Sonderbedarfszulassung im Schwerpunktgebiet Kinderradiologie: BSG setzt hohe Hürden

von RA Dr. Peter Wigge, FA für Medizinrecht, Münster, www.ra-wigge.de

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem Urteil vom 5. November 2008 ­(Az: B 6 KA 56/07 R) zu den Anforderungen an die Ermittlung der Zulassungsgremien zu einem besonderen Versorgungsbedarf in einem Planungsbereich, der wegen Überversorgung für Neuzulassungen gesperrt ist, Stellung genommen. Dabei hat das BSG – entgegen der Vorinstanzen – entschieden, dass die berufsrechtliche Einführung einer neuen Facharzt- oder Schwerpunkt­bezeichnung (hier die Kinderradiologie) allein keine Sonderbedarfzulassung eines entsprechend qualifizierten Arztes rechtfertigt. 

Die gesetzlichen Vorgaben bei Schwerpunktbezeichnung

In für Radiologen gesperrten Planungsbereichen kann ein weiterer Facharzt für Radiologie nur wegen eines besonderen Versorgungs­bedarfs zugelassen werden. Dazu ist in § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V bestimmt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze beschließt, soweit diese zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung unerlässlich sind. Diesen Normsetzungsauftrag hat der G-BA mit den §§ 24 bis 26 der Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte umgesetzt. 

Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen liegt ein besonderer Versorgungsbedarf vor, „wie er durch den Inhalt des Schwerpunkts, einer fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fachkunde für das Facharztgebiet nach der Weiterbildungsordnung umschrieben ist“. Voraussetzung für eine Zulassung ist dabei, „dass die ärztlichen Tätigkeiten des qualifizierten Inhalts in dem betreffenden fachärztlichen Planungs­bereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen und dass der Arzt die für den besonderen Versorgungs­bedarf erforderlichen Qualifikationen durch die entsprechende Facharztbezeichnung sowie die besondere Arztbezeichnung oder Qualifikation (Schwerpunkt, fakultative Weiterbildung, Fachkunde) nachweist“. 

Bereits aus dem Wortlaut ergibt sich, dass allein die berufsrechtliche Einführung einer neuen Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung keine Sonderbedarfszulassung in gesperrten Gebieten rechtfertigen kann. Denn neben einer der erwähnten ärztlichen Qualifikationen ist stets auch ein „besonderer Versorgungsbedarf“ in dem betreffenden Planungsbereich erforderlich. Bei der Klärung der Frage, ob ein solcher besonderer Versorgungsbedarf vorliegt, steht den Zulassungsgremien nach ständiger Rechtsprechung ein – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer – Beurteilungsspielraum zu. 

BSG-Vorgaben zum Prüfungsumfang und zu Prüfungskriterien

Das BSG hat in seinem Urteil vom 5. November 2008 nun den Prüfungsumfang und die Prüfungskriterien im Detail festgelegt, die die Zulassungsgremien bei der Ermittlung des besonderen Versorgungsbedarfs vorzunehmen haben: 

1. Genaues Bild von der Versorgungslage machen

Bei ihrer Entscheidung müssen sich die Zulassungsgremien ein möglichst genaues Bild von der Versorgungslage in dem betreffenden Planungsbereich machen und ermitteln, welche Leistungen in welchem Umfang zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich sind, von den dort bereits zugelassenen Ärzten aber nicht angeboten werden. Dies schließt aber nach Auffassung des BSG nicht aus, das im Falle von Subspezialisierungen einzelner Fachgebiete auch an den Planungsbereich angrenzende Gebiete in die Überlegungen mit einbezogen werden. 

Zur Ermittlung der konkreten Bedarfssituation hält es das BSG für geboten, die bereits niedergelassenen Ärzte nach ihrem Leistungsangebot und der Aufnahmekapazität ihrer Praxen zu befragen. Diese Befragung hat sich entsprechend der Zielrichtung von Sonderbedarfszulassungen grundsätzlich auf die gesamte Breite des medizinischen Versorgungsbereichs und nicht nur auf einzelne spezielle Leistungen zu erstrecken. Im Falle der Kinderradiologie haben die Zulassungsgremien also die gesamte Breite des medizinischen Versorgungsbereichs des Schwerpunkts der Kinderradiologie zu beachten. 

2. Alle Ärzte des betreffenden Teilgebiets sind einzubeziehen

Die Ermittlungen dürfen sich ferner auf die gesamte jeweilige Gruppe der Gebietsärzte beziehen, die nach dem einschlägigen Weiterbildungsrecht befugt sind, die Leistungen eines streitigen Teilgebiets zu erbringen. 

3. Befragung nur der Ärzte des Planungsbereichs reicht nicht für objektive Beurteilung des Bedarfs

Die Sachverhaltsermittlung der Zulassungsgremien darf sich nach Auffassung des BSG allerdings typischerweise nicht in Befragungen der im Einzugsbereich in dem Fachgebiet tätigen Vertragsärzte erschöpfen. Die Gefahr, dass die Äußerungen der befragten Ärzte in starkem Maße auf deren subjektiven Einschätzungen beruhen und von deren inpidueller Interessenlage mit beeinflusst sein können, erfordere eine kritische Würdigung der Antworten durch die Zulassungsgremien. Denn bereits niedergelassene Vertragsärzte könnten ein Interesse daran haben, den Zugang eines weiteren Arztes wegen unerwünschter Konkurrenz möglichst zu verhindern. Aus diesem Grund sind die Aussagen der im Planungsbereich bereits niedergelassenen Ärzte zur Bedarfslage nicht ohne Weiteres als Entscheidungsgrundlage ausreichend, sondern müssen nach Aussage des BSG sorgfältig ausgewertet und soweit wie möglich durch weitere Ermittlungen ergänzt und so objektiviert werden. 

Fazit aus dem BSG-Urteil

Allein die (weiterbildungsrechtliche) Einführung eines neuen Schwerpunkt- oder Fachgebiets reicht nicht aus, einen Sonderbedarf zu begründen. Darüber hinaus muss ein besonderer Versorgungsbedarf bestehen. Mit seinem Urteil hat das BSG den Zulassungsgremien hohe formale Anforderungen aufgegeben, die diese vor ihrer Entscheidung über Sonderbedarfszulassungen bei der Überprüfung und Ermittlung der konkreten Bedarfssituation in einem gesperrten Planungsbereich zu beachten haben.