Der Chefarzt als Sachverständiger im Honorarprozess: Geeignet oder nicht?

von RA und FA für Arbeits- und Medizinrecht Dr. Tilman Clausen, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

In Honorarprozessen über die Auslegung der GOÄ spielt das Ergebnis des ärztlichen Sachverständigengutachtens eine erhebliche Rolle. Aufgabe des Gutachters ist es, die medizinischen Vorfragen zu klären, an die sich die Beantwortung der Rechtsfragen durch das Gericht anschließt. In der Praxis wird allerdings zwischen medizinischen Fragen und Rechtsfragen nicht immer sauber getrennt und Sachverständige nehmen manchmal Einfluss auf die Beurteilung der Rechtsfragen. Das wirft die Frage auf: Sind Chefärzte bei Honorarprozessen als Gutachter überhaupt geeignet?

Der Fall: Patientin verweigerte Zahlung eines Teilbetrags 

Mit dieser Frage hat sich vor kurzem das Landgericht (LG) Münster (Beschluss vom 28.03.2014, Az. 5 T 87/14) und in der Vorinstanz das Amtsgericht (AG) Münster befasst (Beschluss vom 3.1.2014, Az. 140 C 1314/13). Dabei ging es um die Honorarrechnung eines Krankenhauses. In dessen Klinik für Orthopädie hatte sich eine Patientin unter anderem einer endoprothetischen Versorgung des Hüftgelenks unterzogen. Die PKV der Patientin hatte einen Teilbetrag von 708,55 Euro nicht erstattet und sich auf das sogenannte Zielleistungsprinzip in § 4 Abs. 2 a GOÄ berufen. Der Krankenhausträger hatte daraufhin auf Betreiben des Chefarztes die Patientin auf Zahlung verklagt.

Das Verfahren vor dem AG Münster 

Im Honorarprozess vor dem AG Münster hatte der Krankenhausträger die offenen Rechnungspositionen im Detail erläutert. Er schlug die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vor, um zu belegen, dass es sich bei den nicht erstatteten Behandlungen um jeweils selbstständige ärztliche Leistungen handelte, die von der PKV zu vergüten waren. Die Patientin hatte dies über ihren Anwalt bestritten.

Das AG Münster beauftragte einen ärztlichen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser Sachverständige wurde von den Anwälten der Patientin als befangen abgelehnt, da er selbst Chefarzt sei und mit der PKV der Patientin Honorarprozesse über die Auslegung der Vorschrift des § 4 Abs. 2 GOÄ führen würde. Das AG hat daraufhin den als Gutachter vorgesehenen Chefarzt zur Stellungnahme aufgefordert. Als diese nicht innerhalb der gesetzten Frist einging, lehnte es den Chefarzt als befangen ab. Gegen einen solchen Beschluss ist kein Rechtsmittel möglich.

Anschließend schlugen die Anwälte der Patientin mehrere private Gutachterinstitute als Sachverständige vor. Dies wurde vom Klinikträger abgelehnt, da solche Institute hauptsächlich für private Krankenversicherungen arbeiteten und daher eine wirtschaftliche Abhängigkeit existieren könne. Das AG benannte daraufhin einen anderen Chefarzt als Sachverständigen – doch auch dieser wurde umgehend von den Anwälten der Patientin mit der gleichen Begründung wie der erste als befangen abgelehnt. Auf den Hinweis des Krankenhausträgers und des Chefarztes, dass mit dieser Begründung der Patientin Chefärzte generell als Gutachter in Honorarprozessen ausgeschlossen werden könnten, wies das AG Münster diesmal den Befangenheitsantrag zurück. Gegen den Beschluss des AG legte die beklagte Patientin Beschwerde ein.

Der Beschluss des LG Münster 

Diese Beschwerde wurde durch das LG Münster mit dem Beschluss vom 28. März 2014 zurückgewiesen. Das LG wies darauf hin, dass allein der Umstand, dass der ausgewählte Sachverständige selbst als Arzt nach der GOÄ abzurechnen berechtigt ist, seine Ablehnung als Gutachter nicht rechtfertigt. Anderenfalls sei es praktisch unmöglich, überhaupt einen geeigneten Sachverständigen auszuwählen, der über die notwendige medizinische Kompetenz verfügt und mit der Abrechnung der GOÄ vertraut ist.

Dass der vorgeschlagene Gutachter mit der hinter der Patientin stehenden PKV Kontakt hatte, ist nach Auffassung des LG Münster kein nachvollziehbarer Grund, den Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen; ebenso nicht die Tatsache, dass der vorgeschlagene Gutachter vor einigen Jahren einen Honorarprozess gegen die PKV der beklagten Patientin vor dem LG Düsseldorf verloren habe. Offen bleibt, ob das Landgericht anders geurteilt hätte, wenn zwischen dem Sachverständigen und der privaten Krankenversicherung der Beklagten aktuell diverse Streitigkeiten anhängig gewesen wären.

Fazit

Der Beschluss des LG Münster stärkt die Position des Chefarztes in Honorarprozessen über die Auslegung der GOÄ. Mit ihm wurde die übliche Argumentation der Anwälte, die Patienten von ihrer PKV zur Verfügung gestellt werden, verworfen; diese plädieren regelmäßig dafür, Chefärzte als Sachverständige für befangen zu erklären.