlandesgericht (OLG) Dresden. Was der Radiologe in solch einer Situation tun sollte, zeigt der folgende Artikel auf (Urteil vom 10.10.2023, Az: 4 U 634/23).

Sachverhalt

Bei dem Sachverhalt, den das OLG Dresden zu entscheiden hatte, ging es um einen 24-jährigen Patienten, der sich bei seinem Hausarzt wegen Kopfschmerzen vorstellte. Dieser überwies ihn zum MRT. Seitens der Radiologen wurde – nach durchgeführtem MRT – im Arztbrief an den Hausarzt ein altersentsprechender und unauffälliger Befund geschildert.Über ein halbes Jahr später begab sich der Patient wegen Tinnitus und Schwindels in HNO-ärztliche Behandlung. Im weiteren Verlauf der Diagnostik ergab ein CT destruierende Knochenveränderungen sowie eine ausgedehnte Cholesteatombildung am linken Felsenbein. In zwei Operationen mussten das Cholesteatom sowie Jahre später ein Rezidiv entfernt werden, es verblieb jedoch eine Facialisparese.

Der Vorwurf des Patienten im Prozess: Die Befunderhebung und Auswertung des MRT durch die Radiologen seien grob behandlungsfehlerhaft gewesen. Die sichtbare Läsion sei nicht beschrieben und eine weitere Befunderhebung nicht veranlasst worden. Die Radiologen hätten darauf hinweisen müssen, dass die Läsion mit der Diagnose eines Cholesteatoms vereinbar gewesen sei und daher ein CT schon damals – viel früher – hätte eingeholt werden müssen. Bei einer rechtzeitigen Diagnose und Behandlung hätte ein weiteres Wachstum des Cholesteatoms vermieden werden können. Die bleibende Facialisparese sowie weitere persistierende Beeinträchtigungen wie Gleichgewichtsstörungen, Schmerzen im Gesicht und im Ohrbereich hätten dem Patienten erspart bleiben können. Er forderte daher im Gerichtsverfahren ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens rund 40.000 Euro sowie weiteren Schadenersatz.

Entscheidungsgründe

Das Gericht wies die Klage ab und verneinte im Ergebnis einen Haftungsanspruch gegen die Radiologen. Allerdings sei dem Radiologen, der das MRT seinerzeit befundete, durchaus ein Behandlungsfehler vorzuwerfen. Zu dieser Bewertung kamen die Richter deshalb, weil der Radiologe die auf den Bildern zu sehende Läsion nicht als Nebenbefund beschrieben habe. Zu den Pflichten, die einen Radiologen bei einer Überweisung träfen, stellte das OLG fest: Der Radiologe, dem ein Patient mit einer bestimmten Fragestellung zur weiteren Untersuchung überwiesen wird, könne sich nicht auf den Auftragsumfang beschränken. Aufgrund der ihm gegenüber dem Patienten obliegenden Fürsorgepflicht habe er für die Auswertung eines Befunds all die Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für gebotene Maßnahmen zu nehmen, die er aus seiner radiologischen Sicht unter Berücksichtigung der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der Behandlungssituation feststellen müsse. Vor in diesem Sinne für ihn erkennbaren „Zufallsbefunden“ dürfe er nicht die Augen verschließen.

Der vom Gericht im Prozess beauftragte Sachverständige war zu dem Schluss gekommen, dass auf dem MRT in der linken Felsenbeinspitze sowie im linken Mastoid eine Signalalteration erkennbar gewesen sei, die weite Teile des Innenohrs einschließlich der Cochlea und der Bogengänge betroffen habe. Dass dies nicht erkannt und vom Radiologen nicht in den Arztbrief an den Hausarzt aufgenommen worden sei, sei als Behandlungsfehler des Radiologen zu qualifizieren – so die Beurteilung des OLG Dresden. Die Richter stuften dies als Diagnosefehler, nicht als Befunderhebungsfehler ein. Infolge dieser juristischen Zuordnung zur Behandlungsfehlerkategorie Diagnoseirrtum verneinte das Gericht eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten. Da dieser den Beweis für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Diagnoseirrtum des Radiologen und dem eingetretenen Schaden nicht führen konnte, verlor der Patient den Prozess.

Zu der Frage des Kausalzusammenhangs hatte der Gerichtssachverständige ausgeführt, dass es sich um ein primäres (d. h. genuines) Cholesteatom gehandelt habe, das über viele Jahre aus embryonalversprengten Epithelinseln langsam entstanden sei. Zwar sei durch den Diagnostikfehler des Radiologen eine Verzögerung des Behandlungsverlaufs von rund eineinhalb Jahren eingetreten. Jedoch sei eine relevante und für die Kausalität der auch postoperativ verbliebenen Gesichtsnervenlähmung wesentliche Größenzunahme in diesem Zeitraum als wenig wahrscheinlich anzusehen.

Fazit

Dass der Prozess mangels Beweisbarkeit der Kausalität letztlich zugunsten der Behandlerseite und der Radiologen ausging, ändert nichts an der Feststellung des Diagnose- und Behandlungsfehlers seitens des Gerichts. Die Radiologen hätten den sichtbaren Nebenbefund, auch wenn sich dieser außerhalb des Gehirnschädels befand, mitteilen müssen.

Abhängig von der konkreten Fallkonstellation kann es nicht ausreichend sein, die Mitteilung eines Nebenbefunds „nur“ mittels Erwähnung im Arztbrief vorzunehmen. Wenn weitere Diagnostik oder Behandlung eilig erforderlich ist, kann für den Radiologen zusätzlich eine unverzügliche telefonische Kontaktaufnahme mit dem Hausarzt oder Weiterbehandler geboten sein, um zweifelsfrei sicherzustellen, dass die Information nicht „untergeht“. Um sich für einen möglichen späteren Haftungsprozess zu wappnen, sollte der Radiologe das Telefonat in seiner Dokumentation kurz schriftlich festhalten.

Weiterführender Hinweis

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