Individuelle Früherkennungsuntersuchungen nach dem neuen Strahlenschutzgesetz

von RA Till Sebastian Wipperfürth, LL.M., DIERKS+BOHLE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, www.db-law.de

Eine wesentliche Neuerung des neuen Strahlenschutzgesetzes (StrlSchG) ab 2019 stellt die Öffnung des Strahlenschutzrechts für individuelle Früherkennungsuntersuchungen dar.

Bisher: regelmäßig nur Röntgenreihenuntersuchungen zulässig

Bislang erlaubt die Röntgenverordnung (RöV) die Früherkennung von Krankheiten mittels Röntgendiagnostik nur aufgrund einer individuellen rechtfertigenden Indikation im Einzelfall oder in Form von sogenannten freiwilligen Röntgenreihenuntersuchungen, wenn die obersten Landesgesundheitsbehörden (i. d. R. die Gesundheitsministerien der Länder) diese zugelassen haben. Die strahlenschutzrechtliche Zulassung setzt voraus, dass die Reihenuntersuchung der Früherkennung von Krankheiten bei besonders betroffenen Personengruppen dient.

Früher: Maßnahme gegen Tuberkulose

Ursprünglich ist die Röntgenreihenuntersuchung zum Zwecke der Früherkennung als Maßnahme zur Bekämpfung der Tuberkulose eingeführt worden. Als solche war sie in Bayern und Baden-Württemberg noch bis in die 80er Jahre für weite Bevölkerungsteile gesetzlich verpflichtend.

Heute: bei der Mammographie

Heutzutage gibt es nur noch einen einzigen Anwendungsfall der Röntgenreihenuntersuchung zum Zwecke der Früherkennung: Das ist das – im GKV-Leistungskatalog enthaltene – Mammographie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebserkrankungen bei Frauen im Alter zwischen 50 und 69.

Individuelle Früherkennung nur im Ausnahmefall

Dagegen sind bisher individuelle Früherkennungsuntersuchungen bei asymptomatischen Patienten strahlenschutzrechtlich in einer Vielzahl von Fällen unzulässig. Denn die ärztlich-diagnostische Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen („in Ausübung der Heilkunde“) bedarf nach der RöV stets einer rechtfertigenden Indikation. Diese besteht bei asymptomatischen Patienten jedoch häufig nicht, da keine konkreten Verdachtsmomente für eine radiologisch abklärungsbedürftige Erkrankung vorliegen.

StrlSchG ermöglicht demnächst individuelle Früherkennung

In Umsetzung der Vorgaben des europäischen Gesetzgebers eröffnet das StrlSchG nun die Möglichkeit, im Wege einer derzeit vom Bundesumweltministerium (BMUB) erarbeiteten Rechtsverordnung individuelle Früherkennungsuntersuchungen für bestimmte Erkrankungen festzulegen. Damit dürfte die derzeitige Beschränkung auf Röntgenreihenuntersuchungen – nach neuer Nomenklatur nunmehr als Früherkennungsprogramme bezeichnet – in naher Zukunft der Vergangenheit angehören.

Rechtsverordnung wird Anwendungsfälle regeln

Für welche nicht übertragbare Erkrankungen der Verordnungsgeber individuelle Früherkennungsuntersuchungen zulassen wird, lässt sich noch nicht absehen. Dem Verordnungsgeber steht ein verhältnismäßig weiter Gestaltungsspielraum zu. Dieser wird gesetzlich nur dadurch begrenzt, dass

  • 1. nur asymptomatische Patienten einer von einem charakteristischen Erkrankungsrisiko besonders betroffenen Personengruppe untersucht werden dürfen,
  • 2. es sich bei der Früherkennungsuntersuchung um ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren handeln muss,
  • 3. hierdurch eine schwere Krankheit im Frühstadium diagnostiziert werden kann und
  • 4. im Falle eines positiven Befunds die frühzeitige Diagnose eine wirksamere Therapie verspricht.

