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Wirtschaftlichkeit„Autopilot-Radiologie“: Produktivität durch Befundunterstützung mittels KI steigern

29.07.2021Ausgabe 8/20215min. Lesedauer
Von Dr. Bernd May, Geschäftsführer MBM Medical-Unternehmensberatung GmbH, Mainz

Die Radiologie-Praxen geraten wirtschaftlich zunehmend unter Druck, z. B. durch die EBM-Reform 2020. Eine Möglichkeit, dies zu kompensieren, ist die Steigerung der Produktivität. Helfen können dabei neue Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI).

Hintergrund

Die Radiologie hat eine erhebliche Bedeutung bei der Bestimmung des klinisch relevanten Patientenproblems. Prof. Emily M. Webb, in der Radiological Society of North America (RSNA) zuständig für die Aus- und Weiterbildung von Radiologen, hat sich in der Radiologie immer für den Impact auf die klinische Versorgung der Patienten interessiert. Die Bedeutung der Radiologie wird besonders bei komplexen Erkrankungen in der Onkologie, bei Autoimmun-Prozessen oder in der Neurologie wichtig. Eine ordnungsgemäße Ergebnisqualität erfordert u. a. den Vergleich als Therapiekontrolle während der Therapie. Doch dieser Vergleich kostet Zeit.

Tabelle: Gewinnschwellen CT, MRT/EBM-Fallzahlen zur Kostendeckung

Gewinnschwelle 1
(in tausend Euro pro Jahr)
Ø EBM-Erlöse je Untersuchungstermin (Euro)
Notwendige Anzahl Patienten-Termine zur Kostendeckung
Produktivität: Ø Anzahl Befunde je Arzt und Stunde bei 8 h/Tag 3
EBM-Welt Ø Befundzeit je Termin (Minuten)
zum Vergleich: DRG-Welt Ø Arztbindungszeit je Arzt (Minuten)
bis 2019
ab 2020
bis 2019
ab 2020
bis 2019
ab 2020
bis 2019
ab 2020
CT

400–900 2

Ø 60
Ø 53
≥ 6.700
≥ 7.550
≥ 4
≥ 4,5
15
13
≥ 35
MRT

600–950 2

Ø 100
Ø 87
≥ 6.000
≥ 6.900
≥ 3,6
≥ 4,1
17
15
≥ 25

1 Vollkosten inkl. Personal-, Opportunitäts- und Baukosten

2 Abhängig von Technologie und Gesamtanschaffungskosten mit Wartung, Klima, Hochfrequenzabschirmung (bei MRT)

3 30 Tage Urlaub, 10 Tage Krankheit, Fortbildung

Druck durch EBM-Reform

Zur Quantifizierung der wesentlichen betriebswirtschaftlichen Fakten wird in der Tabelle die Situation bis zur EBM-Reform 2020 beschrieben sowie danach. Wichtige Ergebnisse sind die zum Erreichen der Gewinnschwelle mindestens notwendige Fallzahl (Untersuchungstermine an den Modalitäten CT und MRT) und schließlich die sich daraus ableitende durchschnittliche Arztbindungszeit für einen Befund. Diese liegt für MRT bei etwa 15 Minuten. In dieser Zeit soll der Radiologe die Indikation zur Untersuchung prüfen, das Untersuchungsergebnis überprüfen (z. B., ob dies im Hinblick auf die Untersuchungsindikationen aussagefähig ist) und einen ordnungsgemäßen Befund erstellen sowie erforderlichenfalls

  • mit dem Patienten sprechen und
  • eine Untersuchung planen, die von Standards abweicht (wie z. B. bei den o. g. Krankheitsbildern).

Software-Tools unterstützen

In der Onkologie gehört dazu beispielsweise der Vergleich mit früheren Untersuchungen zur Therapiekontrolle. Zudem ist dieser Vergleich bei der Schlaganfalldiagnostik erforderlich, in der Neuroradiologie, in der Hirnmorphometrie (Volumetrie z. B. bei Demenzerkrankungen mit der standardisierten Anordnung von etwa 50 Hirnsegmenten). Diese Segmentierung wird auch inzwischen in der Prostatadiagnostik zur gezielten Biopsie eingesetzt. Auch gibt es, induziert durch Covid-19, standardisierte und mithilfe von Machine-Learning(ML)-Tools erstellte Reports für Thorax-CT mit schneller, präziser und automatischer Vermessung von morphologisch signifikanten Merkmalen, wobei auch Herz, Aorta und Wirbelkörper beurteilt werden. Die Firmen bieten herstellerunabhängige Plattformen an mit der Möglichkeit, ML-basierte Software aus der Cloud herunterzuladen. Für die Mamma-Diagnostik gibt es bereits seit vielen Jahren Entscheidungsunterstützungssysteme, neuerdings auch ML-basierte. Die Firma deepc aus München will neue ML-basierte Entscheidungsunterstützungssysteme für den klinischen Einsatz testen und zusammen mit der Hochschule Landshut auch solche Testverfahren entwickeln, die z. B. bei mangelnder Datengrundlage (vor allem die Menge an klinischen Testdaten) geeignete Simulationsverfahren zum Erzielen ausreichender Testergebnisse entwickelt.

