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Translationale Forschung„Wir haben die funktionelle Bildgebung für die präklinische Forschung an Insekten etabliert!“

30.10.2024Ausgabe 11/20246min. Lesedauer

Der „Young Investigator Award 2024“ der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) ging in diesem Jahr an Dr. Anton George Windfelder. Er ist kein Radiologe, sondern als Zoologe und Immunologe in der Experimentellen Radiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen beschäftigt. Zudem ist er Teamleiter am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie. Wie interdisziplinär seine Forschung ist, schildert er im Gespräch mit Ursula Katthöfer (textwiese.com).

Redaktion: Die DRG hat Sie mit dem Young Investigator Award 2024 ausgezeichnet. Worum geht es in Ihrer Forschung?

Dr. Windfelder: Unsere Forschung konzentriert sich auf den Einsatz der Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta [Anm. d. Red.: eine Schmetterlingsart]) als Modellorganismus zur Untersuchung entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn (MC) und Colitis Ulcerosa (CU). Mit diesen großen Raupen entwickeln wir neue Methoden zur Diagnose und Behandlung von Darmkrankheiten und reduzieren damit die Notwendigkeit für klassische Tierversuche an Wirbeltieren.

Redaktion: Mit welcher Technik visualisieren Sie anatomische Strukturen im Darmtrakt von Insekten?

Dr. Windfelder: Wir nutzen fast alles, was die Radiologie und die Nuklearmedizin zu bieten haben. Die Raupen sind groß genug für klinische CT, MRT, PET und Sonografie. Interessanterweise reicht ein 1,5-Tesla-Gerät aus, um die Darmwand der Tiere darzustellen. Aber natürlich benutzen wir auch hochauflösende Geräte wie unser Mikro-CT oder Mikro-PET, die extra für Kleintiere wie Mäuse entwickelt wurden. Da klinische Geräte für unsere Studien infrage kommen, haben wir ein Hochdurchsatz-Screening für die klinische CT, MRT und PET etabliert. In ein klinisches CT passen z. B. mehr als 100 Raupen. Meine Arbeitsgruppe gehört zu den ersten, die die funktionelle Bildgebung für die präklinische Forschung an Insekten etabliert haben.

Redaktion: Ich nehme an, dass die 100 Raupen im CT sediert sind?

Dr. Windfelder: Ja, wir haben für Manduca sexta einen eigenen Anästhesiestandard entwickelt. Insekten sind wechselwarme Tiere, die wir z. B. mit Eis betäuben können. Nachdem sie eine Viertelstunde auf Eis gelegen haben, bleiben uns etwa 30 Minuten Zeit für die Untersuchung. Für hochauflösende Scans, die länger dauern, nutzen wir Inhalationsanästhetika wie Isofluran, das auch für Mäuse genutzt wird. Früher ging die Forschung davon aus, dass Insekten keinen Schmerz empfinden können. Doch wir gehen auf Nummer sicher und haben uns deshalb für die Anästhesie entschieden.

Redaktion: Was für ein Insekt ist der Tabakschwärmer genau und warum eignet er sich für die Forschung?

Dr. Windfelder: Manduca sexta ist eine große Motte aus Nordamerika. Vorteile dieses großen Insekts sind neben seiner Größe, seiner einfachen artgerechten Haltung und seiner großen Ähnlichkeit zum Menschen bei Darmanatomie, -histologie und -physiologie vor allem das angeborene Immunsystem. Das angeborene Immunsystem – ein evolutionär sehr altes System – ist bis zu etwa 90 Prozent mit dem des Menschen vergleichbar. Darüber hinaus teilen wir Menschen etwa 75 Prozent unserer Gene mit Insekten wie Manduca sexta.

Doch ähnelt die Darmanatomie des Tabakschwärmers nicht nur der des Menschen, sie eignet sich auch sehr gut für radiologische Untersuchungen. Der Darm des Tabakschwärmers windet sich nicht, sondern er zieht sich gerade und zylindrisch durch das Tier. Deshalb sehen wir bei Querschnitten sehr gut, ob sich Kontrastmittel anlagert oder ob es Darmwandverdickungen gibt.

Redaktion: Wie können Ihre Erkenntnisse helfen, die Versorgung von Patienten mit CED wie MC und CU zu verbessern?

Dr. Windfelder: Die translationale Forschung denkt von „bench to bedside“, also bildet den gesamten Weg vom Labor bis zum Krankenbett ab. Neue Wirkstoffe müssen auf diesem Weg durch zwei Flaschenhälse. Der erste Flaschenhals ist der zwischen Petrischale und in-vivo-Studien. Was in der Petrischale oder Zellkultur vielversprechend erscheint, kann im lebenden Organismus, wie z. B einer Maus, wirkungslos sein. Der zweite Flaschenhals ist der zwischen Tiermodellen und klinischen Studien. Was man z. B. in einer Maus sieht, muss nicht auch auf den Menschen zutreffen.

