Vollständige Behandlungsübernahme bei Überweisung zur „Mit-/Weiterbehandlung“?

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rainer Hellweg, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

Wenn in einer ärztlichen Überweisung eine konkrete Untersuchung erbeten wird, aber auch das Kästchen „Mit-/Weiterbehandlung“ angekreuzt ist, wird damit dem weiterbehandelnden Arzt oder der Klinik die Verantwortung für die gesamte diagnostische und therapeutische Tätigkeit übertragen. Zu diesem Ergebnis kam das OLG Naumburg in einem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil vom 10. Oktober 2013 (Az. 1 U 78/12). Diese Entscheidung wird möglicherweise weitreichende Konsequenzen haben.

Der Fall 

Der konkret entschiedene Fall spielt im gynäkologischen Bereich. Allerdings sind die Entscheidungen und die dahinterstehende Rechtsfrage auch für die Radiologen von großer Relevanz. Im Urteilsfall wurde eine unter chronischem Bluthochdruck leidende Schwangere von ihrem Hausarzt in eine Universitätsklinik überwiesen. Auf der Überweisung fand sich der Vermerk „Doppler-Sonographie erbeten“. Gleichzeitig hatte der Hausarzt das Kästchen „Mit-/Weiterbehandlung“ auf dem Überweisungsschein angekreuzt. Die Sonographie wurde dann in der Universitäts-Polyklinik für Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin auch durchgeführt.

Inhalt der Entscheidung 

Das Gericht hatte sich nur mit der Haftung des überweisenden Hausarztes zu beschäftigen. Das Behandlungsverhältnis mit diesem war unstreitig im Einvernehmen mit der Patientin beendet worden, bevor ein kritischer Zustand bei der Patientin eintrat. In diesem Zusammenhang fühlte sich das OLG zu der Aussage veranlasst, dass es zu einer vollständigen Behandlungsübernahme durch die Universitätsklinik gekommen sei. Daraus folge eine vollumfängliche haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Universitätsklinik und ihrer Mitarbeiter.

Zwar sei mit der Doppler-Sonographie eine konkrete Untersuchung erbeten worden. Auch sei zu konstatieren, dass eine Reihe von überweisenden Ärzten auch dann das Feld „Mit-/Weiterbehandlung“ ankreuzten, wenn sie nur eine Untersuchung wünschten – dies verkannte das Gericht nicht. Trotzdem sei aus der Betrachtung des Empfängerhorizonts der Ärzte in der Uniklinik die Überweisung mit dem ausdrücklichen Vermerk zur „Mit-/Weiterbehandlung“ so zu verstehen, dass die Behandlung komplett selbst zu übernehmen sei. Das Gericht argumentierte, ansonsten könnte sich der Überweisende das Kreuz bei der Mit- und Weiterbehandlung sparen.

Der rechtliche Hintergrund 

Das Urteil fällt aus dem Rahmen der sonst vorherrschenden Meinung in der Rechtsprechung. Grundsätzlich gilt: Der Umfang der vom Radiologen geschuldeten Leistungen richtet sich nach dem Inhalt des Auftrags bzw. der Überweisung. Ist diese mit einem konkreten Zielauftrag verbunden, etwa auf eine konkret benannte Diagnosemaßnahme beschränkt, muss der Radiologe grundsätzlich nur diese Maßnahme durchführen. Nach Kommunikation des Ergebnisses an den Überweiser läge es dann in dessen Verantwortung, die Ergebnisse der Befunderhebung zu interpretieren und gegebenenfalls weitere Maßnahmen in die Wege zu leiten.

Einschränkend galt schon immer, dass der Radiologe prüfen muss, ob der Auftrag durch den Auftraggeber richtig gestellt wurde und dem gegebenen Krankheitsbild entspricht. Somit darf der Radiologe auch bei einem eingeschränkten Untersuchungsauftrag nicht „blind vertrauen“. Wenn etwa auf einer Röntgenaufnahme Zufallsbefunde offenbart werden, muss er unbedingt von sich aus tätig werden und zumindest unverzüglich Rücksprache mit dem Auftraggeber halten.

Bedeutung der Entscheidung 

Die Entscheidung des OLG Naumburg geht nun über diese Rechtsprechung hinaus und verpflichtet den Weiterbehandler auch dann zur vollständigen Behandlungsübernahme, wenn die Überweisung sich eigentlich auf eine konkret benannte Diagnosemaßnahme beschränkte. Die vollständige Verantwortungsübernahme folge allein aus dem Kreuzchen im Feld „Mit-/Weiterbehandlung“ auf dem Überweisungsschein, was sicherlich viele Ärzte regelmäßig ohne tiefergehende Hintergedanken einfach mit ankreuzen.

Das Urteil des OLG Naumburg kann man juristisch mit guten Argumenten kritisieren. Es ist (noch) nicht rechtskräftig, sodass die abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten bleibt.

Vorsicht bei Vorgehensweise nach Überweisungen 

Gleichwohl zeigt die Entscheidung des OLG Naumburg: Für Überweisungsempfänger ist Vorsicht geboten! Auch wenn es im dortigen Fall um eine gynäkologische Klinik ging, stehen Radiologen hier besonders im Fokus. Sie sollten genau darauf achten, mit welchem Auftrag die Überweisung verknüpft war und wie weit aufgrund dessen der Verantwortungsbereich des Radiologen geht.

Dabei wird man haftungsrechtlich von einem niedergelassenen Radiologen bzw. einer Radiologie-Praxis sicherlich weniger erwarten können und müssen, was eine vollständige Behandlungsübernahme des Patienten angeht. Dies schon aufgrund der auf das Fachgebiet der Radiologie beschränkten fachlichen Kompetenz und Kapazitäten.

Vor allem aber in Kliniken sollten sich die Radiologen vorsehen, wenn ihnen Patienten etwa von Niedergelassenen überwiesen werden. Dies insbesondere dann, wenn das Kästchen „Mit-/Weiterbehandlung“ angekreuzt ist. Wenn in solch einem Fall eine vollständige Behandlungsübernahme zu bejahen sein sollte – wie es das OLG Naumburg im dortigen Fall angenommen hat –, so müssen sich die Radiologen von sich aus und initiativ darum kümmern, was mit dem Patienten weiter geschieht. Dies gegebenenfalls unter Heranziehung und in Zusammenarbeit mit den Klinikkollegen aus den anderen Fachabteilungen.

Praxistipp

Wenn unklar ist, wie weit der Überweisungsauftrag konkret gehen soll, sollte der Radiologe die Rücksprache mit dem Auftraggeber suchen. Dies sollte zumindest kurz in der Patientendokumentation festgehalten werden, um die Beweisbarkeit in einem möglichen späteren Haftungsprozess zu sichern. Gerade an der Schnittstelle zwischen Auftraggebern und Radiologen können Haftungsfallen für den Radiologen lauern.