Das neue Versorgungsgesetz – die wichtigsten Eckpunkte für niedergelassene Ärzte

von Dr. Rolf Michels, Laufenberg Michels und Partner, www.laufmich.de

Am 6. Juni 2011 wurde vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) der erste Referentenentwurf zum Versorgungsgesetz vorgelegt. Obwohl bisher noch nicht klar ist, welche Punkte des rund 165 Seiten starken Papiers letztlich in der vorliegenden Form tatsächlich umgesetzt werden, empfiehlt es sich bereits jetzt, die aus betriebswirtschaftlicher und steuerlicher Sicht entscheidenden Eckpunkte zu kennen, um frühzeitig Weichen stellen zu können. 

Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung

Aktuell steht bereits nicht mehr in allen Bereichen und Regionen eine ausreichende Anzahl von Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung. Diesem Ärztemangel und insbesondere den negativen Folgen für die Qualität der Patientenversorgung in strukturschwachen Regionen soll das neue Versorgungsgesetz, das zum 1. Januar 2012 in Kraft treten soll, entgegen wirken. Ein Mittel dazu ist, die Regelungen zur Steuerung des Niederlassungsverhaltens von Vertragsärzten über Vergütungsanreize weiterzuentwickeln. Beispielsweise sollen alle Leistungen von Ärzten, die in strukturschwachen Gebieten tätig sind, grundsätzlich von der Abstaffelung ausgenommen werden. 

Zudem sollen Krankenhäuser zukünftig auch dann zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt werden, wenn für das Gebiet, in dem das Krankenhaus liegt, ein zusätzlicher Versorgungsbedarf festgestellt wurde. Gleiches gilt für Ärzte, die in Rehabilitations- oder Pflegeeinrichtungen tätig sind. 

Ebenfalls vorgesehen sind eine Erleichterung der Errichtung von KV-Eigeneinrichtungen sowie die Aufhebung der Residenzpflicht. „Mobile“ Versorgungskonzepte sollen ausgebaut werden. So soll beispielsweise die Errichtung von Zweigpraxen gefördert und die zeitlichen Grenzen für Nebenbeschäftigungen – zum Beispiel in der stationären Versorgung – gelockert werden. 

Weiterentwicklung der Bedarfsplanung

Die Bedarfsplanung soll durch das Versorgungsgesetz grundlegend überarbeitet werden. Bisher entsprechen die Planungsbereiche den Stadt- und Landkreisen. Diese Vorgabe soll flexibilisiert und die Planungsbereiche so gestaltet werden, dass sie einer flächendeckenden Versorgung dienen. So kann beispielsweise bei Struktur und Größe der Planungsbereiche zwischen hausärztlicher, fachärztlicher und spezialisierter fachärztlicher Versorgung differenziert werden. 

Zudem sind die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festzulegenden Verhältniszahlen (Ärzte einer Fachgruppe pro Einwohner) in Zukunft nicht mehr anhand einer Stichtagsregelung festzulegen. Vielmehr sollen Faktoren wie die Sozialstruktur der Bevölkerung, räumliche Ordnung im Planungsbereich sowie vorhandene Versorgungsstrukturen maßgebend sein. Um die Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen für die gesamte Bevölkerung sicherzustellen, soll zudem die Möglichkeit zur Erteilung von Sonderbedarfszulassungen erweitert werden. 

Auch der Einfluss der Länder auf die Bedarfsplanung soll überarbeitet werden. Sie sollen sowohl Mitsprache- als auch Vorschlagsrechte im G-BA erhalten. Zudem soll ihnen ein Beanstandungsrecht des Bedarfsplans zugesprochen und die Rechtsaufsicht über den Landesausschuss erteilt werden. 

Verzicht auf Zulassungen in gesperrten Gebieten wird gefördert

Um Überversorgung abzubauen, soll die bestehende Möglichkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), in überversorgten Gebieten den freiwilligen Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung finanziell zu fördern, erweitert werden, indem die Beschränkung auf Ärztinnen und Ärzte, die mindestens 62 Jahre alt sind, aufgehoben wird. Die KVen sollen auch Arztpraxen kaufen und dann auf die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes verzichten können. Ob die KV als potenzieller Käufer eine echte Alternative zum Verkauf der Praxis „am freien Markt“ sein wird, ist allerdings fraglich. 

Darüber hinaus soll den KVen ermöglicht werden, bei der Ausschreibung von Vertragsarztsitzen in überversorgten Planungsbereichen ein Vorkaufsrecht auszuüben. Dies soll nach dem Willen des BMG aber nicht zu einer Enterbung führen. Das wirtschaftliche Interesse des Arztes soll berücksichtigt werden. Die KV kann ihr Vorkaufsrecht innerhalb eines Monats ausüben, nachdem der Zulassungsausschuss einen Nachfolger ausgewählt hat und der verkaufende Arzt mit diesem einen Kaufvertrag über die Praxis geschlossen hat. 

Entscheidet sich die KV dafür, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen, kommt ein Kauf der Praxis zwischen der KV und dem Veräußernden unter den gleichen Bestimmungen zustande, die der Arzt mit dem Nachfolger vereinbart hat. 

Hier stellt sich die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit und damit Relevanz dieser Regelung. Die KV hat ja nur Interesse an der Zulassung. Und wenn sie die Praxis übernimmt, wie verwertet sie dann die erworbenen Geräte? 

Das Vorkaufsrecht der KV soll dann nicht bestehen, wenn sich ein Kind, Ehegatte oder Lebenspartner des Vertragsarztes oder ein anderer Vertragsarzt, mit dem die Praxis bisher gemeinsam ausgeübt wurde, um die Nachfolgebesetzung bewerben. 