Merke

Grundsätzlich bieten ML-basierte Entscheidungsunterstützungssysteme den großen Vorteil, dass sie evidenzbasiert sind und den befundenden Arzt eine Unterstützung anbieten, an der er sich sicher orientieren kann.

Lösungsansätze – die „Autopilot-Radiologie“

Grundsätzlich stehen der niedergelassenen Radiologie zwei Lösungsansätze zur Verfügung:

  • 1. Erhöhung der durchschnittlichen Fallerlöse durch Behandlung von Privatpatienten und Kooperationen mit Kliniken (frei verhandelbare Fallerlöse zur Versorgung der Patienten der Klinik) sowie
  • 2. Erhöhung der Produktivität in der EBM-Welt durch Workflow-Optimierung.

Vertieft werden soll die 2. Option, also die Erhöhung der Produktivität durch Workflow-Optimierung. Zu beachten sind die Rüstproblematik (Lagerung des Patienten, Umgang mit unruhigen Patienten, Vorbereiten für KM-Gabe), der Messvorgang mit unterschiedlichen Untersuchungsprotokollen und schließlich die Befunderhebung.

Zur Problematik der Patientenlagerung bietet die Industrie bereits KI-gestützte Hilfen an. Ebenso bei dem Einsatz der unterschiedlichen Messprotokolle mit organspezifischen Programmabfolgen. Es verbleibt das komplexe Feld der Befundung mit KI-gestützten bzw. ML-getriebenen, evidenzbasierten Entscheidungsunterstützungssystemen.

Jede der großen Herstellerfirmen bietet inzwischen Plattformen mit Befundungs- und Reporting-Lösungen an, die den Einsatz von ML-basierten Entscheidungsunterstützungssystemen ermöglichen, insbesondere auch die Klassifizierung von Krankheitsbildern und z. T. mit der Ableitung von Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Krankheitsbilder. Diese Systeme sind ganz sicher Qualifizierungskriterien für die Ergebnisverbesserung der Befunde, möglicherweise am Anfang noch nicht zur Beschleunigung der Befunde: Doch im Laufe des Umgangs mit diesen Systemen haben diese sicher auch eine Beschleunigungswirkung.

Folgen für die Praxis

Die Problematik der Verkürzung der dem Radiologen verbleibenden Zeit zur Erhebung eines ordnungsgemäßen Befunds führt sicher zunächst dazu, dass der Radiologe den Patientenkontakt meidet, oftmals auch unter nicht ausreichendem klinischen Kontext eine Untersuchung durchführt und auf der Grundlage einer wenig fundierten Hypothese einen Befund erhebt. Im Zusammenhang mit dieser Problematik ist festzustellen, dass etwa 30  bis 40 Prozent der dem Radiologen zugewiesenen CT- und vor allem MRT-Untersuchungsindikationen das klinisch relevante Problem des Patienten gar nicht betreffen, weil die entsprechend vorausgegangene Untersuchung beim Zuweiser/Anforderer der Untersuchung unsystematisch abgelaufen war (z. B. aufgrund von Zeitdruck). Die Folge ist, dass der Radiologe in solchen Fällen dem Patienten keine Hilfe bedeutet. Der Radiologe ist nicht in der Lage, das Patientenproblem zu bestimmen und kann keine helfende Untersuchung durchführen. Im Krankenhauszukunftsgesetz (KZHG) ist diese Situation im Fördertatbestand 4 gespiegelt, bei dem der anfordernde Kliniker Wissensdatenbanken (Entscheidungsunterstützungssysteme) für seine Befundhypothese vor Anforderung einer radiologischen Untersuchung verwenden soll und zusätzlich seine Untersuchungsanforderung digital stellt unter Verwendung des zur ordnungsgemäßen radiologischen Untersuchung notwendigen klinischen Kontextes.

Ein Vorgehen wie nach dem KHZG würde sicherlich auch in der EBM-Welt die Versorgung der Patienten wesentlich verbessern. In Zukunft wird voraussichtlich auf beiden Seiten, also der des anfordernden Klinikers sowie der des Radiologen, ML-basierte Entscheidungsunterstützungs-Software eingesetzt. Dies wird mit einer deutlichen Verbesserung der Versorgungssituation der Patienten einhergehen und, was die radiologische Ergebnisqualität betrifft, eine Verbesserung der Befundqualität (evidenzbasiert) bedeuten. Möglicherweise verschafft diese neue Welt der Befundunterstützungssysteme den Radiologen die Möglichkeit, sich wieder mit dem Patienten zu beschäftigen und dazu beizutragen, den Impact auf die Patientenversorgung zu verbessern.

Fazit

Wenn die höhere Honorierung der sprechenden Medizin dazu führt, dass die KI-/ML-gestützten Untersuchungen systematischer durchgeführt und die Business-Basis bei der Anforderung radiologischer Untersuchungen verbessert werden, würde dies dem Patientenwohl insgesamt dienen.

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