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Interview„In der Radiologie müssen wir für den Nachwuchs attraktive Karrieremöglichkeiten schaffen!“

31.01.2022Ausgabe 2/20227min. Lesedauer

Je stärker der Fachkräftemangel, desto wichtiger die gute Organisation der ärztlichen Weiterbildung und die Förderung der medizinischen Veröffentlichungen der Nachwuchsärzte. Prof. Dr. med. Konstantin Nikolaou ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Tübingen. Zudem ist er „President elect“ der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) und Schriftleiter der RöFo, seit fast 100 Jahren Fachorgan der DRG. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn, wie Talente entdeckt und gefördert werden können.

Redaktion: Ihre Abteilung hat etwa 50 Ärzte, 70 technische Assistenten sowie 40 bis 50 Personen im weiteren Dienst. Wie erkennen Sie bei dieser Größe junge Talente?

Prof. Dr. Nikolaou: Bei den Assistenzärztinnen und -ärzten beginnt die Talentsuche bereits im Auswahlverfahren. Wir haben zum Glück eine gute Bewerbungslage. Bei den Studienabgängern schauen wir in den Unterlagen nach besonderen Merkmalen. Das können explizit nicht nur gute Noten, sondern auch extracurriculare Interessen oder z. B. ein Zweitstudium sein. Wer nach dieser Papierlage eingeladen wird, ist fachlich sicherlich gut. Wir nehmen uns dann jedoch einen ganzen Tag Zeit für eine Hospitation, um die Kollegen wirklich kennenzulernen. Dabei geht es an diesem Tage vor allem um Teamfähigkeit und das Menschliche. Zusätzlich zu einem strukturierten Bewerbungsgespräch begleitet der Bewerber an diesem Tag verschiedene Assistenten und Oberärzte, sodass wir uns einen guten Eindruck verschaffen können.

Redaktion: Wie fördern Sie die Forschungsideen des Nachwuchses, wenn er dann eingestellt ist?

Prof. Dr. Nikolaou: Es läuft andersherum: Wir erwarten grundsätzlich, dass unsere ärztlichen Nachwuchskräfte an unserer Universitätsklinik auch forschen. Wer bei uns anfängt, sollte also grundsätzlich Forschungsinteresse mitbringen – am besten z. B. durch eine abgeschlossene Promotion nachweisen können – und wissen, auf welche Forschungsthemen er Lust hat. Die Kollegen dürfen sich die Forschungs-Themen während der Einarbeitungsphase, in der sie alle Bereiche kennenlernen, aussuchen. Wir teilen die Themen also nicht primär zu, sondern lassen unseren neuen Beschäftigten die Wahl nach eigenem Interesse.

Redaktion: Wie lange haben die angehenden Fachärzte für Radiologie Zeit, um sich für ein Forschungs-Thema zu entscheiden?

Prof. Dr. Nikolaou: Die wissenschaftliche „Kennenlernphase“ dauert sechs bis zwölf Monate. In dieser Zeit sollten sie sich orientieren und Anschluss an eine Arbeitsgruppe finden. Die Weiterentwicklung der radiologischen studentischen Lehre an der Universität ist eine Ergänzung bzw. auch Alternative zur Forschungstätigkeit und ebenfalls wichtig. Neue Lehrangebote und Ideen zur Lehrforschung sind damit ebenso willkommen.

Redaktion: Stellen Sie den Nachwuchskräften Mentoren zur Seite?

