Wann braucht ein Arzt den Radiologen?

von RA und FA für MedizinR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, www.christmann-law.de

Injektionen mit Kortison nach einem Sturz können grob fehlerhaft sein, wenn der Arzt bei persistierenden Beschwerden keine bildgebende Diagnostik durchführt und so einen Frakturspalt übersieht. Für den (erst-)behandelnden Arzt drängt sich hier die röntgenologische Befundung als absoluter Standard geradezu auf. Einem danach weiterbehandelnden Arzt ist ein Diagnosefehler vorzuwerfen, wenn er zwar Röntgenbilder fertigt, die darauf erkennbare Fraktur mit Einblutungen in den Knochen aber übersieht (Oberlandesgericht [OLG] Hamm, Urteil vom 4.12.2015, Az. 26 U 33/14).

Der Sachverhalt 

Nach einem Sturz wurde die Klägerin von dem beklagten Arzt ambulant behandelt. Dieser diagnostizierte eine Knochenhautreizung und führte mehrere Kortisoninjektionen durch. Ein zweiter Arzt setzte später die Behandlung fort und verabreichte nach einem MRT weitere Injektionen. Erst in einer Klinik wurden eine Beckenfraktur sowie eine erhebliche bakterielle Infektion des Beckens festgestellt.

Die Entscheidung 

Nach dem Urteil des OLG haftet der erstbehandelnde Arzt, weil er die Injektionsbehandlung trotz bleibender Beschwerden fortgeführt hat, ohne die notwendige Befundung in Richtung auf eine Steißbeinfraktur durch bildgebende Verfahren durchzuführen. Er durfte lediglich bei der Erstuntersuchung mangels Anhaltspunkten für ausgeprägte Schmerzen, Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen zunächst auf eine weitergehende bildgebende Diagnostik verzichten.

Ebenso handelte der weiterbehandelnde Arzt fehlerhaft: Nach den Schilderungen des Sturzes und dem MRT-Bild hätte er eine Fraktur nicht ausschließen können. Insofern ist von einem Diagnosefehler auszugehen.

Anmerkung 

Bei persistierenden Beschwerden ist eine radiologische Abklärung erforderlich. In nicht eindeutigen Fällen ist es deshalb jedem Arzt anzuraten, einen Radiologen zumindest bei der Auswertung der Bilder hinzuzuziehen, um wichtige Befunde nicht zu übersehen.

In einem Parallelverfahren hatte die private Krankenversicherung der Patientin auf Kostenersatz geklagt und ebenfalls vom OLG recht bekommen (Az. 26 U 32/14). Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig und beim Bundesgerichtshof anhängig (Az. VI ZR 703/15, VI ZR 704/15).