So kann der Käufer den gesamten Kaufpreis für die Arztpraxis von der Steuer absetzen

von StB und Dipl.-Finanzwirt Alfred P. Röhrig, Bad Honnef, steuerberaterkanzlei-roehrig.de

Die ertragsteuerrechtliche Beurteilung der Aufwendungen im Zusammenhang mit einem kassenärztlichen Nachfolgeverfahren ist klargestellt: Der Käufer einer Arztpraxis kann den gesamten Kaufpreis steuerlich als Absetzungen für Abnutzung (AfA) ansetzen, wenn er außer der Kassenarztzulassung die gesamte Kassenarztpraxis erworben hat. Durch zwei aktuelle Grundsatzentscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) herrscht insofern nun Klarheit (Urteile vom 21.2.2017, Az. VIII R 7/14 und Az. VIII R 56/14 ).

Kosten für den immateriellen Praxiswert können abgeschrieben werden 

Beim Erwerb einer Arztpraxis werden neben dem Kaufpreis für die Übertragung der materiellen Wirtschaftsgüter regelmäßig auch Zahlungen für den immateriellen Praxiswert vereinbart. Die Anschaffungskosten für den Praxiswert dürfen gewinnmindernd abgeschrieben werden:

  • beim Erwerb einer Einzelpraxis über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren,
  • beim entgeltlichen Eintritt in eine Gemeinschaftspraxis – unter Fortsetzung der Tätigkeit des „Altgesellschafters“ – über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren.

Was ist mit dem Vertragsarztsitz? 

Problematisch war bisher die ertragsteuerliche Beurteilung, wenn es auch um die Überleitung der Vertragsarztzulassung vom Praxisinhaber und Zulassungsinhaber auf den Praxiserwerber ging. Praxisübertragungsverträge enthalten insofern regelmäßig Regelungen zur Überleitung der Zulassung auf den Praxiserwerber und eine entsprechende Verpflichtung zur Mitwirkung des Zulassungsinhabers im Nachbesetzungsverfahren.

Das Problem

Die Vertragsarztzulassung vermittelt ein höchstpersönliches, öffentlich-rechtliches Statusrecht, das dazu berechtigt, gesetzlich krankenversicherte Patienten zu behandeln und die Leistungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen. Sie wird in zulassungsbeschränkten Gebieten im Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Sozialgesetzbuch (SGB) V erteilt und kann durch den Zulassungsinhaber nicht direkt an einen Erwerber veräußert werden.

 

Bisherige Rechtslage beim Erwerb einer Einzelpraxis 

Die Finanzbehörden haben zu dieser Streitfrage in der Vergangenheit die Rechtsauffassung vertreten, dass „der wirtschaftliche Vorteil einer Vertragsarztzulassung“ als ein nicht abnutzbares immaterielles – vom Praxiswert zu trennendes eigenes – Wirtschaftsgut zu beurteilen ist.

Mit einer Grundsatzentscheidung hat der BFH dem widersprochen (Urteil vom 09.08.2011, Az. VIII R 13/08): Orientiert sich der für eine Arztpraxis mit Vertragsarztzulassung vereinbarte Kaufpreis ausschließlich am Verkehrswert, so ist in dem damit abgegoltenen Praxiswert der Vorteil der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar verbunden. Es wird also nur ein Wirtschaftsgut „Praxiswert“ angenommen, der – wie oben dargestellt – einheitlich gewinnmindernd abzuschreiben ist.

Bisherige Probleme 

Die Richter stellten darüber hinaus auch fest: Der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt ist zwar grundsätzlich kein neben dem Praxiswert der übernommenen Praxis stehendes oder ihn überlagerndes selbstständiges Wirtschaftsgut. Dies schließt aber nicht aus, dass in Sonderfällen die Zulassung zum Gegenstand eines gesonderten Veräußerungsvorgangs gemacht und damit zu einem selbstständigen Wirtschaftsgut konkretisiert werden kann. Dies könnte z. B. der Fall sein, wenn der Erwerber eine Zahlung im Zusammenhang mit der Erlangung der Vertragsarztzulassung leistet, ohne jedoch die Praxis zu übernehmen, weil er den Vertragsarztsitz an einen anderen Ort verlegen will.

Der BFH hat insofern allerdings nicht geklärt, wie das selbstständige immaterielle Wirtschaftsgut „Vertragsarztsitz“ ertragsteuerlich zu behandeln ist. Deshalb hat es in den letzten Jahren zahlreiche Finanzgerichtsverfahren zu dieser Frage gegeben.

