Schätzungsermessen einer KV ist begrenzt

von RA und FA für MedR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de 

Das Schätzungsermessen einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Rahmen von Plausibilitätsprüfungen ist begrenzt und muss sich auch am Gebot einheitlicher Ermessensausübung nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) messen lassen. So entschied das Sozialgericht (SG) Marburg am 2. Juli 2014 (Az. S 12 KA 483/13). Mit dem Urteil eröffnen sich auch in Verfahren mit Zeitprofilüberschreitungen, von denen Radiologen oft betroffen sind, neue Verteidigungsmöglichkeiten.

Der Fall 

Eine Pädiaterin führte mit einem weiteren Pädiater eine Praxisgemeinschaft. Innerhalb der beiden Praxen stellte die KV in einigen Quartalen einen Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 20 und 29 Prozent fest und forderte anlässlich einer Plausibilitätsprüfung wegen unzulässiger Nutzung der Kooperationsform „Praxisgemeinschaft“ etwa 17.700 Euro von der Pädiaterin zurück, wobei sich die KV zur Schadensberechnung auf ihr weites Schätzungsermessen berief. Die Ärztin wandte unter anderem ein, dass die Schadensberechnung der KV nicht nachvollziehbar sei. Weil die Praxis so klein sei, dass eine zeitgleiche Tätigkeit beider Ärzte unmöglich sei, gäbe es ein Arbeitszeitschichtmodell mit vereinzelten Doppelfällen als Folge.

Die Entscheidung 

Das SG entschied zugunsten der Ärztin. Zwar sei eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform hinreichend nachgewiesen. Das Schichtmodell impliziere, dass wechselseitig Vertretungsfälle anfielen. Das Anfallen von Vertretungsfällen werde von den beiden Ärzten auch gezielt in Kauf genommen. Die Praxis würde insgesamt nicht wie eine Praxisgemeinschaft, sondern vielmehr wie eine Gemeinschaftspraxis geführt.

Die KV habe das Kürzungsermessen indes unzureichend ausgeübt. Bei ihrer Berechnungsweise blieben nur 7,6 bis 12,5 Prozent der gemeinsamen Fälle zugunsten der Ärzte anerkannt. Damit würden aber wesentlich weniger Fälle zuerkannt als das Aufgreifkriterium von 20 Prozent als zulässig einräumt. Auch bestünden erhebliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt einheitlicher Ermessensausübung (Art. 3 Abs. 1 GG), da die Berechnungsweise erhebliche Schwankungsbreiten von 10 bis 30 Prozent bedinge. Zudem bedeute das Überschreiten der 20-Prozent-Grenze nicht, dass dann per se auch regressiert werden kann.

Fazit

Das SG entscheidet soweit ersichtlich erstmals, dass das vom Bundessozialgericht eröffnete „weite Schätzungsermessen“ nicht unbegrenzt besteht. Dies gilt es in Plausibilitätsprüfverfahren zu nutzen, um den oft überbordenden Ermittlungen von Regresssummen durch die KVen entgegenzutreten. Häufig lässt sich mit wenigen Maßnahmen präventiv ein wirksamer Schutzschirm aufspannen.