Zulassung bedarf wissenschaftlicher Bewertung

Vor diesem Hintergrund dürften individuelle Früherkennungsuntersuchungen in erster Linie bestimmte Krebserkrankungen betreffen.

Die Früherkennungsuntersuchungen sind vor ihrer Zulassung einer strengen wissenschaftlichen Bewertung durch das Bundesamt für Strahlenschutz zu unterziehen. Dabei müssen Risiko und Nutzen der Untersuchung gegeneinander abgewogen werden.

Radiologe braucht besondere Genehmigung

Ist eine bestimmte Früherkennungsuntersuchung kraft Rechtsverordnung zugelassen, darf der Radiologe diese – wie bislang schon im Rahmen des Mammographie-Screenings – nur mit einer besonderen Genehmigung erbringen. Die Genehmigungserteilung setzt u. a. voraus:

  • Die allgemeinen Voraussetzungen zum Betrieb einer medizinischen Röntgeneinrichtung (z. B. Approbation, nunmehr auch Möglichkeit, Medizinphysiker zur Beratung hinzuziehen zu können)
  • Die Einhaltung der Maßnahmen, die unter Berücksichtigung der Erfordernisse der medizinischen Wissenschaft erforderlich sind, damit bei der Früherkennung die erforderliche Qualität mit möglichst geringer Strahlenexposition erreicht wird (z. B. Erfordernis der Doppelbefundung)

Die Einzelheiten, wie individuelle Früherkennungsuntersuchungen durchzuführen sind und welche Anforderungen sowohl an die technische Infrastruktur als auch an die Kenntnisse und Fertigkeiten der ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter zu stellen sind, dürften ebenfalls Gegenstand der künftigen Rechtsverordnung des BMUB sein.

Die Genehmigung kann für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren erteilt werden. Dies entspricht der geltenden Rechtslage der RöV für Röntgenreihenuntersuchungen.

Dann ist auch nuklearmedizinische Früherkennung zulässig

Über radiologische Untersuchungen hinaus ermöglicht das neue StrlSchG – unter der oben beschriebenen Voraussetzung, dass die Früherkennungsuntersuchung zugelassen ist – nun auch nuklearmedizinische Untersuchungen zur Früherkennung. Gesetzestechnisch wird dies dadurch erreicht, dass unter Früherkennung nicht nur die Anwendung von Röntgenstrahlung, sondern gleichermaßen von radioaktiven Stoffen verstanden wird.

Auswirkungen auf GKV

Damit gesetzlich versicherte Patienten möglichst bald von neuen Früherkennungsuntersuchungen profitieren, gibt das StrlSchG dem G-BA auf, schneller als bisher zu prüfen, ob die Untersuchung in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen ist:

  • Für die Methodenbewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden hat der G-BA grundsätzlich drei Jahre Zeit. Hinsichtlich neuer Früherkennungsuntersuchungen ist er jetzt verpflichtet, innerhalb von 18 Monaten nach dem Inkrafttreten der Rechtsverordnung des BMUB darüber zu entscheiden, ob die GKV die Untersuchung ihren Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stellen muss.
  • Ist nach Einschätzung der G-BA deren Nutzen noch nicht hinreichend belegt, hat er eine sogenannte Erprobungsrichtlinie zu erlassen. So kann die Untersuchung während der zeitlich befristeten Erprobungsphase zulasten der GKV erbracht werden.

Weiterführende Hinweise

  • Anfang Mai 2017 hat der Bundesrat dem neuen StrlSchG zugestimmt. Damit wird das Strahlenschutzrecht in Deutschland – in Umsetzung europarechtlicher Richtlinien – auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Für Ärzte und Zahnärzte, die Röntgendiagnostik durchführen, bedeutet dies: Die Röntgenverordnung (RöV) gehört – genauso wie die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) in ihrer bisherigen Form – spätestens ab dem 01.01.2019 der Vergangenheit an.