Chefarzt-Liquidationseinkünfte – steuerpflichtiger Arbeitslohn oder freiberufliche Einkünfte?

von StB Karin Henze, Dortmund, www.karin-henze.de und RA, FA für MedR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Das Finanzgericht (FG) Münster hat in einem aktuellen Urteil vom 7. Juni 2011 (Az: 1 K 3800/09 L) festgestellt, dass Einkünfte eines Chefarztes aus wahlärztlicher Behandlung steuerpflichtiger Arbeitslohn und damit dem Lohn­steuerabzug zu unterwerfen sind. Der Auffassung des Chefarztes, es handele sich um freiberufliche Einkünfte, folgte das Gericht nicht. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wurde die Revision vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen.

Der Fall

Ein angestellter Chefarzt hatte mit dem arbeitgebenden Krankenhaus einen Chefarztvertrag geschlossen. Danach gehört zu den Dienstaufgaben des Arztes – das ist in solchen Verträgen üblich – unter anderem

  • die Behandlung aller Patienten seiner Abteilung im Rahmen der Krankenhausleistungen,
  • die persönliche Durchführung der notwendigen Visiten bei allen Patienten der Abteilung,
  • die Führung einer Krankengeschichte für jeden Patienten, die im Übrigen Eigentum des Krankenhauses ist.

Die Mitarbeiter für den stationären und ambulanten Dienst stellt ausschließlich das Krankenhaus ein. Für seine Tätigkeit erhielt der Chefarzt eine Grundvergütung (§3 des Chefarztvertrags). Ferner wurde ihm das Liquidationsrecht für Wahlleistungs-Patienten eingeräumt (§ 4 des Chefarztvertrages), wobei der Arzt das Risiko für den Umfang der Inanspruchnahme gesondert berechenbarer ärztlicher Leistungen und für die Höhe sowie den Eingang der Einnahmen aus dem Liquidationsrecht trägt. Aus den Einkünften, die auf einem gemeinsam vom Krankenhaus und Chefarzt geführten Treuhandkonto vereinnahmt wurden, ist der Chefarzt gehalten, im Rahmen seiner berufsrechtlichen Verpflichtung die nachgeordneten Mitarbeiter angemessen zu beteiligen. Für die Einräumung des Liquidationsrechts führte der Arzt im Übrigen ein Nutzungsentgelt an das Krankenhaus ab.

Im Rahmen eines Lohnsteuerprüfverfahrens gelangte das Finanzamt zu der Überzeugung, die Einkünfte des Chefarztes aus wahlärztlicher Liquidation seien lohnsteuerpflichtig und somit dem Lohnsteuerabzug nach § 38 EStG zu unterwerfen. Der Chefarzt hatte diese Einkünfte im Rahmen seiner persönlichen Einkommensteuererklärung – vom Finanzamt unbeanstandet – als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 EStG erklärt. Er wandte sich nun vor dem FG Münster gegen die geänderten Lohnsteueranmeldungen des Krankenhauses und trug vor, im Rahmen der wahlärztlichen Tätigkeit unternehmerisch tätig zu sein. Ein Lohnsteuerabzug sei daher nicht zulässig.

Die Entscheidung

Das FG wies die Klage des Chefarztes ab: Nach Auffassung des Gerichts stellten die Liquidationserlöse Arbeitslohn dar und unterfielen somit der Lohnsteuerpflicht. Dies ergebe sich aufgrund der Wertung der Gesamtumstände des konkreten Falls, die nach der Grundsatzentscheidung des BFH vorzunehmen sei (Beschluss vom 11.8.2009, Az: VI B 46/08) .

Vorliegend erbringe der Arzt die Wahlleistungen als Teil des Dienstverhältnisses mit dem Krankenhaus. Maßgeblich für diese Bewertung stellte das FG auf folgende Umstände ab:

  • Das Liquidationsrecht für stationäre wahlärztliche Leistungen werde dem Chefarzt aufgrund des mit dem Krankenhaus abgeschlossenen Dienstvertrags erst ermöglicht und sei – anders als zum Beispiel die ambulante Behandlung von Privatpatienten – gerade nicht ausdrücklich als Nebentätigkeit zwischen Krankenhaus und Chefarzt vereinbart worden.
  • Der Chefarzt sei bei der Erbringung seiner stationären wahlärztlichen Leistungen in den geschäftlichen Organismus des Krankenhauses eingebunden. Dies zeige sich unter anderem am Aufnahmeverfahren der einzelnen Patienten sowie an der Tatsache, dass die Leistungen nur unter Verwendung der Geräte und des Personals des Krankenhauses erbracht werden könnten.
  • Es fehle schließlich erkennbar an Unternehmerinitiative und Unternehmerrisiko des Chefarztes in Bezug auf die stationären wahlärztlichen Leistungen. Es sei in der Vergangenheit nachweislich zu keinen nennenswerten Honorarausfällen gekommen. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Arzt Wahlleistungspatienten ablehnen dürfe bzw. dies tatsächlich getan habe. Die vom Chefarzt weiter angeführten Werbetätigkeiten durch Vorträge kämen allen potenziellen Patienten und nicht nur den Wahlleistungs-Patienten zugute.

Anmerkungen

Die Entscheidung des FG Münster betrifft eine in der Praxis immer wieder problematische Streitfrage. Der BFH hatte bereits in seiner Grundsatzentscheidung (siehe oben) festgestellt, dass ein Chefarzt wahlärztliche Leistungen selbstständig oder unselbstständig erbringen könne – maßgeblich seien die Umstände des konkreten Einzelfalls. So hatte beispielsweise das FG Düsseldorf in einem rechtskräftigen Beschluss vom 22. Oktober 2007 (Az: 3 V 1703/07 A[L]) anders als vorliegend das FG Münster die Einnahmen aus wahlärztlicher Tätigkeit als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit qualifiziert. Es wäre wünschenswert, dass künftig vom BFH eine klarere Rechtsprechung vorgegeben wird, um hier Rechssicherheit zu schaffen.

Die Auswirkungen der steuerlichen Einordnung sind im Übrigen weitreichend: Soweit eine Lohnsteuerpflicht bejaht wird, wird zu prüfen sein, ob die (bisherigen) Betriebsausgaben aus wahlärztlicher Tätigkeit zukünftig als Werbungskosten geltend gemacht werden können, was regelmäßig nicht uneingeschränkt zu bejahen ist (zum Beispiel Bewirtungskosten, Präsente, Betriebsfeiern oder Raumausstattung). Falls die Umstellung auf Lohnsteuerabzug aktuell erst erfolgt, sind etwaige Steuervorauszahlungen auf Angemessenheit zu prüfen; gegebenenfalls ist ein Antrag auf Herabsetzung derselben zu stellen.