Radiologische Chefärzte im Stress: Wie Gelassenheit gelingt

von Katharina Daniels, Medizinjournalistin und PR-Beraterin, www.daniels-kommunikation.de

Management-Profi, Führungskraft, Ausbilder und nicht zuletzt Arzt: Die Erwartungen an Chefärzte sind immens. Wie gelingt es, dem Druck standzuhalten und dem Klinikstress besser zu begegnen? Die Medizinjournalistin Katharina Daniels interviewte im Auftrag des „Contrast Forum“ eine Expertin zu diesen Fragen – die Radiologin Prof. Dr. med. Angela Geissler. Geissler ist Chefärztin für Radiologie und Nuklearmedizin am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. Sie beschäftigt sich wissenschaftlich mit Selbstmanagement und der Auswirkung von Meditation und Sport auf die Stressresistenz.

Was sind die größten ­Stress­faktoren in der Klinik?

Geissler: In den meisten Krankenhäusern herrscht ein starker ökonomischer Druck bei schrumpfender Personaldecke. Damit stehen bei der Ausbildung und Einarbeitung junger Mitarbeiter Prozessabläufe stärker im Vordergrund – das kann zu Spannungen im Team führen. Die klare Kommunikation mit Mitarbeitern, Krankenschwestern und Geschäftsführern ist unabdingbare Voraussetzung für ein möglichst spannungsfreies Arbeiten.

Was können Chefärzte von der Klinikverwaltung erwarten oder sogar einfordern?

Geissler: Chefärzte können von ihrer Klinikleitung Offenheit und klare Kommunikation erwarten. Ärzte sollten von Tätigkeiten entlastet werden, die andere Berufsgruppen besser und effizienter erledigen können. Themen wie die Delegation ärztlicher Tätigkeiten an qualifiziertes Personal sollten von Chefärzten, Pflege und Geschäftsführung offen diskutiert und umgesetzt werden. Klare Richtlinien, welche Tätigkeiten Chefärzte persönlich erbringen müssen, sind sinnvoll. Hilfreich wäre auch ein standardisiertes Vorgehen etwa bei Anfragen von Krankenkassen und Controllern: Was kann der Chefarzt an die Verwaltung abgeben? Die zunehmende ökonomische Verantwortung der Chef­ärzte sollte in einem klar definierten Rahmen bleiben.

Welchen Anteil hat der Chefarzt selbst am Stress­geschehen?

Geissler: Vorausgeschickt: Chefärzte befinden sich in einem Spinnennetz multipler Anforderungen. In der Klinik wird interdisziplinäres Denken und kollegiale Unterstützung erwartet. Die wenigsten Ärzte sind in ihrer beruflichen Sozialisation aber auf Teamdisziplin geeicht. Und das Management von Konflikten ist keine medizinische Disziplin, sondern erfordert überfachliche Qualifikationen. Die hierfür notwendige Expertise ist keineswegs bei jedem Chefarzt vorhanden. Hier lässt sich durch entsprechende Supervision und Ausbildung Abhilfe schaffen.

Was sind die Alarmzeichen für Stress?

Geissler: Chronischer Stress kann auch die Persönlichkeit eines Menschen verändern. Der Übergang in die Symptome eines Burn-outs ist schleichend. Morphologisch schrumpft der Hippocampus, die entsprechenden kognitiven Einschränkungen sind bekannt. Die Leistungsfähigkeit geht zurück, neuronale Reparationsvorgänge finden nicht mehr statt. Alarmzeichen für chronischen Stress sind zum Beispiel ständige Gereiztheit, unbedachtes Handeln und mangelndes Erinnerungsvermögen.

Gibt es Lösungsmöglichkeiten für diese Art von Dauerstress? Wie gelingt Gelassenheit?

Geissler: Omnipräsenz und Omnipotenz haben viel mit dem tradiertem Selbstbild des Chefarztes zu tun. Wichtig ist eine Priorisierung der Aufgaben: Was erfordert wirklich meine Anwesenheit? Für die Anforderungen Externer können feste Ansprechpartner in der Abteilung benannt werden. Die Aus- und Weiterbildung der Assistenzärzte kann in Teilen an Oberärzte delegiert werden, die so Gestaltungsspielräume hinzugewinnen.

Um Veränderung akzeptieren zu können, muss die eigene Position deutlich sein: Wo stehe ich? Was will ich? Was finde ich gut, was nicht? Was sind meine Werte? Jemand ohne klare Position wird die Veränderung bedrohlich finden. Ein häufiger Fehler ist, sich in Bedrohungsszenarien hineinzusteigern und sich selbst nur noch als Getriebener zu begreifen. Langfristige Perspektiven, die persönliche Vision und innere Gelassenheit sind entscheidend, um nicht nur in die Welt geworfen zu sein. Mit Gelassenheit wird es einfacher, Veränderung als Selbst­verständlichkeit zu akzeptieren.

Daneben sind Sport und Meditations- und Entspannungstechniken außerordentlich hilfreich. Diese können auch morphologische Veränderungen auf zellularer Ebene rückgängig machen, wie Studien eindrucksvoll belegen. Herunter­gebrochen auf die Alltagswelt heißt das: Atmen Sie in einer kritischen Situation fünfmal tief durch, bevor sie handeln! Die sich einstellende Entspannung und Distanzierung nimmt dem Stress die Spitze.

Literaturhinweis: Ausführlich mit der beschriebenen Thematik befasst sich das Buch von Prof. Geissler und Jens Hollmann „Leistungsbalance für Leitende Ärzte – Selbstmanagement, Stress-Kontrolle, Resilienz im Krankenhaus“ aus der Reihe Erfolgskonzepte Praxis- & Krankenhaus-Management. Das Buch ist für Ende November angekündigt und wird im Springer-Verlag erscheinen (ISBN: 978-3-64229-333-7; 44,95 Euro).