Unser Ansatz betrifft den ersten Flaschenhals. Wir können mit unserem insektenbasierten Tiermodell schnell abschätzen, wie und ob Wirkstoffe den Stoffwechsel oder das Immunsystem beeinflussen. Das hat ökonomische und ethische Vorteile, denn Versuche mit Mäusen sind teuer, kosten viel Zeit und sind teilweise ethisch umstritten. Mit unserem Modell beschleunigen wir die translationale Forschung, sodass Diagnostik und Therapie schneller beim Patienten ankommen.

Redaktion: Was hat es mit dem neuen Modell fĂĽr die Erprobung von Kontrastmitteln und Tracern auf sich?

Dr. Windfelder: Viele MRT-Kontrastmittel basieren auf Gadolinium. Das könnte langfristig ökotoxikolisch zu Problemen führen. Irgendwann werden wir auf Alternativen angewiesen sein. Wir kooperieren mit Chemikern aus Düsseldorf und den Niederlanden, die ein neues MRT-Kontrastmittel entwickelt haben. Üblich wäre, ein neues Kontrastmittel an Mäusen zu testen. Wir konnten jedoch zeigen, dass man unser Insektenmodell sehr gut nutzen kann, um die Sensitivität neuer Kontrastmittel oder Tracer einfach in vivo zu testen.

Redaktion: Wann und wie kommen die Ergebnisse Ihrer Forschung in radiologischen Praxen und Kliniken an?

Dr. Windfelder: Unsere Forschungsergebnisse sind für die Patienten nicht unmittelbar sichtbar. Doch für Radiologen, die auch in der Forschung tätig sind, ist es interessant zu wissen, wann sich das Insektenmodell lohnt. Wir konnten z. B. an Insekten zeigen, dass Darmentzündungen gut mit Dexamethason therapierbar sind und der Therapieerfolg einfach mittels MRT oder CT dargestellt werden kann. Auch konnten wir neue Antibiotika bei Darminfektionen testen und den Therapieerfolg mittels MRT und CT darstellen. Da die Antibiotikaresistenzkrise sich zuspitzt, brauchen wir neue Systeme, um neue Wirkstoffkomponenten einfach in vivo zu testen. Allerdings lässt sich unser System nicht immer und auf alle Fragestellungen in der Humanmedizin anwenden. So haben Insekten z. B. kein adaptives Immunsystem, welches Antikörper produziert. Deshalb muss man bei jeder Fragestellung immer im Voraus überlegen, ob sich das Insektenmodell lohnt oder nicht.

Redaktion: Soweit die medizinischen Vorteile. Gibt es auch wirtschaftliche Vorteile?

Redaktion: Insekten lassen sich viel einfacher und kostengünstiger artgerecht halten als kleine Säugetiere. Die Stärke unseres Modells ist also nicht nur, dass es weniger ethische Bedenken mit sich bringt, es ermöglicht auch mehr Forschung bei weniger Ressourcen. Denn auch die präklinische Forschung ist ja mit sehr hohen Kosten verbunden. Unser Tiermodell macht also die translationale Forschung ökonomischer.

Redaktion: Was treibt Sie an, an Insekten zu forschen?

Dr. Windfelder: Meine Motivation liegt darin, eine ethische Alternative zu traditionellen Tierversuchen mit Mäusen und Ratten zu finden. Hierbei sind Insekten extrem hilfreich. Auch müssen wir die Tabakschwärmer nach der Untersuchung nicht töten, wie es meist mit Mäusen geschieht. Wir trennen nach der Untersuchung männliche von weiblichen Tieren, damit sie sich nicht vermehren. Sie sterben nach ein paar Wochen auf natürliche Art und Weise – wir betreiben also quasi ein Altersheim für Motten. Natürlich können wir Mäuse in der Forschung nicht ersetzen. Doch wir können in einigen Bereichen unnötige Versuche mit Mäusen vermeiden. Für mich ist ein starker Antrieb, die biomedizinische Forschung tierfreundlicher und effektiver zu betreiben.

WeiterfĂĽhrender Hinweis
  • Nähere Informationen zur Forschung mit den Tabakschärmern online unter antonwindfelder.com
Quellen
  • Windfelder, A.G. et al.: High-throughput screening of caterpillars as a platform to study host–microbe interactions and enteric immunity. Nat Commun 13, 7216 (2022); doi.org/ 10.1038/s41467-022-34865-7
  • Koshkina, O. et al.: Biodegradable polyphosphoester micelles act as both background-free 31P magnetic resonance imaging agents and drug nanocarriers.Nat Commun 14, 4351 (2023); doi.org/10.1038/s41467-023-40089-0

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