Prof. Dr. Nikolaou: Ja, auf mehreren Ebenen. Sie werden schon vor der Ankunft mit allen nötigen Informationen versorgt. Gleich am ersten Tag erhalten sie für das On-Boarding eine Einarbeitungsmappe. Als Mentor stellen wir ihnen eine Assistentin oder einen Assistenten zur Seite, die/der selbst erst wenige Jahre bei uns ist. Das ist Mentoring auf Augenhöhe. Als zweite Ebene folgt der Assistentensprecher, der dritte Mentor ist ein Oberarzt oder Bereichsleiter. Ich selbst nehme mir in der ersten Woche Zeit für ein Gespräch, um zu fragen, ob der Neuzugang gut angekommen ist. Netzwerke fördern wir lokal, z. B. über Assistentenversammlungen, aber auch national und international, z. B. über Teilnahme am Programm „Forscher für die Zukunft – FFZ“ des Forums Junge Radiologie der deutschen Röntgengesellschaft, sodass junge Kollegen ihre Peers kennenlernen können. Informelle Treffen wie unser traditionelles Sommer- und unser Weihnachtsfest sowie auch gerne einmal eine informelle Runde in unserem Aufenthaltsraum am Freitagabend gehören auch dazu. Wir schützen und führen unsere Nachwuchskräfte auch durch eine Einarbeitungsrotation von mehreren Wochen, damit sie alle Bereiche einmal kennenlernen, bevor die volle Rotation beginnt.

Redaktion: Wie schätzen Sie Förderprogramme speziell für junge Radiologinnen ein?

Prof. Dr. Nikolaou: Zunächst gibt es formale Förderprogramme, so bietet die Medizinische Fakultät des Universitätsklinikums Tübingen z. B. das TÜFF-Programm an, um Habilitandinnen zu fördern. Sie werden für eine gewisse Zeit freigestellt, können an Seminaren teilnehmen und erhalten ein zusätzliches Mentoring, neben der Forschungszeit für die Habilitationsthemen. Bei uns habilitieren sich erfreulicherweise viele Kolleginnen. Doch die Förderung von Ärztinnen darf nicht nur an einem konkreten Programm hängen. Wir bieten jedes Teilzeitmodell an. Einige Kolleginnen reduzieren ihre Arbeitszeit täglich, andere setzen an ganzen Tagen aus – je nach den Bedürfnissen der Familie. Die Radiologie ist für flexible Arbeitszeiten prädestiniert. Das Angebot gilt für Männer selbstverständlich genauso. Noch wird es von Frauen stärker nachgefragt, doch das wird sich, denke ich, immer mehr ausgleichen.

Redaktion: Ein Referat bei einem – möglicherweise internationalen – Kongress kann ein guter Karrierebaustein sein. Fördern Sie das?

Prof. Dr. Nikolaou: Wer zu uns kommt, soll auch Kongresse besuchen und Vorträge halten. Ich frage schon bei der Mitarbeiterauswahl, ob es Erfahrung mit öffentlichen Auftritten gibt – z. B. im Rahmen von Hobbies wie musikalischen Auftritten. Als Radiologen sind wir oft auf einer „Bühne“, wir moderieren z. B. klinische Demonstrationen und Tumorboards und diskutieren klinische Fälle häufig vor verschiedenen Fachgruppen. Man muss nicht unbedingt ins Rampenlicht wollen, doch sicher und kompetent vorgetragene Präsentationen sind wichtig. Deshalb übernimmt unsere Abteilung bei eigenem Vortrag auch in der Regel die Kosten für Kongressreisen. Wenn wir uns großen Veranstaltungen wie dem Deutschen Röntgenkongress oder den größeren internationalen Kongressen nähern, halten die Assistenten in der Frühbesprechung ihre Vorträge zur Probe. Alle anderen machen auf konstruktive Art Verbesserungsvorschläge. Unabhängig davon geben Arbeitsgruppenleiter und Oberärzte Hinweise. Jeder ist anfangs bei Vorträgen nervös, doch Routine lässt sich lernen.

Redaktion: Effizienz spielt im Gesundheitswesen eine zentrale Rolle. DĂĽrfen die ZĂĽgel bei der Weiterbildung auch mal lockerer sein?

Prof. Dr. Nikolaou: Wir sind in der guten Situation, nicht zu knapp besetzt zu sein. Deshalb können wir wissenschaftliche Freiräume gewähren. Das liegt auch daran, dass wir uns stetig um Drittmittelprojekte bemühen. Wir signalisieren den jungen Kollegen aber auch, dass wir Engagement erwarten. Wir bieten eine gute Ausbildung, Dienstreisen, Mentoring, Networking und die Möglichkeit, akademische Titel zu erwerben. Im Gegenzug erwarten wir eben auch Einsatz in Forschung und Lehre, auch dass einmal vor einer Deadline abends oder am Wochenende an einem Abstract oder einer Publikation gearbeitet wird.

