Zweigpraxisgenehmigung: Keine Bedarfsprüfung und keine Drittanfechtung

von RA und FA MedR Dr. Peter Wigge, Rechtsanwälte Wigge, Münster, www.ra-wigge.de

Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 28. Oktober 2009 eine Grundsatzentscheidung zur Genehmigung von Zweigpraxen getroffen (Az: B 6 KA 42/08 R). Die beiden wichtigsten Ergebnisse sind: Zum einen muss bei der Genehmigung einer Zweigpraxis keine Bedarfsprüfung erfolgen, zum anderen sind Vertragsärzte nicht berechtigt, die einem Konkurrenten erteilte Genehmigung anzufechten. Das Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung. 

Zweigpraxis und Zulassungsbeschränkungen

Seit dem Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) am 1. Januar 2007 steht es Vertragsärzten gemäß § 24 Abs. 3 Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) explizit frei, Zweigpraxen zu gründen. Vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten sind danach zulässig, wenn und soweit „dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert“ und die „ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird“. Im Gegensatz zu der Rechtslage vor Inkrafttreten des VÄndG ist nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV die Feststellung eines entsprechenden Versorgungsbedarfs zur Genehmigung einer Zweigpraxis nicht erforderlich. 

An welchen Kriterien eine „Verbesserung der Versorgung“ an dem weiteren Tätigkeitsort gemessen werden muss, war bisher nicht geklärt. Weder in der Ärzte-ZV noch in den Bundesmantelverträgen (BMV-Ä/EKV) wird dies näher konkretisiert. Auch den Gesetzesmaterialien ist lediglich zu entnehmen, dass die Anforderungen an eine Zweigpraxis „geringer“ sein sollen, als dies nach altem Recht der Fall war. 

Keine Bedarfsprüfung vor Zweigpraxisgenehmigung

Das Bayerische Landessozialgericht hatte in einer Entscheidung vom 23. Juli 2008 (Az: L 12 KA 3/08) festgestellt, dass es in sich widersprüchlich erscheine, eine Verbesserung der Versorgung allein aufgrund der Tätigkeit eines weiteren Arztes an einem Ort anzunehmen, etwa weil jedes zusätzliche Leistungsangebot die Versorgung verbessere. Nach Auffassung des Gerichts kann somit die Genehmigung für eine Zweigpraxis nur erteilt werden, wenn in der betreffenden Fachgruppe an diesem Ort die Voraussetzungen eines „besonderen lokalen Sonderbedarfs“ im Sinne des § 101 Abs. 1 Nr. 3a SGB V erfüllt sind. 

Das BSG hat diese einschränkende Auslegung nicht geteilt. Bei der Genehmigungserteilung einer Zweigpraxis finde eine Bedarfsprüfung durch die Zulassungsgremien – wie bei Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen – nicht statt. Der Gesetzgeber des VÄndG habe die Versorgung der Versicherten optimieren und die Möglichkeit des Betriebs von Zweigpraxen – im Unterschied zum früher geltenden Recht – nicht auf Fälle der Behebung von Versorgungsengpässen beschränken wollen. 

Erforderlich, aber auch ausreichend ist es nach Ansicht des BSG, wenn das bestehende Leistungsangebot zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer – unter Umständen auch in quantitativer – Hinsicht erweitert wird. Danach ist es für die Genehmigung einer Zweigpraxis zukünftig unerheblich, ob an dem „weiteren Ort“ für das Fachgebiet des antragstellenden Vertragsarztes Zulassungsbeschränkungen bestehen. Als ausreichend zur Verbesserung der Versorgung ist es danach anzusehen, wenn längere Wartezeiten für Versicherte an dem zusätzlichen Standort vermieden werden. Für Radiologen bedeutet dies, dass bereits die Auslastung der Geräte radiologischer Praxen an dem Standort, für den die Zweigpraxis beantragt worden ist, einen Anspruch auf Genehmigung und die Möglichkeit der Aufstellung eigener Geräte begründet. 

Allerdings verpflichtet das BSG die KV und die Zulassungsgremien, die in einem überversorgten Planungsbereich bestehende Versorgungssituation an dem „weiteren“ Ort nicht außer Betracht zu lassen. Insbesondere sollen die Zulassungsgremien von dem ihnen im Rahmen von Entscheidungen nach § 24 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Ärzte-ZV zustehenden Beurteilungsspielraum Gebrauch machen. 

Kein Anfechtungsrecht für Vertragsärzte

Die bisher ungeklärte Rechtsfrage, ob niedergelassene Vertragsärzte gegen eine Zweigpraxisgenehmigung Widerspruch einlegen und anschließend eine Konkurrentenklage erheben dürfen, hatte in der Vergangenheit dazu geführt, dass Antragsteller durch entsprechende Widersprüche und Klagen aufgrund der aufschiebenden Wirkung von ihrer Genehmigung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung keinen Gebrauch machen konnten. Mit dem BSG-Urteil haben Genehmigungsinhaber nun Klarheit, dass eine Klagemöglichkeit Dritter nicht mehr besteht. Damit können Widersprüche und Klagen von Vertragsärzten gegen die Genehmigung den Eintritt der Bestandskraft nicht mehr verhindern. 

Bewertung der Entscheidung

Vor dem Hintergrund, dass den gesetzlichen Vorgaben der vertragsärztlichen Bedarfsplanung die Annahme zugrunde liegt, dass jeder weitere Zustrom von ärztlichen Leistungserbringern in einen überversorgten Planungsbereich zu unterbleiben hat, erscheint das BSG-Urteil kritikwürdig. Denn durch die Genehmigung von Zweigpraxen ohne Bedarfsprüfung wird gegen diese gesetzlichen Vorgaben verstoßen. Allerdings fordert das BSG von den Zulassungsgremien, bei der Genehmigung die vor Ort bestehende Versorgungssituation nicht außer Betracht zu lassen. 

Dem Terminbericht zu dem Urteil ist nur diese allgemeine Aussage zu entnehmen. Ergänzend können jedoch die Aussagen des BSG aus einem Urteil aus 2008 zum Umfang der Bedarfsermittlung bei Sonderbedarfszulassungen herangezogen werden (Az: B 6 KA 56/07 R). Danach müssen sich die Zulassungsgremien ein möglichst genaues Bild der Versorgungslage im betroffenen Planungsbereich machen und selbst ermitteln, ob die in der Zweigpraxis angebotenen Leistungen zur Verbesserung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich sind. 

Unabhängig davon führt die Entscheidung des BSG zu einer spürbaren Erleichterung der Anforderungen bei der Gründung von Zweigpraxen. Mit der Verneinung der Anfechtungsmöglichkeit der Genehmigungsentscheidungen erhalten die Zulassungsausschüsse mehr Gewicht. Zudem steht ihnen bei der Prüfung, ob die Genehmigungsvoraussetzungen für eine Zweigpraxis vorliegen, ohnehin ein Beurteilungsspielraum zu. Damit ist die Genehmigungsentscheidung gerichtlich nur sehr eingeschränkt überprüfbar.