Neue Rechtslage 

Diese Frage hat der BFH nun in den zwei o. g. Musterentscheidungen wie folgt geklärt:

Gemeinschaftspraxis erwirbt Ver- tragsarztpraxis mit Patientenarchiv 

Im ersten Fall erwarb eine fachärzt-liche Gemeinschaftspraxis die Praxis eines Kassenarztes (BFH, Az. VIII R 7/14). Deren Besonderheit war, dass die Patienten diese im Wesentlichen aufgrund von Überweisungen anderer Ärzte aufsuchten und diese Zuweiserbindung ein entscheidender Faktor für den Kaufpreis war.

Die Gemeinschaftspraxis übernahm einige Mitarbeiter der Einzelpraxis und das Patientenarchiv, wollte ihre Tätigkeit jedoch nicht in den Räumen des bisherigen Praxisinhabers ausüben. Der bisherige Einzelpraxisinhaber übernahm im Kaufvertrag die Verpflichtung, im Nachbesetzungsverfahren an der Erteilung der Zulassung an eine Gesellschafterin der Gemeinschaftspraxis mitzuwirken.

Ergebnis: Nach dem BFH werde eine Vertragsarztpraxis samt der zugehörigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis, insbesondere des Praxiswerts, als Chancenpaket erworben. Hier sei der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar im Praxiswert als abschreibbares immaterielles Wirtschaftsgut enthalten. Maßgebliches Indiz sei, dass Veräußerer und Erwerber einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts der Praxis oder sogar einen darüber liegenden Wert vereinbaren. Dem stehe der Ortswechsel der Praxis nicht entgegen.

Der BFH ist daher im konkreten Streitfall zu dem Ergebnis gelangt, dass nur ein einheitliches Immaterielles Wirtschaftsgut „Praxiswert“ angeschafft worden ist, das einheitlich abzuschreiben ist.

Gemeinschaftspraxis erwirbt Vertragsarztpraxis ohne Patientenarchiv 

Im zweiten Fall schloss der Inhaber einer Einzelpraxis mit dem Neugesellschafter einer Gemeinschaftspraxis einen Praxisübernahmevertrag (BFH, Az. VIII R 56/14). Dieser stand unter der Bedingung der erfolgreichen Überleitung der Vertragsarztzulassung auf den Erwerber. Der Veräußerer verpflichtete sich auch hier, im Nachbesetzungsverfahren an der Überleitung der Zulassung auf den Erwerber mitzuwirken. Zudem verlegte er seine Vertragsarztpraxis für eine kurze Zeit an den Ort der Gemeinschaftspraxis, ohne für die Gemeinschaftspraxis tätig zu sein.

Ergebnis: Der BFH verneinte hier die AfA-Berechtigung des Erwerbers in vollem Umfang. Der Neugesellschafter habe nur den wirtschaftlichen Vorteil aus der auf ihn überzuleitenden Vertragsarztzulassung gekauft, da er weder am Patientenstamm der früheren Einzelpraxis noch an anderen wertbildenden Faktoren Interesse gehabt habe.

Dieses Wirtschaftsgut sei nicht abschreibbar, da es keinem Wertverzehr unterliege. Der Inhaber könne eine ihm unbefristet erteilte Vertragsarztzulassung gleichbleibend in Anspruch nehmen, solange er sie innehabe. Er könne zudem den aus ihr resultierenden wirtschaftlichen Vorteil im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 SGB V durch eine Überleitung der Zulassung auf einen Nachfolger verwerten. Aus diesem Grund erschöpft sich der Wert des immateriellen Wirtschaftsguts des wirtschaftlichen Vorteils aus der Vertragsarztzulassung nicht in einer bestimmten bzw. bestimmbaren Zeit.

Folgen für die Praxis 

Wird im Rahmen einer Praxisübernahme die gewinnmindernde Geltendmachung der Anschaffungskosten für den „Kassensitz“ angestrebt, ist auf eine sorgfältige vertragliche Regelung zu achten. Dabei sollten Käufer in jedem Fall das Gespräch mit ihrem steuerlichen Berater suchen, damit die Gestaltung und die daraus resultierende Behandlung der Anschaffungskosten unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung getroffen werden.

Neue Rechtsprechung

  • Wird eine Vertragsarztpraxis samt der zugehörigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis, insbesondere des Praxiswerts, als Chancenpaket erworben, ist der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar im Praxiswert als abschreibbares immaterielles Wirtschaftsgut enthalten.
  • Maßgebliches Indiz für den beabsichtigten Erwerb der Arztpraxis als Chancenpaket ist, dass Veräußerer und Erwerber einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts der Praxis oder einen darüber liegenden Wert vereinbaren.