Zu viele gemeinsame Patienten – Vorsicht bei Vertretungen in Praxisgemeinschaften!

von Rechtsanwalt Nico Gottwald, Sindelfingen, gottwald@rpmed.de

Behandeln die Partner einer Praxisgemeinschaft ihre Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, kann dies einen Missbrauch darstellen. Laut den Richtlinien zu Abrechnungsprüfungen liegt bereits bei 20 Prozent Patientenidentität in fachgleichen bzw. 30 Prozent bei fachübergreifenden Praxisgemeinschaften eine Abrechnungsauffälligkeit vor. Bei erheblicher Überschreitung dieser 20- bzw. 30-Prozent-Grenze kann die Abrechnungsauffälligkeit von den betroffenen Ärzten jedoch widerlegt werden – zum Beispiel durch eine hohe Anzahl an Vertretungsfällen. Dem sind aber Grenzen gesetzt, wie ein aktuelles Urteil des Sozialgerichts (SG) Marburg 2. April 2014 klarstellt (Az. S 12 KA 634/12).

Der Fall  

Im Urteilsfall hatte die KV Hessen gegen zwei in Praxisgemeinschaft kooperierende Allgemeinärzte eine Plausibilitätsprüfung der Quartale 2/2005 bis 4/2007 eingeleitet, weil die Praxisgemeinschaft einen Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 31 und 48 Prozent aufwies. Anschließend setzte die KV gegen einen der Ärzte eine Honorarrückforderung in Höhe von über 60.000 Euro fest. Dessen Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass ein Großteil der Vertreterscheine auf eine nur stundenweise Abwesenheit des Praxisgemeinschaftspartners entfalle. Es würden in der einen Praxis ambulante Scheine angelegt und in der anderen Praxis komme es dann zu den Vertretungen an Tagen, an denen der zu Vertretende selbst Leistungen bei anderen Patienten erbringe. Ein zulässiger Vertretungsfall liege somit nicht vor.

Der Arzt klagte gegen den Widerspruchsbescheid. Fast alle gemeinsamen Patienten seien solche gewesen, die er während der urlaubsbedingten Abwesenheit des anderen Allgemeinarztes der Praxisgemeinschaft behandelt habe. Rechne man diese heraus, verbleibe keine Abrechnungsauffälligkeit.

Das Urteil 

Das SG Marburg wies die Klage des Arztes ab. Nicht jeder „Vertretungsfall“ könne auch als ein solcher akzeptiert werden. Zutreffend sei die KV davon ausgegangen, dass ein Vertretungsfall nur dann angenommen werden könne, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund an der Ausübung seiner Praxis verhindert sei, das heißt nicht nur stundenweise abwesend sei und die Praxis insgesamt geschlossen bleibe.

Der Vertragsarzt sei nach dem Bundesmantelvertrag (BMV-Ärzte) und dem SGB V gehalten, in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in dem er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln könne und diese nicht gezwungen seien, einen „Vertreter“ aufzusuchen. Nur bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung könne er sich innerhalb von zwölf Monaten bis zu einer Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Die angegebenen Urlaubszeiten deuteten hier aber darauf hin, dass die Urlaubszeiten wie in einer Berufsausübungsgemeinschaft gelegt worden seien, in der eine gegenseitige Weiterbehandlung der Patienten ohne Weiteres möglich sei.

Fazit 

Der BMV-Ärzte trifft in § 17 keine dahingehende Wertung, dass eine Vertretung bei einer stundenweisen Abwesenheit nicht möglich sei und die Praxis insgesamt geschlossen bleiben müsse. Nach wie vor bleibt es somit einem Vertragsarzt unbenommen, die Praxis in begründeten Einzelfällen zum Beispiel nur für einen halben Tag zu schließen, wenn er an einer Fortbildung teilnimmt oder aus anderen Gründen Urlaub benötigt. Für diese Zeit kann er selbstverständlich auch einen Vertreter bestimmen.

Unzulässig bleibt jedoch das sogenannte Timesharing innerhalb der Praxisgemeinschaft, das vermutlich auch im vorliegenden Fall betrieben wurde. Hier nehmen sich die einzelnen Ärzte bewusst einzelne freie Tage oder halbe Tage, währenddessen der andere Arzt in der Praxisgemeinschaft als Vertreter eingesetzt wird. Unzulässig ist dies, wenn damit die Intention verfolgt wird, bewusst Vertretungsfälle zu generieren und somit über die Abrechnung der Vertreterpauschale ein zusätzliches Honorar zu erzielen.

Ein Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten kann aber auch darin liegen, wenn damit, wie das SG Marburg herausarbeitet, die üblichen Sprechstundenzeiten nicht gewährleistet werden oder sogar die Mindestanzahl (derzeit 20 Wochenstunden) nicht erreicht wird.

Patienten müssen auf Besonderheiten der Praxisgemeinschaft hingewiesen werden 

Zutreffend weist das SG Marburg zudem darauf hin, dass es die klare Aufgabe des Arztes sei, den Patienten auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft und die damit einhergehenden Beschränkungen hinzuweisen. So müsse gegebenenfalls auch die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abgelehnt und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hingewiesen werden.

Im Falle einer Vertretungsbehandlung müsse sich der Vertreter auf die notwendige, das heißt keinen Aufschub zulassende Behandlung beschränken.