Radiologe obsiegte – Rücknahme des Honorarbescheids durch KV war nicht rechtens!

von RAin Dr. Gwendolyn Gemke, Sozietät Hartmannsgruber, Gemke, Argyrakis & Partner, München, www.med-recht.de 

Bei sachlich-rechnerischen Berichtigungen muss eine Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur rückwirkenden Korrektur bei individuell fehlerhafter Rechtsanwendung (Urteil vom 30.6.2004, Az. B 6 KA 34/03 R) sowie zum Vertrauensschutz nach § 45 SGB X beachten. So entschied das Sozialgericht (SG) München mit Urteil vom 24. Oktober 2014 (Az. S 28 KA 222/12). Diese Regeln hatte die KV im Falle eines Radiologen, dem sie zunächst ein Regelleistungsvolumen (RLV) auf Basis der „Jungpraxenregelung“ zuwies und den entsprechenden Bescheid deutlich später aufhob, nicht genügend beachtet.

Der Fall 

Der betroffene Radiologe ist seit 1991 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und war zunächst in Einzelpraxis und später in einer Gemeinschaftspraxis tätig. Im Jahr 2007 schied er aus der Gemeinschaftspraxis aus und gründete eine Einzelpraxis an einem neuen Standort.

Die KV hatte ihm zunächst auf Antrag ein RLV in Höhe der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe für das Quartal 1/2009 zugestanden. Der Antrag wurde mit der Praxisneugründung begründet und ihm wurde auf Grundlage der Regelungen zu im Aufbau befindlichen Praxen (Jungpraxen) stattgegeben. Das Honorar wurde im entsprechenden Honorarbescheid vergütet. Erst im Jahr 2011 und damit lange nach Erlass des Honorarbescheids nahm die KV den Bescheid zur Jungpraxis zurück, setzte das RLV auf die niedrigere Fallzahl des Aufsatzquartals fest und forderte den Differenzbetrag zurück.

Den neuen Bescheid begründete die KV damit, dass der Radiologe bereits länger als fünf Jahre als Vertragsarzt niedergelassen sei. Zum Zeitpunkt der Antragsprüfung sei das Datum der Erstniederlassung in den maßgeblichen Unterlagen bei der KV nicht korrekt hinterlegt gewesen. Es sei daher fälschlicherweise von einer Niederlassung ausgegangen worden, die noch nicht fünf Jahre zurückliege.

Die Entscheidung 

Das SG München gab der Klage des Radiologen aus verfahrensrechtlichen Gründen statt. Die Rechtsfrage, ob bei Austritt aus einer Gemeinschaftspraxis und Gründung einer Einzelpraxis an einem neuen Standort der betroffene Vertragsarzt Anspruch auf ein RLV in Höhe des Fachgruppendurchschnitts hat, wurde dabei bewusst offengelassen. Der zugrunde liegende Honorarverteilungsvertrag enthielt dazu keine Regelung.

Das Gericht urteilte jedoch, dass selbst wenn der Ausgangsbescheid rechtswidrig gewesen wäre, die Voraussetzungen zur Aufhebung dieses Bescheids nicht vorlagen. Der Aufhebungsbescheid war damit rechtswidrig. Denn bei der Annahme der KV, die Jungpraxisregelung sei nicht anzuwenden gewesen, habe es sich um eine individuell fehlerhafte Rechtsanwendung bei Erlass des Ausgangsbescheids gehandelt.

In diesem Fall seien im Rahmen des Berichtigungsverfahrens die speziellen Vertrauenstatbestände des § 45 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB X heranzuziehen, der die Bedingungen für die „Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes“ regelt. Demnach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Nicht auf Vertrauen berufen kann sich ein Begünstigter, wenn

  • er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat
  • der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
  • er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Keine dieser Voraussetzungen waren nach Auffassung des SG zum Zeitpunkt der Antragstellung durch den Radiologen gegeben. Da zum damaligen Zeitpunkt die Rechtsfrage, ob bei Austritt aus einer Gemeinschaftspraxis und Gründung einer Einzelpraxis eine der Jungpraxisregelung entsprechende Bescheidung erfolgen müsse, ungeklärt war, könne ihm weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Ebenso wenig konnte die beklagte KV die Aufhebung auf den allgemein gehaltenen Vorbehalt im Ausgangsbescheid stützen, heißt es im Urteil.

Fazit

Die Entscheidung überzeugt durch konsequente Anwendung der BSG-Rechtsprechung zur Aufhebung von Verwaltungsakten. Ein zunächst positiver Ausgangsbescheid kann bei individuell fehlerhafter Rechtsanwendung nur unter Beachtung des Vertrauensschutzes zurückgenommen werden. Das Urteil ist bisher nicht rechtskräftig.