Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG): Das Wichtigste für Radiologen

von RAen, FAen für MedR, Wirtschaftsmediatoren Michael Frehse und Dr. Tobias Scholl-Eickmann, www.kanzlei-am-aerztehaus.de 

Der Bundestag hat am 10. Juni 2015 das GKV-VSG beschlossen. Es sind in Relation zum vorangehenden Kabinettsentwurf noch einige Änderungen verankert worden, mit denen auf die teils harsche Kritik etwa des 118. Deutschen Ärztetags reagiert wurde. Zwar muss der Bundesrat dem Gesetz noch zustimmen, grundlegende Änderungen werden aber nicht mehr erwartet. Für Radiologen relevante Punkte des GKV-VSG werden nachfolgend dargestellt und erläutert.

Praxisaufkauf durch KV – aus „kann“ wird „soll“ 

Trotz aller Widerstände hält der Gesetzgeber daran fest, dass Zulassungsausschüsse künftig Ausschreibungsanträge nicht nur ablehnen können, sondern „sollen“, wenn die Nachbesetzung aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. Versorgungsgründe sind etwa dann gegeben, wenn ein besonderer lokaler oder qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf besteht oder ein Arztsitz mit spezieller Fachrichtung weiter benötigt wird. Zudem können auch Mitversorgungsaspekte, Bedürfnisse behinderter Menschen oder der Erhalt eines besonderen Versorgungsangebots in einem MVZ oder einer Praxis eine Rolle spielen.

Abgemildert wurde die Regelung zum „Sitzeinzug“ aber in einem zentralen Punkt: Erst wenn der allgemeine bedarfsabhängige Versorgungsgrad um mehr als 40 Prozent überschritten wird, wandelt sich die „Kann“- in eine „Soll“-Regelung. Die Versorgungsgradfeststellung hat durch den Landesausschuss zu erfolgen.

Wenn der Nachbesetzungsantrag abgelehnt wurde, hat nach § 103 Abs. 3a S. 8 SGB V eine Entschädigung in Höhe des materiellen und immateriellen Verkehrswerts der Praxis zu erfolgen. Einzubeziehen sind dabei nach erfolgter Klarstellung des Gesetzgebers auch Folgeschäden, die dem betroffenen Arzt etwa aufgrund von längerfristigen Verträgen entstehen. Der am Markt etwaig zu erzielende, über den Verkehrswert hinausgehende Wert bleibt unberücksichtigt.

Einer bisher verbreiteten Nachbesetzungsgestaltung wurde ein Riegel vorgeschoben: Die gemeinschaftliche Tätigkeit, etwa durch eine Jobsharing-Anstellung oder auch eine Jobsharing-Gesellschaft, führt nicht mehr zwingend zur Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens in Umgehung der zuvor dargestellten „Soll-Vorschrift“, sondern nur noch dann, wenn die gemeinsame Tätigkeit mindestens drei Jahre erfolgt ist. Vertrauensschutz genießen Gestaltungen, die vor der 1. Lesung im Bundestag (= 8. März 2015) umgesetzt wurden.

Ergänzt wurden die Ausnahmeregelungen zur Ausschreibung (zum Beispiel für Ehegatten, Kinder oder Praxispartner) um Fälle, in denen Ärzte sich verpflichten, den Sitz in ein schlechter versorgtes Gebiet des Planungsbereichs zu verlegen. Die KV soll den Zulassungsausschuss über solche Versorgungsumstände informieren. Findet sich kein verlegungswilliger Arzt, bleibt es beim Einzug des Sitzes.

Einführung von Terminservicestellen 

Nach § 75 Abs. 1a SGB V umfasst der Sicherstellungsauftrag nun eine zeitnahe Zurverfügungstellung fachärztlicher Versorgung. Dazu müssen die KVen Terminservicestellen einsetzen, die Versicherten bei Überweisung zum Facharzt binnen einer Woche einen Termin bei einem Vertragsarzt vermitteln. Die Wartezeit auf einen Termin darf höchstens vier Wochen betragen, der Arzt muss in zumutbarer Entfernung zum Wohnort des Patienten tätig sein; Anspruch auf einen „Wunscharzt“ hat der Patient nicht. Bagatellerkrankungen, verschiebbare Routineuntersuchungen sowie vergleichbare Fälle sind von der Terminvermittlung ausgenommen.

Steht fristgerecht kein Termin zur Verfügung, muss ein ambulanter Termin in einem Krankenhaus angeboten werden. Näheres wird noch im Bundesmantelvertrag konkretisiert werden, etwa auch zu der (spannenden) Frage, in welchen Fällen keine Terminvermittlung indiziert ist.

Das GKV- VSG enthält keine Verpflichtung für den jeweiligen Arzt, der Terminservicestelle ein freies Kontingent bereitzustellen. Der Arzt kann weiterhin selbst über seine Termine frei verfügen. Ein gesondertes Entgelt für Ärzte, die Kontingente vorhalten, ist nicht vorgesehen.

Höhere Geldbußen bei Disziplinarverfahren 

Bei Verstößen gegen die vertragsärztliche Pflichten können die die Disziplinarausschüsse künftig Geldbußen bis zu 50.000 Euro verhängen. Die bisherige Grenze von 10.000 Euro wurde moniert, zumal darüber hinaus nur das vielfach als unverhältnismäßig empfundene Ruhen der Zulassung angeordnet werden konnte.

