Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt muss möglich sein

von Rechtsanwalt Dr. Tobias Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Frehse Mack Vogelsang, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Kürzlich haben Vertragsärzte die ersten Abrechnungsbescheide unter RLV-Bedingungen erhalten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen vor allem eines: Viele Fragen bleiben noch zu klären. Dass eine rechtliche Auseinandersetzung für Ärzte auch erfolgreich sein kann, zeigt ein aktueller Beschluss des Sozialgerichts (SG) Marburg vom 6. August 2009 (Az: S 11 KA 430/09 ER). Dieses hat einer radiologischen Gemeinschaftspraxis zugestanden, Leistungen im Fachgebiet der Radiologie bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts ver­gütet zu erhalten. 

Der Fall

Eine radiologische Gemeinschaftspraxis mit Vorhaltung von CT und MRT hatte 6,5 Millionen Euro in neue Praxisräume investiert. Nach Erhalt der notwendigen Abrechnungsgenehmigungen für die Geräte im Quartal 3/09 sollte mit dem Praxisbetrieb in vollem Umfang begonnen werden. Aufgrund verschiedener Umstände waren die drei Ärzte allerdings im Referenzquartal 3/08 nur in sehr eingeschränktem Umfang vertragsärztlich tätig, sodass die KV der Gemeinschaftspraxis lediglich ein RLV in Höhe von etwa 3.700 Euro zuwies. 

Die Gemeinschaftspraxis wandte sich zuletzt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht und verlangte, dass ihr eine Abrechnungsmöglichkeit bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts ermöglicht wird. Die KV hielt entgegen, dass der Honorarvertrag eine Wachstumsmöglichkeit durch die Anknüpfung an das jeweilige Vorjahresquartal bis zur Abstaffelung vorsehe. Für eine Ausnahmeregelung sei kein Raum, da die drei Ärzte im Referenzquartal bereits als Vertragsärzte niedergelassen waren. 

Entscheidungsgründe

Das SG Marburg entschied zugunsten der Gemeinschaftspraxis. Nach Auffassung des Gerichts ist der RLV-Zuweisungsbescheid offensichtlich rechtswidrig: Die Regelung verstoße gegen die verfassungsrechtlich garantierte Berufswahl- und ausübungsfreiheit des Artikels 12 Grundgesetz und komme aufgrund des Ausmaßes der Einschränkungen sogar einem Berufsverbot gleich. 

Der Honorarvertrag müsse für bestimmte Fallkonstellationen Regelungen enthalten, so etwa für „Neuzulassungen von Vertragsärzten“, „Praxen in der Anfangsphase“ sowie für „Umwandlungen der Kooperationsformen“. Dies sei durch den Bewertungsausschuss vorgegeben worden. Da der einschlägige Honorarvertrag hier lückenhaft sei, müsse diese Lücke unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Wachstumsmöglichkeiten für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen gefüllt werden. Deshalb sei der Gemeinschaftspraxis zuzubilligen, sofort bis zum Durchschnitt der Fachgruppe wachsen zu können. 

Praxishinweise

Das SG Marburg hat die schematische Vorgehensweise der KV mit ungewöhnlich deutlichen Worten als rechtswidrig qualifiziert und erneut betont, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BSG umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe zu erreichen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. 

Gerade im Geltungsbereich der RLV gibt es Praxen, die aufgrund verschiedener Umstände nicht in das „vorgegebene Raster“ passen, wie der entschiedene Sachverhalt beispielhaft belegt. In solchen Fällen sollte geprüft werden, ob auf Grundlage des regionalen RLV-Vertrags (Honorarvertrags) Sonderregelungen vorgesehen und die Vorgaben des Bewertungsausschusses rechtmäßig umgesetzt sind. Ob ein rechtliches Vorgehen sinnvoll ist, sollte dann im jeweiligen Einzelfall entschieden werden.