Interview„Mit dem Herz-MRT können wir das Broken-Heart-Syndrom zuverlässig diagnostizieren!“
Die Radiological Society of North America (RSNA) zeichnete Dr. Alexander Isaak, Facharzt der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB), Ende vergangenen Jahres mit dem Trainee Research Prize aus. Sie würdigte seine Forschung zum Broken-Heart-Syndrom – auch Takotsubo-Syndrom, Stress-Kardiomyopathie oder Apical-Ballooning-Syndrom genannt. Forschende in Japan beschrieben diese Herzfunktionsstörung erstmals in den 1990er-Jahren und benannten sie nach der traditionellen Tintenfischfalle Takotsubo. Wie der Schritt zur radiologischen Forschung gelang, fragte Ursula Katthöfer (textwiese.com) den Preisträger.
Redaktion: Was hat es mit dem Krankheitsbild des Broken-Heart-Syndroms auf sich?
Dr. Isaak: Es handelt sich um eine akut einsetzende, meist reversible Funktionseinschränkung des linken Ventrikels mit einer meist charakteristischen, ballonartigen Aufweitung. Die Symptomatik ähnelt sehr dem akuten Koronarsyndrom, sodass beide Krankheitsbilder sich klinisch oft nicht gut unterscheiden lassen.
Redaktion: Was sind die Ursachen für das Broken-Heart-Syndrom?
Dr. Isaak: Obwohl die Erkrankung seit Jahrzehnten bekannt ist, sind die genauen Ursachen für ihr Entstehen noch unklar. Wir wissen aber, dass wahrscheinlich bestimmte Hormone sowie genetische Faktoren eine Rolle spielen. Zudem wird das Broken-Heart-Syndrom durch Verlusterlebnisse, persönliche Konflikte oder Ereignisse wie Naturkatastrophen und Kriege getriggert. Es kann auch durch eine extreme physische Anstrengung wie eine schwere Erkrankung oder erschöpfende körperliche Arbeit entstehen. Wir diagnostizieren das Broken-Heart-Syndrom im klinischen Alltag relativ selten, im Schnitt vielleicht ein- bis zweimal im Monat. Doch nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, das vom Bonner Universitätsklinikum etwa 30 Kilometer entfernt ist, beobachteten wir eine deutliche Anhäufung der Diagnose. Das Krankheitsbild korreliert mit solch schwerwiegenden Ereignissen.
Redaktion: Wer sind die typischen Patienten?
Dr. Isaak: Ganz typisch wäre eine ältere, postmenopausale Frau mit einem emotionalen Stressereignis wie dem Tod eines geliebten Menschen. Das männliche Pendant könnte jemand sein, der bei einem Hausbrand oder einer Überflutung unter starkem Stress körperlich schwer gearbeitet hat. Auslösende Trigger können aber individuell ganz unterschiedlich sein. Triggert z. B. eine neurologische Erkrankung wie eine akute Hirnblutung oder ein Schlaganfall das Broken-Heart-Syndrom, kann letzteres auch übersehen werden, weil die andere Erkrankung erst einmal im Vordergrund steht.
Redaktion: Wie wird das Broken-Heart-Syndrom radiologisch untersucht?
Dr. Isaak: Das Herz-MRT kommt oft etwas später ins Spiel, ist dann aber meist der Schlüssel zur korrekten Diagnose. Auf Anamnese, Labor und Echokardiografie folgt in einer Akutsituation bei hoher Prätestwahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt meist eine zeitnahe Herzkatheteruntersuchung. Bei stabilerer Situation und entsprechender Prätestwahrscheinlichkeit für eine koronare Herzerkrankung kann alternativ auch ein Herz-CT angezeigt sein. Heutzutage haben wir dank neuer Techniken die Möglichkeit, die Herzkranzgefäße mittels Koronar-CT mit einer relativ geringen Strahlendosis darzustellen. Ist eine relevante Koronarstenose ausgeschlossen, sollte ein zeitnahes Herz-MRT erfolgen, um den Grund der Symptomatik abzuklären. Das ist der nicht-invasive Goldstandard zur Abklärung von Herzmuskelerkrankungen, der die Diagnose des Broken-Heart-Syndroms zuverlässig bestätigen kann. Er ermöglicht gleichzeitig eine weitere Differentialdiagnostik, z. B. einer Myokarditis, einer Perikarditis oder einer anderen Herzmuskelerkrankung.
