Zu enges Zeitfenster für Dienstaufnahme: Aus Rufbereitschaft wird Bereitschaftsdienst!

von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mainz hat mit Urteil vom 20. September 2012 (Az. 11 Sa 81/12) einem Oberarzt Recht gegeben, der sich gegen die ­Anordnung von Rufbereitschaft zur Wehr setzte, weil tatsächlich ­Bereitschaftsdienst geleistet würde. Die Klinik muss dem Arzt nun etwa 97.000Euro nachträglich auszahlen.

Der Fall

Geklagt hatte ein seit 1992 beim beklagten Krankenhaus als Oberarzt beschäftigter Anästhesist. Arbeitsvertraglich wurde ab 2005 die Geltung des Bundesangestelltentarifs in der Kirchlichen Fassung (BAT-KF) vereinbart. Der Arzt arbeitet regelmäßig montags bis freitags von 7.30Uhr bis 16.30 Uhr. Ferner verrichtet er „auf Abruf“ Dienste an Wochentagen von 16.30 Uhr bis 7.30 Uhr sowie an Wochenenden.

Während der Dienste betreut er die Geburtshilfeabteilung anästhesiologisch. Der Alarmierungsplan des Hauses mit dem Titel „Sectio im Bereitschaftsdienst“ sieht bei einer akuten Vitalbedrohung für Mutter oder Kind eine Arbeitsaufnahme binnen 15 bis 20 Minuten vor. Es besteht keine Anweisung, dass während der Abwesenheit des Oberarztes ein Assistenzarzt vor Ort ist, um etwaige Erstmaßnahmen zu ergreifen.

Nach Auffassung des Oberarztes ist die verrichtete Tätigkeit keine Rufbereitschaft, sondern Bereitschaftsdienst. Er könne wegen der Zeitvorgabe seinen Aufenthaltsort nicht frei wählen. Dass er in der Nähe der Klinik wohne, ändere nichts an der Einordnung der Dienste. Er fordert die Vergütung als Bereitschaftsdienst.

Die Entscheidung

Das LAG entschied wie schon die Vorinstanz zugunsten des Arztes. Selbst wenn die Klinik keine kon­krete Vorgabe zum Aufenthaltsort mache, bestehe bei einer notwendigen Arbeitsaufnahme binnen 15 bis 20 Minuten („Wegezeit“) für den Arzt keine Möglichkeit, seine arbeitsfreie Zeit und seinen Aufenthaltsort frei zu gestalten, etwa um sich privaten Interessen oder Hobbys zu widmen. Dies sei mit dem Wesen der Ruf­bereitschaft unvereinbar.

Bereitschaftsdienst auch als solchen bezahlen lassen!

Wie schon das Bundesarbeits­gericht (Urteil vom 31.1.2002, Az.6 AZR 214/00) hatte auch das LAG Köln (Urteil vom 13. August 2008, Az. 3 Sa 1453/07) eine Eintreffzeit von 15 bis 20 Minuten als zu eng angesehen, um Rufbereitschaft anordnen zu können. Dem schließt sich das LAG Mainz an.

Viele Kliniken halten jedoch an einer großzügigen Anordnung von Ruf­bereitschaft fest. Dagegen können betroffene Ärzte angehen und für die Vergangenheit – gegebenenfalls unter Berücksichtigung einschlägiger tariflicher oder vertraglicher Ausschlussfristen von meist sechs Monaten – eine nachträgliche Vergütung der Rufdienste als Bereitschaftsdienste schriftlich und nachweissicher geltend machen, um ihre etwaigen Ansprüche zu wahren. Für die Zukunft sollte in einschlägigen Fällen der Anordnung von Rufbereitschaft schriftlich widersprochen und die Anordnung von Bereitschaftsdienst erbeten werden. Wird dieser Bitte nicht entsprochen, sollte der Dienst unter Vorbehalt erbracht und sodann die Differenzvergütung unter Hinweis auf die dargestellte Rechtsprechung geltend gemacht werden.