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Interview„Der transatlantische Austausch hilft, um in der Radiologie vorne mitzuspielen!“

01.07.2024Ausgabe 7/20245min. Lesedauer

Der Neuroradiologe und Physiker PD Dr. Daniel Paech hat einen Ruf an die Harvard Medical School erhalten. In Boston ist er seit Februar 2024 als Neuroradiologe am Mass General Brigham (MGB) und Direktor des Ultra-Hochfeld-MRT-Programms der Radiologie tätig und erforscht den klinischen Nutzen neuer MRT-Techniken sowie KI-gestützter Analysen. Zuvor war er geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Bonn (UKB). Ursula Katthöfer (textwiese.com) sprach mit ihm über die transatlantische Brücke in der Radiologie.

Redaktion: Worum geht es in Ihrer Forschung?

Dr. Paech: Meine Schwerpunkte sind die Entwicklung und klinische Translation von neuen MRT-Methoden. In der MRT-Diagnostik stoßen wir aktuell z. B. bei der Verlaufskontrolle von Hirntumoren an unsere Grenzen. Nach Operation, Bestrahlung und Chemotherapie können wir in einem bestimmten Zeitfenster mit konventionellen Methoden bisher nur eingeschränkt erkennen, ob ein Progress der Erkrankung oder beispielsweise therapieassoziierte Veränderungen vorliegen. Deshalb wollen wir neue MRT-Techniken entwickeln, um die konventionellen MRT-Kontraste mit zusätzlichen Informationen etwa zum Mikromilieu des Gewebes und zur Proteinkonzentration zu ergänzen. Ferner wollen wir den klinischen Nutzen dieser neuen Techniken erforschen.

Zusätzlich gewinnt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei unseren Arbeiten zunehmend an Bedeutung. Mithilfe von KI wollen wir die maximale Menge an Informationen aus den Kontrasten gewinnen, die dem menschlichen Augen nicht, respektive nur eingeschränkt zugänglich sind.

Redaktion: Wie ist es Ihnen gelungen, sich für die Harvard Medical School zu qualifizieren?

Dr. Paech: Wir forschen hier in Boston an Geräten mit hohen Feldstärken und leistungsstarken Gradientensystemen. Es sind beispielsweise mehrere 7-Tesla-Geräte vor Ort. Eine Ausstattung wie diese ist an den meisten Zentren nicht verfügbar. Ich habe vorher in Heidelberg und Bonn bereits an Hochfeld-MRTs geforscht. Hier in Boston wurde jemand mit klinischem Hintergrund als Neuroradiologe und diesem Forschungsschwerpunkt gesucht. Das Mass General Brigham kam auf mich zu, als diese campusübergreifende Stelle ausgeschrieben wurde. Zwischen dem initialen Kontakt und dem Beginn meiner Arbeit lagen anderthalb Jahre. Zweimal wurde ich für eine Woche zu Interviews eingeladen. Auch die Anträge für die Arbeitserlaubnis, die medizinische Lizenz und das Visum nahmen Zeit in Anspruch.

Redaktion: In einer Pressemitteilung sprechen Sie davon, dass es in Boston exzellente Bedingungen gebe. Welche?

Dr. Paech: Zusätzlich zur technischen Infrastruktur mit 7-Tesla- und hochgradienten Geräten sind es die Wissenschaftler vor Ort. Es besteht ein starkes Bestreben, Neues zu entwickeln und Grenzen zu explorieren. Die Stimmung ist daher sehr dynamisch und motivierend. Wenn ein Projekt definiert wird, wird mit Hochdruck daran gearbeitet. Dennoch ist auch hier in Boston – einer sehr europäisch orientierten Stadt – die Work-Life-Balance ein wichtiges Thema geworden. Wir achten beispielsweise darauf, unsere Forschungs-MRT-Messungen lieber unter der Woche als am Wochenende durchzuführen.

Redaktion: Wo liegen die Unterschiede zu den Forschungsbedingungen in Deutschland, insbesondere was die Finanzierung von Forschung betrifft?

Dr. Paech: Forschungszuschüsse sind in den USA insgesamt besser verfügbar. Mittel einzuwerben ist dennoch kein Selbstläufer, sondern hochkompetitiv. Nicht jedes Engagement führt zu einer Projektförderung. Wie auch in Deutschland braucht man eine hohe Frustrationstoleranz. Die Amerikaner nennen es „part of the game“.