Redaktion: Wie hebt sich diese Bildgebung vom MRT eines Herzinfarktpatienten ab?
Dr. Isaak: Um das Broken-Heart-Syndrom zu diagnostizieren, haben wir im MRT drei Säulen: In der Funktionsbildgebung untersuchen wir, ob eine typische Kontraktionsstörung der linken Herzkammer besteht, die meist die vorderen Anteile betrifft, ein sogenanntes „apical ballooning“. Zweitens prüfen wir, ob in den funktionseingeschränkten Herzsegmenten ein Myokardödem vorliegt. Das spricht für eine akute Erkrankung. Die dritte Säule ist ganz wichtig: Über die Kontrastmittelbildgebung im Herz-MRT prüfen wir infarkttypische oder entzündliche Narben. Liegen diese nicht vor und sind die ersten beiden Punkte erfüllt, können wir uns mit der Diagnose des Broken-Heart-Syndroms ziemlich sicher sein.
Redaktion: Was war Ziel Ihrer Forschung?
Dr. Isaak: Obwohl die meisten Patienten sich vom Broken-Heart-Syndrom erholen, kann es zu Spätkomplikationen kommen. Bisher können wir die langfristige Prognose nicht gut abschätzen. Wir wissen noch nicht, wer Risikopatient ist und Spätfolgen wie Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz oder Thrombenbildung entwickeln wird. Deshalb suchten wir nach Merkmalen im Herz-MRT, die bereits bei der Erstdiagnostik erhoben werden und mit solchen Spätkomplikationen assoziiert sind.
Redaktion: Wie sind die Ergebnisse?
Dr. Isaak: Wir haben herausgefunden, dass relativ einfach zu erhebende Merkmale wie ein Perikarderguss, Pleuraerguss, ventrikulärer Thrombus und eine Rechtsherzbeteiligung mit Spätkomplikationen assoziiert sind. In unserer Kohorte hatten 62 Prozent der Patienten mindestens eines dieser Merkmale, 27 Prozent der Patienten mindestens zwei. Je mehr Merkmale vorlagen, desto höher war das Risiko für Spätkomplikationen in unserer Kohorte.
Redaktion: Für Ihre Forschung haben Sie den Trainee Research Prize der RSNA erhalten. Was ging in Ihnen vor, als Sie den Preis in Chicago entgegennahmen?
Dr. Isaak: Es hat mich total gefreut, mit unserer Forschung internationale Resonanz geweckt zu haben. Das ist extrem motivierend, noch dazu in meiner frühen wissenschaftlichen Karriere. Es freut mich auch sehr für unsere Arbeitsgruppe, denn Wissenschaft ist immer auch Teamarbeit. Dann beim weltgrößten Radiologiekongress einen Vortrag zur Studie zu halten, ist recht aufregend.
Redaktion: Auch der diesjährige Röntgenkongress hat das Thema „Abenteuer Forschung“. Welche Rahmenbedingungen braucht ein junger Mediziner, um erfolgreich zu forschen?
