Arbeitswelt im Wandel„New Work bedeutet: Führungskräfte müssen Verantwortung abgeben und Kontrolle behalten!“
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) verändern nicht nur die Prozesse an den Röntgen-, CT- und MRT-Geräten, sie ermöglichen auch Remote-Scanning, Board-Meetings per Videokonferenz, Telemedizin und die Befundung aus dem Homeoffice. Im Zuge dieser Transformation verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben. Mitarbeitende haben neue Ansprüche an die Sinnhaftigkeit ihres Berufs, sie möchten mitgestalten. Der Begriff New Work beschreibt diesen strukturellen Wandel. Nicht zufällig ist dies eines der Schwerpunktthemen des Röko 2025. Dr. Charlotte Rüther ist Fachärztin für Radiologie und Chefärztin an der Klinik für Neuroradiologie des RoMed-Klinikums Rosenheim. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte sie, welche Gestaltungsmöglichkeiten sich mit New Work verbinden.
Redaktion: Sie empfehlen Kliniken, individuelle Arbeitszeitmodelle und hybrides Arbeiten zu etablieren. Wie lässt sich dieser Arbeitsstil in einer radiologischen Klinik einführen?
Dr. Rüther: Wir haben viele unterschiedliche Arbeitszeitmodelle – Teilzeitreduzierungen in unterschiedlichen Prozenten, z. B. die klassische Vier-Tage-Woche in 80 Prozent, aber auch Vollzeitmodelle an vier Tagen. Es ist ebenso möglich, variable Stunden über Tage zu verteilen. Wir arbeiten seit zwei Jahren mit einem zentralen, digitalen Kommunikationstool. Daher ist die klassische Frühbesprechung zwar noch ein zentraler Treffpunkt am Morgen, aber wir teilen wichtige Informationen digital, um unsere Teilzeitkräfte nicht vom Informationsfluss abzuschneiden. Unser hausinternes Projekt „Virtuelle Radiologie“ wird unter anderem drei Heimarbeitsplätze ermöglichen, die es unseren Eltern aus der Umgebung erlauben, flexibler von daheim zu arbeiten und sich lange Pendelstrecken zu sparen.
Redaktion: Gibt es strukturelle Voraussetzungen für diese individuellen Arbeitsmodelle?
Dr. Rüther: Eine Grundvoraussetzung ist die frühe Planung. Wir erstellen unseren Quartals-Dienstplan immer einen Monat vor dem neuen Quartal und die Arbeitsplatzverteilung bis zu vier Wochen im Voraus. So wissen alle, wie sie ihre Freizeit planen können. Durch die flexibleren Arbeitszeiten können wir unsere Mitarbeitenden über eine größere Zeitspanne am Tag verteilen und somit auch Früh- und Spätdienste gut abdecken, ohne in kostspielige Dienstmodelle zu rutschen.
Redaktion: Ergeben sich weitere Vorteile?
Dr. Rüther: Wir entlasten die Mitarbeitenden, in dem sie Berufliches und Privates deutlich besser vereinen können. Das führt zu einer höheren Zufriedenheit, die wiederum zu mehr Engagement und weniger Krankheitstagen führt. Die Medizin wird weiblicher, Frauen besetzen erfreulicherweise immer mehr Führungspositionen. Ich stelle auch fest, dass ebenso Männer, beispielsweise in Oberarztpositionen, das Family-Sharing-Konzept schätzen. Damit ermöglichen wir Raum für Männerrollen in der Familiengestaltung. Es ist immer noch schwierig, Führungspositionen mit der Familie zu vereinbaren. Gute Familienkonzepte ermöglichen das beiden Elternteilen auf gleicher Ebene.
Redaktion: Neue Strukturen bedeuten, sich von alten, eingespielten Arbeitsabläufen zu trennen. Wo treten während des Transformationsprozesses Hindernisse auf?
Dr. Rüther: Mangelndes Personal im klinischen Alltag ist das größte Hindernis. Je mehr wir bei Patientenarbeit und Bildbefundung am Limit arbeiten, desto eher fallen wir in alte, gewohnte Strukturen zurück. Deshalb ist es so wichtig, Innovationen schrittweise einzuführen. Die Mitarbeitenden müssen bereit sein, mitzugehen. Es ist allerdings illusorisch zu glauben, dass sich das perfekte Umfeld für alle generieren lässt. Manchmal verlässt Personal die Abteilung.
Redaktion: Junge Ärztinnen und Ärzte sowie MTR wünschen sich Eigenverantwortung im Beruf, sie möchten selbst entscheiden. Wie lässt sich dieser Wunsch erfüllen?
Dr. Rüther: Ich beobachte eher, dass die Eigenverantwortung im schulischen, durchstrukturierten Medizinstudium verloren geht. Studierende bekommen vieles auf dem Silbertablett serviert. Sogar das Wissen auf den Lernplattformen ist so strukturiert, dass sie ideal auf das Examen vorbereitet sind. Wenn Studierende dann plötzlich Assistenzärzte sind, ist eine Selbstorganisation und Eigenverantwortung zu reaktivieren, um zum Beispiel für die ersten Falldemonstrationen zu motivieren.
Für mich ist es deshalb enorm wichtig, dass jeder einen Teil zur Organisation beiträgt. Kleine Aufgaben sind beispielsweise, als Gerätebeauftragter die Anlagen zu betreuen oder den Fortbildungsplan für die Assistenzärzte aufzustellen. Davon ausgehend kann die Verantwortung sich langsam steigern. Ich bin froh über eigenverantwortliche Mitarbeitende.
Redaktion: Die Kompetenzen einzuschätzen und Verantwortung zu delegieren, erfordert viel Vertrauen. Was heißt das für Sie als Führungskraft?
