Härtefall- und Ausgleichszahlungen nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich

von RA und FA für MedizinR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, www.christmann-law.de

Härtefallzahlungen an kriselnde Arztpraxen und konvergenzbedingte Ausgleichszahlungen (Honorarstützung) schließen sich nicht per se gegenseitig aus. Wenn allerdings der Arzt eine Ausgleichszahlung und damit 95 Prozent des Honorars des Vorjahresvergleichsquartals erhalten hat, ist für weitere härtefallbedingte Zahlungen kein Raum mehr. Verlangt der Arzt trotzdem Härtefallzahlungen, so muss er darlegen, warum seine Existenz trotz Erhalt von 95 Prozent des Honorars des Vorjahresvergleichsquartals gefährdet sein soll (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25.10.2017, Az. L 5 KA 1868/14 ).

Der Fall

Nach Einführung der Regelleistungsvolumen (RLV) Anfang 2009 sanken die Einnahmen eines niedergelassenen Radiologen kontinuierlich. Der Radiologe führte nur MRT durch, für Röntgenuntersuchungen besaß er keine Genehmigung. Daher fehlten ihm „Verdünnerfälle“. Trotz Fallzahlsteigerung traten Fallwertverluste ein.

In der Folge begehrte der Arzt von der KV höheres Honorar für die Quartale ab 1/2009 durch (gänzlich) ungekürzte (unquotierte) Vergütung der in diesen Quartalen erbrachten Leistungen, hilfsweise durch Gewährung eines arztindividuellen Aufschlags auf den RLV-Fallwert infolge Praxisbesonderheiten bzw. die Gewährung von Ausgleichszahlungen (Honorarstützung) wegen Härtefalls.

Die KV gewährte „nur“ konvergenzbedingte Ausgleichszahlungen, bis 95 Prozent des Honorars des Vorjahresvergleichsquartals aufgefüllt waren. Dagegen klagte der Radiologe ohne Erfolg.

Die Entscheidung

Der Arzt konnte keine Härtefallausgleichszahlungen gemäß Teil B § 12 Abs. 1 S. 1 Honorarverteilungsvertrag (HVV) verlangen. Sein Honorarrückgang habe gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal infolge der Gewährung konvergenzbedingter Ausgleichszahlungen (unstreitig) nur 5 Prozent betragen. Demgegenüber habe er 95 Prozent des Honorars des Vorjahresquartals erhalten. Deshalb komme keine (weitere) Ausgleichszahlung wegen Härtfalls (mehr) in Betracht. Mit der Gewährung von 95 Prozent des Vorjahresquartalshonorars könne ohne weitere Darlegung auch keine Gefährdung der Praxisexistenz angenommen werden.

Auch die Härtefallfeststellung durch Vorjahresquartalsvergleich sei nicht zu beanstanden. Eine Langzeitbetrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung der Praxis bei der Härtefallfeststellung findet dabei nicht statt. Wenn sich infolge einer besonderen Praxisausrichtung mit eingeschränktem Leistungsspektrum eine wirtschaftliche Entwicklung abzeichnet, die die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Praxis durch über die Jahre auflaufende Honorarverluste gefährdet, muss der Vertragsarzt selbst hierauf reagieren. Er kann nicht darauf vertrauen, dass die KV die wirtschaftliche Tragfähigkeit seiner Praxis außerhalb der einschlägigen Härtefallregelungen durch entsprechende (außerordentliche und dauerhafte) Stützungszahlungen gewährleistet. Wirtschaftlichen Schieflagen der in Rede stehenden Art kann mit dem Instrumentarium des Honorarverteilungsrechts nicht abgeholfen werden.

Folgen für die Praxis

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz bedeutete ab Januar 2009 eine komplette Neuordnung und Begrenzung der vertragsärztlichen Vergütung durch Einführung der RLV. Für Praxen mit hohen laufenden Kosten (gerade also radiologische Praxen mit vielen Geräten, die noch abbezahlt und teuer gewartet werden müssen) war die damit einhergehende Begrenzung der gesetzlichen Vergütungen eine erhebliche Belastung.

Die Situation, in der sich der Radiologe im vorliegenden Fall nach Einführung der RLV befand, ist insofern keine schlichte „wirtschaftliche Schieflage“ gewesen, wie die Richter etwas vereinfachend meinten. Vielmehr ist es eine die Einnahmen beschränkende gesetzliche Einflussnahme gewesen, die sich bei ungünstiger wirtschaftlicher Lage (Arzt bietet nur MRT an und besitzt keine Verdünnerfälle) zu einer existenzbedrohenden Situation auswachsen kann. Hier wäre der Arzt gut beraten gewesen, dem Gericht im Detail über die Gefährdung seiner Praxisexistenz zu berichten, z. B. durch ausführliche Darstellung der laufenden Kosten und der Entwicklung der Einnahmen der vergangenen Jahre.

Das Gericht konnte die KV auch nicht dazu verurteilen, das Honorar des Radiologen mit einem arztindividuellen Aufschlag auf den RLV-Fallwert nach Anerkennung und Bewertung von Praxisbesonderheiten wegen der ausschließlichen Erbringung von MRT-Leistungen neu und höher festzusetzen. Eine solche Klage auf Neufestsetzung eines individuellen Aufschlags auf das RLV wegen Praxisbesonderheiten ist nur zulässig, wenn vor Klagerhebung das Verwaltungsverfahren durchgeführt worden ist. Der Arzt hätte also die im Gerichtsverfahren mit der Verpflichtungsklage begehrte Leistung zuerst (erfolglos) bei der Verwaltungsbehörde beantragen müssen. Dieses ist hier aber nicht der Fall gewesen.

Praxisbesonderheiten muss der Arzt generell so früh wie möglich schriftlich bei der KV als Verwaltungsbehörde geltend machen. Er muss dabei den Begriff „Praxisbesonderheiten“ nennen. Der Arzt sollte dabei möglichst aussagekräftige Belege beifügen. Ihm ist außerdem zu raten, frühzeitig anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. So ist sichergestellt, dass die Anträge richtig, rechtzeitig und auch vollständig eingereicht werden.