Dr. Isaak: Zeit. Der Workload ist in der Radiologie extrem gestiegen, die Bildgebung wird immer wichtiger. Für junge Mediziner ist es herausfordernd, gute wissenschaftliche Projekte mit der klinischen Arbeit zu vereinen, also als „Clinician Scientist“ tätig zu sein. Mir hat es geholfen, über mein Netzwerk und die Arbeitsgruppe „Abkürzungen“ nehmen zu können. Denn von den Vorarbeiten und Erfahrungen anderer zu profitieren, hilft enorm. Auch Synergien zwischen Klinik und Forschung können sehr helfen. Das ist meine Strategie: Ich mache die Herzbildgebung in der Klinik sehr gerne und erkenne dabei automatisch wissenschaftliche Fragestellungen. Für ambitionierte Studienprojekte brauchen wir mehr geschützte Forschungszeit, beispielsweise über Clinician-Scientist-Programme für Assistenzärzte.
Redaktion: Wie wichtig sind Mentoren?
Dr. Isaak: Extrem wichtig. Die Mentorenwahl ist entscheidend. Man sollte sich den Mentor aussuchen dürfen und umgekehrt sollte auch der Mentor entscheiden können, wen er unterstützt. Denn die Wellenlänge sollte nicht nur fachlich stimmen. Wichtig sind ein kurzer Draht und schnelles Feedback. Es kann frustrierend sein, wenn Mentoren sich manchmal erst nach einem Monat zurückmelden. Es kann hilfreich sein, mehrere oder auch externe Mentoren zu haben. Es geht um ein produktives Umfeld, das dem Mentee Feedback gibt, ihn vor Sackgassen bewahrt und Kontakte herstellt.
Redaktion: Was sollten erfahrene Radiologen nicht tun, wenn ein junger Wissenschaftler seinen Weg sucht?
Dr. Isaak: Die Geduld verlieren und darauf beharren, etwas immer so zu machen, wie es immer schon gemacht wurde. Sie sollten Kreativität zulassen und jungen Wissenschaftlern eigene Projektideen ermöglichen.
Redaktion: Künstliche Intelligenz (KI) nimmt in der radiologischen Forschung zunehmend Raum ein. Sie hingegen widmen sich weniger den Daten, sondern mehr den Patienten. Eine bewusste Entscheidung?
Dr. Isaak: Auf jeden Fall. Unsere Arbeitsgruppe deckt auch den Schwerpunkt der KI ab, aber mich persönlich motiviert es viel mehr, Daten prospektiv zu erheben und mit den Patienten zusammenzuarbeiten. Von ihnen kommt oft positives, motivierendes Feedback. Auch interdisziplinäre Kooperationen mit anderen Fachabteilungen wie der Hepatologie, der Kardiologie, der Intensivmedizin oder zuletzt auch der Epilepsie sind für uns in der Arbeitsgruppe sehr wertvoll. Wenn die radiologische Forschung einen klinischen Nutzen haben soll, brauchen wir den Input anderer Fächer. Sonst besteht das Risiko, am klinischen Alltag vorbei zu forschen. Nichtsdestotrotz wird die KI uns vor allem in der Radiologie in Zukunft stärker begleiten als in anderen Fächern.
Redaktion: Welche Entwicklung ist für die Forschung am Patienten abzusehen?
Dr. Isaak: Wir müssen Patienten in Zukunft stärker einbinden, um am Ende in ihrem Interesse zu forschen. Die Digitalisierung und die Vernetzung mit anderen Kliniken werden dazu beitragen, dass Studien mit größeren Patientenzahlen und -daten möglich sind. Ich nehme an, dass durch verschiedene neue Imaging Biomarker invasive Verfahren wie eine Biopsie zukünftig weniger gebraucht werden und dass die finale Diagnosestellung zunehmend rein nicht-invasiv, also nur anhand der Bildgebung gestellt werden wird. Auch da hilft KI, um große Mengen quantitativer Imagingmarker systematisch zu analysieren sowie Muster zu erkennen und auszuwerten, die dem menschlichen Auge entgehen. Verschiedene klinische Daten, wie aus der Radiologie, dem Labor und der Pathologie zu einer integrierten Diagnostik zusammenzuführen und daraus Therapieempfehlungen zu initiieren – das wäre die Vision einer intelligenten, patientenzentrierten Medizin.
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