Plausibilitätsprüfung – Zeitprofile angestellter Ärzte 

Dem Vorgehen einzelner KVen (unter anderem Hessen, Berlin), die angestellten Ärzten geringere Zeitprofile als freiberuflich tätigen Vertragsärzten zugewiesen hatten, wird eine deutliche Absage erteilt. Dieser „pauschalen Benachteiligung“ wird ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben.

KV muss prüfen, ob Versorgungsauftrag erfüllt und eingehalten wird 

In der Praxis weitgehend unbemerkt ist die für die Praxis bedeutsame Ergänzung in § 95 Abs. 3 SGB V, dass KVen künftig prüfen müssen, ob Vertragsärzte ihrem Versorgungsauftrag nachkommen. Die Zielrichtung des Gesetzgebers ist zwar auf eine zeitnahe Versorgung der Versicherten gerichtet. Risiken bestehen aber vor allem für Ärzte, die mit hälftiger Zulassung – wie in der Praxis häufig anzutreffen – de facto vollzeitig tätig sind oder umgekehrt für Ärzte, die trotz voller Zulassung kaum vertragsärztlich tätig werden. Es drohen disziplinarrechtliche Sanktionen bis hin zur Zulassungsentziehung.

Fachgruppengleiche MVZ werden zulässig 

Das bisherige Tatbestandsmerkmal für MVZ „fachübergreifend“ entfällt. Es ist so künftig beispielhaft ein reines Hausarzt-MVZ oder auch Radiologen-MVZ zulässig. Der MVZ-Gründerkreis wird zudem um Kommunen ergänzt, die diese auch als Eigen- oder Regiebetrieb öffentlich-rechtlich führen dürfen.

Praktische Erleichterungen wird es auch für MVZ-Gründer geben. So kann anstelle der bislang notwendigen selbstschuldnerischen Bürgschaft Sicherheit auch durch ein anderes Mittel im Sinne des § 232 BGB (Hypothekenbestellung o. Ä.) geleistet werden. Klargestellt wird in § 95 weiter, dass die Gründereigenschaft von Vertragsärzten, die zugunsten einer Anstellung im MVZ auf ihre Zulassung verzichten, solange erhalten bleibt, wie sie im MVZ vertragsärztlich tätig und MVZ-Gesellschafter sind.

Verlegung einer MVZ-Anstellungsgenehmigung erleichtert 

Ferner wird in § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV ergänzt, dass die Verlegung einer Arztstelle, also eines „Angestelltensitzes“, unter gleichen Voraussetzungen möglich ist wie die Verlegung eines Vertragsarztsitzes – nämlich stets dann, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen. Künftig werden somit auch Verlegungen von einem MVZ in ein anderes MVZ oder einen anderen Standort desgleichen MVZ-Trägers (unstreitig) möglich sein; bislang bestanden hier erhebliche Probleme in der Praxis.

Wachstum für unterdurchschnittlich abrechnende Jobsharingpraxen 

Wird in gesperrten Planungsbereichen ein weiterer Arzt in eine Praxis im Rahmen des Jobsharing aufgenommen, wird eine Honorarobergrenze fixiert, die nur unwesentlich über dem bisherigen Praxisumfang liegt – selbst bei zuvor unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen. Dies wird künftig geändert, sodass jede Praxis zumindest bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen kann. Dies birgt Optionen für Einstiegsgestaltungen.

Praxisnetze werden weiter gefördert 

Von den KVen anerkannte Praxisnetze müssen auch künftig gefördert werden. Neben den auf Bundesebene vorgegebenen Kriterien können die KVen auch auf Landesebene Praxisnetze ergänzend mit Mitteln des Strukturfonds fördern.

Gebührenminderung für Zulassungen in unterversorgten Gebieten 

Die Zulassungsausschüsse sollen für Zulassungen in unterversorgten Gebieten keine Gebühren mehr erheben, im Übrigen kann aus Versorgungsgründen auf die Gebührenerhebung verzichtet werden. Bei der Nachbesetzung einer genehmigten Anstellung sind die Gebühren zu halbieren. Entsprechende Anpassungen in § 46 Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) sind vorgesehen.

Regelungen zur Vertretung angestellter Ärzte 

Ergänzt wird die Ärzte-ZV um die Regelung, dass für einen angestellten Arzt aus gleichen Gründen ein Vertreter bestellt werden kann wie für einen Vertragsarzt. Bislang fehlte es an einer entsprechenden Normierung.

Neuregelung der „Besonderen Versorgung“ 

Die bislang (wenig systematisch) in §§ 73a, 73c und 140a SGB V geregelten Möglichkeiten von Strukturverträgen und Verträgen integrierter Versorgung werden künftig im neuen § 140a SGB V zusammengeführt. Dabei wird klargestellt, dass auch Leistungen, die nicht Umfang der Regelversorgung sind, Gegenstand von Verträgen der „besonderen Versorgung“ sein können. Beispielhaft benennt der Gesetzgeber etwa Früherkennung oder neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als zulässige Elemente.

Fazit

Der Gesetzgeber hat auch Regelungen vorgesehen, die nachhaltige Probleme nach sich ziehen werden – etwa Terminservicestellen oder höhere Geldbußen bei Disziplinarverfahren. Die konkreten praktischen Auswirkungen dürfen mit Spannung beobachtet werden.