Dr. Rüther: Man muss lernen loszulassen, ohne dass damit ein Kontrollverlust einhergeht. Das klappt mithilfe von Reporting. Die Verantwortungen sind verteilt und in einer Exceltabelle für jeden einsehbar. Zur Reportingstruktur gehören Meetings der Leitungen, der Oberärzte, der Assistenzärzte und der MTR, mit jeweils angehängtem Protokoll. So kann jeder Mitarbeitende präsentieren, wofür er verantwortlich ist und die Führungskraft kann sehen, ob sie stärker führen muss. Für mich war das Allerwichtigste zu erkennen, dass ich Verantwortung abgeben kann, ohne den Überblick zu verlieren.
Redaktion: Nun haben Sie schon mehrmals das Thema Kommunikation angesprochen. Was bedeutet Kommunikation bei New Work und New Leadership?
Dr. Rüther: Feedbackkultur und Transparenz über die Kommunikation sind sehr wichtig. So müssen Mitarbeitergespräche dokumentiert werden. Denn es kann passieren, dass Führungskraft und Mitarbeitender sich auf verschiedenen Ebenen über eine Sache unterhalten und aneinander vorbeireden. Wichtig ist dabei ganz besonders, den Mitarbeitenden zuzuhören und herauszufinden, was sie bewegt. Was fordern und erwarten sie? Selbst wenn ich die Wünsche nicht erfüllen kann, erfahre ich, was sie möchten. Um das Personal langfristig an die Klinik zu binden, muss ich die genannten Ziele einplanen.
Redaktion: Welche Kontrollinstrumente braucht es zusätzlich zu Gesprächen, um zu messen, ob die Aufgaben wie besprochen erledigt werden?
Dr. Rüther: In der Radiologie können wir täglich sehen, was die Mitarbeitenden an Untersuchungen befundet haben. Wenn meine Oberärzte merken, dass sich ein Assistenzarzt in Mikroaufgaben verliert, können sie nach dem Grund fragen und Unterstützung anbieten.
Redaktion: New Work verändert auch die Beziehungen der Mitarbeitenden untereinander. Der Begriff Coopetition (Cooperation & Competition) beschreibt Zusammenarbeit bei gleichzeitigem Wettbewerb. Wie lässt sich das realisieren, wenn zum Beispiel zwei Personen sich auf eine Oberarztstelle bewerben?
Dr. Rüther: Das ist sehr individuell. Bei gleichwertigen Bewerbern muss ich als Führungskraft analysieren, wer von der Persönlichkeit her am besten auf die Stelle und ins Team passt. Möglich wäre auch, dass zwei Personen sich die Position teilen, sofern sie zusammenarbeiten können. Über Neueinstellungen entscheiden mein Co-Chefarzt und ich. Dennoch holen wir immer das Feedback des jeweiligen Teams ein, also der Oberärzte, Assistenzärzte oder MTR. Zuvor hospitiert jeder Bewerber für einen Tag und rotiert durch die gesamte Abteilung.
Redaktion: New Work bedeutet auch, Innovationen zu fördern. Was könnte das in einer radiologischen Abteilung sein?
Dr. Rüther: Für uns ist die Einführung eines neuen PAC-Systems und die damit einhergehende Umsetzung einer virtuellen und orchestrierten Radiologie die größte Innovation. Grundlage generell für Innovationen ist in meinen Augen jedoch zunächst die Etablierung von standardisierten Abläufen. Vor der Transformation muss sozusagen erst einmal aufgeräumt werden, damit die Mitarbeitenden den Kopf für Verbesserungen und Erneuerungen frei haben. Standards und Automatisierung beginnen bei einfachen Dingen wie automatisierten Aufhängungen von Untersuchungen, standardisierten Untersuchungsabläufen und Befundung.
Redaktion: Weg von der Hierarchie, hin zur Partizipation. Wie gut ist die Radiologie auf die neue Form der Unternehmenskultur vorbereitet?
Dr. Rüther: Die Medizin inklusive der Radiologie hat klare Strukturen vom Studium bis zur Chefarztposition. Von dieser Hierarchie wegzukommen, ist nicht möglich und in meinen Augen nicht notwendig. Aber mir sind demokratische Strukturen innerhalb der Hierarchie wichtig. Jede Person kann aus ihrer Position Vorschläge machen und ihren Beitrag leisten. Ein anderer Aspekt ist die Siez-Kultur. Ich lasse mich nicht siezen. Das mag eine persönliche Note sein, doch für mich überwiegen die Vorteile. Wir haben im Team alle die gleichen Ziele, nämlich eine optimale Patientenversorgung bei hervorragender Qualität. Das zu erreichen, ist im freundschaftlichen, kollegialen Austausch für mich deutlich angenehmer.
Redaktion: Was bedeutet es für die Fachkräftegewinnung, wenn New Work keine Priorität hat?
Dr. Rüther: Für mich führt kein Weg daran vorbei, wenn wir in Zukunft qualifizierte Mitarbeitende halten möchten, die motiviert sind, in einem hochfrequenten und stressigen Job zu arbeiten. Ich möchte in junge Menschen investieren. In unserer Klinik erwarten wir viel von ihnen, sie müssen ihre anspruchsvollen Rollen ausfüllen. New Work bedeutet für mich keine Philosophie des Zurücklehnens am Arbeitsplatz, sondern sollte der Motor für einen grundlegenden strukturellen Wandel in der modernen medizinischen Arbeitswelt sein. Es eröffnet unseren Mitarbeitenden die Chance, Beruf und Leben innerhalb und außerhalb der Klinik optimal miteinander zu vereinen.
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