Das Einwerben von Drittmitteln wirkt sich auch auf die wissenschaftliche Karriere aus. In Deutschland ist die Zahl der Professuren begrenzt. Doch hier in den USA entwickeln sich im wissenschaftlichen und akademischen Bau langfristige Perspektiven, wenn die Finanzierung gelingt. Das gilt vor allem für die Naturwissenschaften. Als Mediziner sind wir ein Sonderfall, weil wir primär über unsere klinische Tätigkeit finanziert werden. Für uns geht es darum, für den Forschungsanteil eine Finanzierung zu finden. Um ein Forschungsprogramm breit aufzubauen, ist anfangs ein Klinik-zu-Forschung-Verhältnis mit relevantem Forschungsanteil sinnvoll. Wenn ein Forschungsprojekt läuft und Daten akquiriert werden und zudem weitere Wissenschaftler involviert sind, kann dies auch parallel zur klinischen Tätigkeit erfolgen.

Redaktion: Das UKB erhofft sich von Ihrem Aufenthalt in Harvard den Austausch von Fachwissen, die Förderung von Forschungskooperationen und die Weiterentwicklung bestehender transatlantischer Netzwerke. Das ist viel verlangt. Wie gehen Sie mit dieser Erwartung um?

Dr. Paech: Der Austausch findet faktisch statt. Aus meiner Bonner Arbeitsgruppe werden zwei Kolleginnen nach Bosten zu einem Forschungsaufenthalt kommen, weitere werden für Projekte mit Aufenthalten von sechs bis zwölf Monaten folgen. Im besten Fall können wir Dinge, die in Boston entwickelt wurden, in Bonn implementieren. Wenn wir auf den gleichen Plattformen arbeiten, können wir z. B. Sequenzen zur metabolischen Bildgebung, die wir in Boston erprobt haben, in der Uniklinik Bonn auf den Scanner aufspielen und die Daten später gepoolt analysieren. So ließe sich multizentrisch arbeiten. Forschung, Lehre und Klinik sind die drei Säulen der Universitätsmedizin: Universitätskliniken in Deutschland haben den ausdrücklichen Auftrag, die Medizin weiterzuentwickeln und Forschung zu betreiben. Schon der persönliche Kontakt durch den transatlantischen Austausch bringt einen unmittelbaren Nutzen, um Neues zu entwickeln und vorne mitzuspielen.

Redaktion: Drehen wir den Spieß um: Wie profitiert Harvard als Teil des transatlantischen Netzwerks von der Zusammenarbeit mit Ihnen bzw. dem UKB?

Dr. Paech: Ich hoffe, am Mass General Brigham ein campusübergreifendes Programm aufbauen zu können, das wegweisende Studien im Bereich neuer MRT-Techniken bei klinisch relevanten Fragestellungen ermöglicht. Da diese Forschungsvorhaben stets von interdisziplinären Teams geplant und getragen werden, profitieren wir von unserem internationalen Netzwerk, durch meinen persönlichen Hintergrund also auch insbesondere zum UKB und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Redaktion: Der Fachkräftemarkt wird immer internationaler. Wie ist das Interesse junger US-Radiologen, in Deutschland zu arbeiten?

Dr. Paech: Da die Abschlüsse nicht anerkannt werden, können weder Radiologen aus den USA in Deutschland arbeiten noch umgekehrt. Ein Austausch findet i. d. R. nur im Rahmen von Forschungsaufenthalten statt. Ich habe aktuell eine Sonderstelle, da ich vom Staat Massachusetts für drei Jahre für meine klinische Tätigkeit eine temporäre medizinische Lizenz bekommen habe. Um sie zu entfristen, müsste ich Prüfungen ablegen. Über eine einfache Bewerbung ist es nicht möglich, eine medizinische Lizenz an einem US-Standort zu erhalten. Doch können auch reine Forschungsaufenthalte extrem bereichernd sein.

Redaktion: Wie zahlt sich ein Forschungsaufenthalt in den USA für die Karriere eines Radiologen wirtschaftlich aus und wie könnte es für Sie perspektivisch weitergehen?

Dr. Paech: Die Kombination aus den Rollen in Forschung, Lehre und Klinik hat mir schon immer Spaß gemacht. Ich würde mich nie einer Tätigkeit allein verschreiben, sondern möchte auch in Deutschland weiter in diesem akademischen Umfeld tätig sein. Wenn Sie auf die Verdienstchancen abzielen, müsste man langfristig vermutlich den amerikanischen Weg verfolgen. Doch letztendlich geben inhaltliche sowie private und familiäre Gründe den Ausschlag für die berufliche Zukunft.

Redaktion: Gibt es etwas, das Sie an der Harvard Medical School im Vergleich zum Universitätsklinikum Bonn vermissen?

Dr. Paech: Ja, ich vermisse den großartigen Austausch im Bonner Neurozentrum, sowohl klinisch als auch wissenschaftlich. Das war ein tolles Miteinander in sehr familiärer Atmosphäre. Hier sind die Dimensionen andere, da kann allein der Gang zu den Kolleginnen und Kollegen der Neurologie schon eine Viertelstunde dauern, um sich auf einen Kaffee oder zur Projektbesprechung zu treffen.

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