Rückumwandlung von Arztstellen

Vom Zulassungsausschuss genehmigte Angestelltenstellen – sei es in einer Vertragsarztpraxis oder einem MVZ – können zu einem späteren Zeitpunkt in eine nachbesetzungs­fähige Vertragsarztzulassung „rück­umgewandelt“ werden. Dies wird eine deutlich flexiblere Gestaltung von Gesellschaftsverträgen ermög­lichen. Einerseits können nun Erprobungszeiten im Angestelltenverhältnis absolviert werden. ?Andererseits kann die Umwandlung in eine Anstellung nun auch nur temporär durchgeführt werden, zum Beispiel um eine Zulassung so lange mit einem angestellten Arzt zu besetzen, bis der niederlassungswille Partner, der aber als Vertragsarzt tätig sein will, gefunden ist. Dies war bisher wegen der fehlenden Möglichkeit der Rückumwandlung nicht möglich. 

Regelung zur Verlegung eines Vertragsarztsitzes angepasst

Die Verlegung eines Vertragsarztsitzes soll nach dem Entwurf zum Versorgungsgesetz nur noch dann möglich sein, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Dies bedeutet für Ärzte mit Vertragsarztsitz in unterversorgten Gebieten, dass ihnen die Verlegung des Sitzes in ein gut oder sogar überversorgtes Gebiet nicht ohne Weiteres möglich ist. Entsprechendes gilt auch für die Umwandlung einer Vertragsarztzulassung in eine Arztstelle beim MVZ. 

Diese neuen Beschränkungen dienen zwar eindeutig der besseren Versorgung der Patienten, verhindern aber den Erwerb von Praxen mit dem Ziel, größere Berufsausübungs­gemeinschaften an zentraler Stelle zu errichten. Unternehmerisch geprägte Ärzte, die derzeit im Begriff sind, Praxen zu erwerben und deren Verlegung planen, sollten dies zeitnah möglichst vor Inkrafttreten des Gesetzes realisieren. 

Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Das BMG möchte die Möglichkeit für Vertragsärztinnen, sich im zeitlichen Zusammenhang mit einer Entbindung vertreten zu lassen, von sechs auf zwölf Monate erweitern. Für die Erziehung von Kindern soll zudem die Möglichkeit geschaffen werden, für bis zu drei Jahre (muss kein zusammenhängender Zeitraum sein) einen Entlastungsassistenten zu beschäftigen. Zudem sollen bei der Auswahlentscheidung im Nachbesetzungsverfahren zukünftig Kindererziehungs- bzw. Pflegezeiten, für welche die ärztliche Tätigkeit unterbrochen wurde, fiktiv berücksichtigt werden. 

Medizinische Versorgungszentren

Um die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen von wirtschaftlichen Interessen zu gewährleisten, sollen MVZ künftig nur unter bestimmten engeren Voraussetzungen zugelassen werden. So soll die MVZ-Gründungsberechtigung grundsätzlich auf Vertragsärzte und Krankenhäuser beschränkt werden. Die Ausnahme bilden hier aus Versorgungsgründen gemeinnützige Trägerorganisationen. ?Auch eine Beschränkung der zulässigen Rechtsformen auf Personengesellschaften und GmbHs ist vorgesehen. Die Rechtsform der Aktiengesellschaft soll ausgeschlossen sein. 

Für die MVZ, die bereits genehmigt sind, soll ein Bestandsschutz bestehen. Spannend dürfte hier die Frage sein, ob bis zum Inkrafttreten des Gesetzes gegründete MVZ noch nach alten Recht genehmigt werden. 

Vorgesehen ist, dass die Leitung eines MVZ rechtlich und faktisch in ärztlicher Hand liegen muss. Um sicherzustellen, dass der ärztliche Leiter auch tatsächlich auf die Abläufe im MVZ einwirken kann, muss dieser selbst in dem MVZ tätig sein. 

Vertragsärzte sollen ein Vorkaufsrecht erhalten, wenn ein MVZ, bei dem die Geschäftsanteile nicht mehrheitlich in ärztlicher Hand liegen, einen Sitz kaufen möchte. 

Erste Reaktionen auf den ­Entwurf des BMG

Nach Veröffentlichung des Entwurfs zum Versorgungsgesetz gab es bereits einige Reaktionen. So beurteilte die Kassenärztliche Bundesvereinigung den Entwurf positiv. Er gehe in die richtige Richtung und ermögliche die Reform der vertragsärztlichen Vergütung. Die Politik habe sich statt der üblichen Kostendämpfungsgesetze dieses Mal an Strukturreformen gewagt. 

Die Krankenkassen hingegen übten starke Kritik an dem Entwurf (Quelle: krankenkassen-direkt.de). Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen warnte vor „beträchtlichen Risiken und Nebenwirkungen“, da die bisherigen Obergrenzen für ärztliche Honorare indirekt fallen sollen und damit die Honorare massiv steigen könnten. 

Hieran wird deutlich, dass der Entwurf zum neuen Versorgungsgesetz durchaus Diskussionspotenzial bietet und aus unterschiedlichen Richtungen kritisch betrachtet wird. Damit liegt die Vermutung nahe, dass es noch weitere Streitpunkte und auch noch Änderungen geben wird, bevor das Gesetz dann tatsächlich in Kraft treten kann. Geplant ist, das Gesetz bis Ende November 2011 im Bundestag zu verabschieden. Ob dies gelingt und welche Änderungen zwischenzeitlich noch vorgenommen werden bleibt abzuwarten.