Redaktion: Lassen Sie uns noch über Ihre Rolle als RöFo-Schriftleiter sprechen. Junge Radiologen können ihre Karriere durch Veröffentlichungen in renommierten Fachorganen vorantreiben. Wie unterstützen Sie beim ersten Paper?

Prof. Dr. Nikolaou: Der unerfahrene Assistent wird ja nicht vor das leere Blatt gesetzt, sondern schreibt seine ersten Manuskripte als Teil eines erfahrenen Teams und kann sich an anderen orientieren. Es gibt Schemata in der Gestaltung wissenschaftlicher Publikationen, die man zunächst einmal erlernen muss. Manchen gelingt das Schreiben von Anfang an sehr gut, andere tun sich schwerer. Der Letztautor und Corresponding Author ist erster Ansprechpartner. Alle Arbeitsgruppenleiter wissen, dass sie die jungen Autoren anfangs betreuen müssen. Es geht am Anfang sicherlich nicht ohne interne Qualitätskontrolle.

Redaktion: Haben Nachwuchsärzte während der Pandemie mehr Zeit, um an ihren Papern zu arbeiten?

Prof. Dr. Nikolaou: Wir hatten tatsächlich sowohl in unserer Abteilung als auch was die Submissionen an die RöFo anging 2020 ein überdurchschnittliches Jahr. Auch in 2021 scheinen wir mehr Papers als in den Jahren zuvor zu haben. In jedem Fall gab es viele Veröffentlichungen zu COVID-19. Andererseits war auch medizinisch in den radiologischen Abteilungen viel zu tun. Unsere Leistungszahlen und unsere Arbeitsbelastung waren 2021 auf dem Niveau von 2019. Doch die fehlenden Dienstreisen haben etwas Luft für Papers verschafft.

Redaktion: Was sind geeignete Angebote, um gute Nachwuchskräfte nach der Facharztausbildung zu halten?

Prof. Dr. Nikolaou: Der Facharzt ist in der Radiologie ein hohes Gut. Um ihn zu halten, müssen die Arbeitsbedingungen stimmen. Wir bieten zweierlei an: Zum einen ein Fellowship, sodass sich jeder spezialisieren kann. Denn nach fünf Jahren Facharztausbildung ist niemand ganz „fertig“ mit der radiologischen Ausbildung und eine fachliche Vertiefung macht sicherlich Sinn. Zum anderen machen wir konkrete und planbare Angebote zu einer zukünftigen möglichen Leitungsfunktion. Die Angebote müssen für die Kandidaten individuell angepasst und attraktiv sein. Dabei helfen regelmäßige Mitarbeitergespräche.

Redaktion: Welche Rolle spielen Angebote zu einer ausgeglichenen Work-Life-Balance?

Prof. Dr. Nikolaou: Als ich mit meiner medizinischen Karriere begann, haben junge Ärzte sich nicht gefragt (oder nicht getraut zu fragen), wie viele Dienste sie am Wochenende haben. Das ist heute anders. 24-Stunden-Schichten gibt es nicht mehr, es sammeln sich weniger Überstunden an. Und die Assistenten tauschen sich heute auch intensiv mit Kollegen in anderen Kliniken aus. Sie wissen sehr genau, wie die Arbeitszeiten dort sind. Das bedeutet auch, dass die Karrieremöglichkeiten attraktiv sein müssen, damit Nachwuchskräfte auch mal eine private Stunde opfern.

Redaktion: Wir haben nun aus Ihrer Perspektive als Ärztlicher Direktor und RöFo-Schriftleiter gesprochen. Doch was wünschen sich die jungen Radiologen? Was kommt bei ihnen besonders gut an?

Prof. Dr. Nikolaou: Ein nettes Team. An jedem Morgen gerne an seinen Arbeitsplatz oder in seinen Befundungsraum zu gehen und dort freundlich angenommen zu werden, ist in meinen Augen fast am wichtigsten. Primär müssen natürlich die Rahmenbedingungen stimmen, aber unabhängig davon ist die Stimmung im Team entscheidend.

Vielen Dank!

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