BVerfG: Kein Recht auf Anonymität für einen wegen Abrechnungsbetrug verurteilten Arzt!

von Rechtsanwalt Dr. Stefan Droste, Münster, www.kanzlei-am-aerztehaus.de 

Ein wegen systematischen Abrechnungsfehlern berufsgerichtlich verurteilter Arzt muss es dulden, dass das Urteil unter voller Nennung seines Namens im Ärzteblatt veröffentlicht wird. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesverfassungsgericht (BverfG) in einem Beschluss vom 3. März 2014 (Az. 1 BvR 1128/13). Der Beschluss des BverfG sorgt für erhebliche Unruhe. Jedoch drohen nicht in jedem Ärztekammerbezirk solche Veröffentlichungen mit entsprechender Prangerwirkung für betroffene Ärzte.

Fall: Hohe Geldbuße und Urteilsveröffentlichung im Ärzteblatt 

Ein niedergelassener Internist hatte die Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Ärztekammer Nordrhein warf ihm vor, er habe gegenüber Privatpatienten Rechnungen erstellt, die nicht in Einklang mit der GOÄ stünden. Den Begriff der „Sitzung“ im Sinne der Gebührenordnung habe er zu seinem Vorteil dahingehend ausgelegt, dass Sitzungen auch an Tagen stattgefunden hätten, an denen die Patienten nicht in der Praxis waren.

Das Berufsgericht für Heilberufe stellte fest, dass er in allen vier zur Verhandlung stehenden Fällen gegen seine Berufspflichten verstoßen habe – und erkannte auf die Entziehung des passiven Berufswahlrechts (für Posten in der Ärztekammer) sowie auf eine Geldbuße in Höhe von 25.000 Euro. Gestützt auf die Vorschrift nach § 60 Abs. 3 des nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetzes (HeilBerG NRW) ordnete das Berufsgericht zudem an, dass das Urteil im Ärzteblatt der Ärztekammer veröffentlicht werden soll. Nach § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW kann „in besonderen Fällen“ auf Veröffentlichung der berufsgerichtlichen Entscheidung erkannt werden.

In der nächsten Instanz reduzierte das Landesberufsgericht für Heilberufe die Geldbuße auf 20.000 Euro, bestätigte aber die weiteren Sanktionen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Arzt gegen die beiden Entscheidungen sowie gegen § 60 HeilBerG NRW.

BVerfG: Veröffentlichung mit Namensnennung verfassungskonform 

Damit scheiterte er jedoch. Die Rechtsgrundlage für die nichtanonymisierte Urteilsveröffentlichung im HeilBerG NRW ist nach Auffassung des BverfG verfassungskonform und verhältnismäßig. Sie betreffe Angehörige der Heilberufe, denen ein besonderes, schützenswertes Vertrauen entgegengebracht werde. Das Berufsrecht könne Fehlverhalten, das dieses Vertrauen erschüttere, mit geeigneten Maßnahmen sanktionieren. Eine nichtanonymisierte Urteilsveröffentlichung finde ihre Rechtfertigung in einem berechtigten Interesse an einer Information der Allgemeinheit – insbesondere der Versichertengemeinschaft und der Kammerangehörigen. Neben dieser generalpräventiven Wirkung diene die Veröffentlichung auch der weiteren Sanktionierung eines beträchtlichen Fehlverhaltens, das auch die Gefahr einer höheren Kostenlast für die Versichertengemeinschaft in sich trage.

Jedenfalls sei eine solche Veröffentlichung dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn es sich um vereinzelte, herausgehobene Fälle handele. Zudem sei die Verhältnismäßigkeit gewahrt, sofern die Veröffentlichung nur in einem berufsrechtlichen Medium und einmalig erfolge.

Die Anwendung der Sanktion bedürfe einer Abwägung im Einzelfall. Eine solche Abwägung hätten die Berufsgerichte korrekt vorgenommen. Im Urteilsfall habe ein „besonderer Fall“ im Sinne des § 60 Abs. 3 HeilBerG vorgelegen. Auch wenn der Arzt zur Auslegung des Begriffs der „Sitzung“ eine andere Auffassung vertreten habe, sei für ihn angesichts der Alltagsbedeutung des Begriffs hinreichend deutlich erkennbar gewesen, dass seine Auffassung mit einem Sanktionsrisiko belegt ist.

Was gilt in anderen Kammerbezirken? 

Die hier behandelte Rechtfrage ist in den Heilberufskammergesetzen der Ärztekammern unterschiedlich geregelt. Andere Heilberufsgesetze enthalten keine Bestimmungen, die dem § 60 Abs. 3 des HeilBerG NRW entsprechen, sodass betroffene Ärzte hier nicht Gefahr laufen, dass gegen sie ergangene berufsgerichtliche Urteile mit Namensnennung veröffentlicht werden. So sehen zum Beispiel die Heilberufskammergesetze im Saarland und in Sachsen-Anhalt in besonderen Fällen zwar ebenfalls eine Veröffentlichung von Berufsgerichtsverfahren vor, dies jedoch nur in anonymisierter Form.

In gut der Hälfte aller Bundesländer ist jedoch eine nichtanonymisierte Veröffentlichung möglich, so in Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen.

Fazit

Die Veröffentlichung von Berufsgerichtsurteilen wegen Abrechnungsbetrugs unter Namensnennung im jeweiligen Ärzteblatt ist für betroffene Ärzte höchst problematisch, kann dies doch zu einer irreversiblen Rufschädigung mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen führen. So hatte auch der betroffene Arzt argumentiert und die gegen ihn getroffenen Sanktionen als unverhältnismäßig erachtet. Damit drang er jedoch nicht durch. Nach Auffassung der Berufsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts war die Verhältnismäßigkeit auch mit Blick auf die Prangerwirkung der Veröffentlichung in seinem Fall gewahrt.

In Anbetracht möglicherweise existenzbedrohender Konsequenzen solcher Veröffentlichungen mit Namensnennung sollten Ärzte bei Abrechnungsstreitigkeiten, die vor Berufsgerichten ausgefochten werden, tunlichst vermeiden, als „besonderer Fall“ eingestuft werden zu können. Die entsprechenden Maßnahmen sind aber stets einzelfallbezogen zu prüfen und durchzuführen.