Keine GEMA-Gebühren in der Arztpraxis

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rudolf J. Gläser, ­Sozietät Hammer & Partner, Bremen, www.hammerundpartner.de

Was jahrzehntelang in der deutschen Rechtsprechung höchst umstritten war, hat jetzt endlich und endgültig der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden: Die Wiedergabe von Musik in einer Arztpraxis ist keine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne der einschlägigen internationalen Verträge und insoweit auch des deutschen Urheberrechts. Ein Anspruch auf Vergütung durch die entsprechenden nationalen Verbände – in Deutschland durch die GEMA – besteht nicht (Urteil vom 15.3.2012, Az: C-135/10). 

Hintergrund

Entschieden wurde der Fall eines italienischen Zahnarztes, der in seiner Privatpraxis „Hintergrundmusik“ von geschützten Tonträgern und durch das Radio abspielen ließ. Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ zu. Dieses Kriterium ist in der Vergangenheit leider von einigen deutschen Amts- und Landgerichten sehr weit ausgelegt worden. Das führte dazu, dass eine Musikwiedergabe im Empfangsbereich in aller Regel als GEMA-gebührenpflichtig angesehen wurde, im Behandlungsbereich dagegen nicht. 

Umstritten war die Situation im Wartebereich einer Praxis. Unter Berufung auf einschlägige Entscheidungen hat unsere Kanzlei daher Ärzten regelmäßig empfohlen, den Wartebereich vom Rezeptionsbereich abzugrenzen, um eine „reduzierte Öffentlichkeit“ im eigentlichen Wartezimmer herzustellen. 

Die Entscheidung

Der EuGH hat nun allerdings fest­gestellt, dass – im Gegensatz zu der bisherigen, eher GEMA-freundlichen Rechtsprechung der deutschen Gerichte – der Begriff der „Öffentlichkeit“ gerade nicht vorschnell anzunehmen ist und es hierfür nicht genügt, wenn sich lediglich einige Patienten in der Praxis aufhalten. Von einer Öffentlichkeit sei nur dann auszugehen, wenn diese „aus recht vielen Personen“ besteht, während der Kreis der gleichzeitig in einer Arztpraxis anwesenden Personen im Allgemeinen doch sehr begrenzt ist. 

Dieses stellt jedoch lediglich eines von mehreren Kriterien dar. Hinzu kommen die Rolle des Nutzers und die Zielrichtung von dessen Erwerbszwecken. Aufgabe eines Arztes ist es jedoch, die ärztliche Behandlung seiner Patienten zu gewährleisten und diese nicht sozusagen „professionell“ mit Musik zu unterhalten. 

Die Wiedergabe von Tonträgern oder Rundfunksendungen gehört gerade nicht in den Kernbereich der ärztlichen Behandlung. Vielmehr gelangen die Patienten des Arztes doch eher zufällig und unabhängig von eigenen Wünschen und Bedürfnissen in den fraglichen Genuss der Musikbeschallung. Es könne deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, dass insoweit von vorn­herein eine Aufnahmebereitschaft des angesprochenen Publikums gegeben sei – wie dies beispielsweise bei Konzertbesuchern der Fall ist. Daher seien die Verhältnisse in einer Praxis stets vom Zufall bestimmt und nicht von einer zielgerichteten Intention der Beteiligten. 

Was bedeutet das für Sie als Praxisinhaber?

Der Radiologe wird durch die Wiedergabe von Musik in seinen Praxisräumlichkeiten nicht zum „Konzertveranstalter“ und die Patienten nicht zu absichtsvollen Konsumenten eines musikalischen Ereignisses. Eine öffentliche Rundfunk- oder Tonträgerwiedergabe ist daher nach dem Urteil des EuGH vom 15. März 2012 für die typischen Verhältnisse in einer Arztpraxis abzulehnen, weil 

  • diese nicht unmittelbar Erwerbszwecken dient, das heißt, der Arzt will nicht „Musikveranstalter“ sein, sondern ärztliche Leistungen erbringen;
  • die Zahl der gleichzeitig in einer ärztlichen Praxis anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt und im Sinne einer zu fordernden Öffentlichkeit unerheblich oder sogar unbedeutend ist. Mehrere einzelne Personen stellen keine „Öffentlichkeit“ dar;
  • die Patienten sich nicht zielgerichtet, um Musik zu hören, in eine Arztpraxis begeben, sondern weil sie dort medizinisch behandelt oder untersucht werden wollen.

Das bedeutet: Für Praxisinhaber, die bislang keine GEMA-Gebühren zahlen, bleibt alles beim Alten. Praxisinhaber, die in der Vergangenheit mehr oder weniger notgedrungen einen GEMA-Nutzungsvertrag abgeschlossen haben, sollten diesen mit sofortiger Wirkung unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 15. März 2012 kündigen und erteilte Einzugsermächtigungen widerrufen. Mit der Entscheidung des EuGH ist für die GEMA „die Tür zu“ – und zwar nicht nur zum Wartezimmer, sondern zur ärztlichen Praxis überhaupt. 

Fazit

Das Urteil des EuGH ist damit nicht nur insgesamt für die Ärzteschaft einschränkungslos zu begrüßen. Die teilweise sehr extensive Auslegung deutscher Instanzgerichte des Begriffs der öffentlichen Tonträger- oder Rundfunkwiedergabe war dem gesunden Menschenverstand schlicht nicht zu vermitteln. Umso erfreulicher, dass nunmehr gerade die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Rechtsprechung auch wieder für Nichtjuristen nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Begründung verständlich macht.