Fliegende Interventionsteams der Neuroradiologie helfen Schlaganfallpatienten

Neuroradiologen, die ihre Schlaganfallpatienten mit dem Helikopter aufsuchen, sparen wertvolle Zeit in der Versorgung. So lautet das Ergebnis eines bisher einzigartigen Pilotprojekts der München Klinik. Deren „Flying Intervention Team“ (FIT) fliegt zu Partnerkliniken in Südostbayern, um Patienten mit schweren Schlaganfällen direkt vor Ort mit einer Thrombektomie zu versorgen. Motto: „Time is brain“. Projektleiter ist Dr. Gordian Hubert, Oberarzt für Neurologie in der München Klinik Harlaching. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) sprach mit ihm über die fliegenden Heli-Ärzte.

Redaktion: Wie ist die Idee zu einem fliegenden Interventionsteam entstanden?

Hubert: Als 2015 die Studie besagte, dass die Thrombektomie sehr effektiv ist, mussten wir uns etwas überlegen. Wir sahen, dass die Verlegung eines Schlaganfallpatienten enorm viel Zeit in Anspruch nahm. Tatsächlich kam die Idee eines fliegenden Interventionsteams aus einer unserer Kliniken: Dr. Hans-Ulrich Kain, Chefarzt der Kardiologie im Klinikum Mühldorf, schlug diesen Weg vor. Vermutlich war das damals als Scherz gedacht. Jetzt ist ein Projekt daraus geworden.

Redaktion: Wie muss man sich so einen Einsatz vorstellen? Ein Neuroradiologe ist immerhin kein Feuerwehrmann, der bis zum Alarm in Wartestellung ist.

Hubert: Für dieses Projekt wurde ein eigener Dienst aufgebaut. Der Radiologe steht daher tatsächlich für das Projekt bereit und kann sofort starten, wenn es einen Fall gibt. Hat eine unserer Partnerkliniken einen Patienten mit Schlaganfall aufgenommen, so wird dieser von uns umgehend telemedizinisch gesehen.

Redaktion: Wie läuft diese Untersuchung ab?

Hubert: Wir untersuchen den Patienten mittels Videokonferenz und befragen ihn zu seinen Symptomen. Ebenso können wir die CT-Angiografie von seinem Kopf beurteilen, die in der Regel gleich nach der Aufnahme des Patienten gemacht wurde. Ist im Gehirn eine große Arterie verschlossen, können wir eine Thrombektomie durchführen. Der Hubschrauber wird unmittelbar alarmiert und das Team startet. Während das Team fliegt, wird der Patient in der Angiografie-Anlage des eigenen Hauses für den Eingriff vorbereitet. Trifft das FIT-Team ein, kann es idealerweise sofort mit der Therapie beginnen.

Redaktion: Wie schnell sind Sie beim Patienten?

Hubert: Im Schnitt braucht das Team eine Stunde, um die Therapie zu beginnen.

Redaktion: Sie haben die ersten Ergebnisse Ihres Pilotprojekts Anfang November 2020 beim Welt-Schlaganfall-Kongress vorgestellt. Welche sind das?

Hubert: Unser Projekt startete im Februar 2018. Seitdem sind wir zu 163 FIT-Flügen aufgebrochen. Ein Vergleich von FIT-Flügen mit Patienten, die wie üblich in ein Schlaganfallzentrum mit spezialisierten Neuroradiologen verlegt wurden, zeigt, dass wir durchschnittlich 90 Minuten Zeit sparen. Die Zeit von Beginn der Symptome des Patienten bis zum Eingriff konnte im Vergleich zur Verlegepraxis sogar um rund 110 Minuten verringert werden. So entsteht ein enormer Zeitvorteil in der Schlaganfallversorgung.

Redaktion: Was bedeutet das für den Patienten?

Hubert: Nach einer Modellrechnung bedeuten 90 Minuten Zeitersparnis, dass 180.000.000 Neurone, 1.260.000.000.000 Synapsen und 1.080.000 Meter Nervenbahnen gerettet werden. Letzteres entspricht einer Strecke von München bis Barcelona.

Redaktion: Wer gehört zum FIT-Team und wie groß ist der Pool, aus dem Fachleute mitfliegen?

Hubert: Unser Team besteht aus einem Neuroradiologen oder einer Neuroradiologin und einer Angiografieassistenz. Derzeit fliegen vier Neurointerventionalisten und drei Angiografieassistenten für uns.

Redaktion: Wer übernimmt die Kosten für diese Versorgung?

Hubert: Die Bayerischen Krankenkassen finanzieren das Projekt zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren.

Redaktion: Was planen Sie für die Zeit nach diesen drei Jahren?

Hubert: Wir setzen uns dafür ein, dass in Zukunft alle geeigneten Patienten im ländlichen Südostbayern wohnortnah und schnell behandelt werden können. Der Schlaganfall ist mit rund 270.000 jährlichen Betroffenen in Deutschland eine Volkskrankheit und die dritthäufigste Todesursache. Doch Neuroradiologen, die die Thrombektomie beherrschen, befinden sich meist in den großen Schlaganfallzentren der Städte.

Redaktion: Könnten FITs deshalb zum Standard werden?

Hubert: Das ist vielleicht noch zu früh zu sagen. Aber dieser große Zeitvorteil ist schon sehr überzeugend. Wenn die Daten sich weiterhin so positiv zeigen, sollte über eine Ausdehnung nachgedacht werden.