BFH: Wirtschaftlicher Vorteil einer Vertragsarztzulassung ist Bestandteil des Praxiswerts!

von StB Dr. Rolf Michels und StB Thomas Ketteler-Eising, Köln

Beim Erwerb einer Arztpraxis ist die Vertragsarztzulassung als unselbstständiger wertbildender Faktor untrennbar mit dem ideellen Wert bzw. „Goodwill“ einer Praxis (Patientenstamm, Standort, Umsatz usw.) ver­bunden. Die Zulassung stellt somit keinen weiteren selbstständigen, immateriellen nicht abnutzbaren wirtschaftlichen Vorteil neben dem Praxiswert dar. So hat der Bundesfinanzhof (BFH), das höchste deutsche Gericht in Steuerangelegenheiten, am 9. August 2011 (Az: VIII R 13/08) entschieden und damit einen Schlussstrich unter die jahrelang strittige Rechtsfrage gezogen, ob die Vertragsarztzulassung als eigenständiger – nicht abschreibungsfähiger – wirtschaftlicher Vorteil anzusehen ist. Für bestimmte Grenzfälle kann allerdings nach wie vor keine Entwarnung gegeben werden. 

Die Vorgeschichte

Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hatte im Jahre 2004 in einem Erwerbsfall, bei dem die Erlangung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung eindeutig im Vordergrund stand, entschieden, dass der wirtschaftliche Vorteil aus einer Zulassung einen eigenständigen Vermögens­gegenstand darstellt (Az: 13 K 412/01). Weil die Erteilung der Zulassung zeitlich nicht begrenzt wird und auch wieder im Rahmen der Praxisveräußerung verwertbar sei, könne sich die Zulassung nicht abnutzen. 

Folge war, dass wegen der fehlenden Abnutzbarkeit keine steuerlichen Abschreibungen, sogenannte Absetzungen für Abnutzungen (AfA), zugelassen wurden. Seitdem vertrat die Finanzverwaltung in mehreren Verfügungen die Auffassung, dass der wirtschaftliche Vorteil einer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Regelfall stets ein gesondertes Wirtschaftsgut darstellt. Verlangt wurde, den Gesamtkaufpreis beim Erwerb einer vertragsärztlichen Praxis im Schätzwege aufzuteilen und den Teil, der auf die Zulassung entfällt, als nicht abnutzbar zu behandeln und insoweit die anteiligen Abschreibungen zu versagen. 

Dem war das FG Rheinland-Pfalz in einer Entscheidung aus 2008 (Az: 2 K 2649/07) entgegengetreten. In dem dort verhandelten Fall hatte ein Arzt eine vertragsärztliche Praxis gekauft mit dem Ziel, den Patientenstamm zu übernehmen und die Praxis fortzuführen. Für das materielle Vermögen (Geräte etc.) einerseits und für den ideellen (immateriellen) Praxiswert andererseits bezahlte er einen entsprechenden Kaufpreis. Der Kaufpreis für den ideellen Praxiswert war bemessen an der Ertragskraft (Gewinn/Verlust) der Praxis. Im Rahmen einer Betriebsprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, die Hälfte des Kaufpreises für den ideellen Praxiswert würde auf die Zulassung entfallen und kürzte entsprechend die steuerlichen Abschreibungen um die Hälfte. 

Das FG Rheinland-Pfalz gab dem Arzt recht und erkannte die Abschreibungen in voller Höhe an. Über die hiergegen von der Finanzverwaltung eingelegte Revision hat der BFH jetzt zu Gunsten der Vertragsärzte entschieden. 

Die Urteilsgründe des BFH

Zunächst setzt sich der BFH in seiner Begründung mit der Frage auseinander, in welchen Fällen steuerlich ein gesondert zu erfassendes selbstständiges Wirtschaftsgut vorliegt und wann unselbstständige Teile – das heißt wertbildende Faktoren des allgemeinen Geschäftswerts „Goodwills“ vorliegen. 

Regelfall: Zulassung als nicht selbstständiges Wirtschaftsgut

Wenn sich der Kaufpreis einer Praxis nach dem Verkehrswert richtet – sich also wie im Streitfall an der Ertragskraft orientiert –, lässt sich nach Auffassung der BFH-Richter von dem Praxiswert kein gesondertes Wirtschaftsgut „Vorteil aus der Vertragsarztzulassung“ abspalten. Der die Praxis übergebende Vertragsarzt könne den Vorteil aus der Zulassung grundsätzlich nicht selbstständig verwerten. Er könne nur gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einen Antrag auf Fortführung der bestehenden Praxis durch einen Nachfolger stellen. 

Dieser Antrag löse dann ein neues Zulassungsverfahren aus, wobei die Zulassung des Erwerbers vom Vorliegen persönlicher Eigenschaften abhängt und im Ermessen des Zulassungsausschusses stehe. Eine gesonderte Bewertung des Vorteils aus der Zulassung komme im Übrigen auch aus Gründen der Praktikabilität nicht in Betracht, weil ein sachlich begründbarer Aufteilungs- und Bewertungsmaßstab nicht ersichtlich sei. 

Der BFH gelangte damit zu dem Ergebnis, dass das FG Rheinland-Pfalz zu Recht davon ausgegangen ist, dass bei der Übernahme einer Vertragsarztpraxis im Regelfall neben dem erworbenen Praxiswert kein weiteres selbstständiges immaterielles Wirtschaftsgut in Form des mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils vorhanden ist. 

Ausnahme: Zulassung als selbstständiges Wirtschaftsgut

Nach Auffassung des BFH ist davon der Sonderfall zu unterscheiden, bei dem lediglich die Erlangung der Zulassung und nicht die Fortführung der Praxis im Vordergrund stand. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass allein der wirtschaftliche Vorteil einer Zulassung in Sonderfällen zum Gegenstand eines gesonderten Veräußerungsvorgangs gemacht und damit zu einem selbstständigen Wirtschaftsgut werden kann. Dies kann der Fall sein, wenn ein Arzt an einen ausscheidenden Arzt eine Zahlung im Zusammenhang mit der Erlangung der Vertragsarztzulassung leistet, ohne jedoch dessen Praxis zu übernehmen, weil er den Vertragsarztsitz an einen anderen Ort verlegen will. So war der Sachverhalt in dem vom FG Niedersachsen entschiedenen Fall. 

Auswirkungen des BFH-Urteils für die Praxis

Die Entscheidung des BFH beendet eine große Unsicherheit im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung des „Vorteils aus der Vertragsarzt­zulassung“. Gerade für Radiologen, die ja zu weit über 50 Prozent in einer Gemeinschaftspraxis mit Kollegen zusammenarbeiten, hat die Entscheidung besondere Bedeutung. In der Praxis wird nun in Anlehnung an die Aussagen des BFH im Einzelfall zu prüfen sein, ob sich der Kaufpreis für den Praxiswert an der Ertragskraft orientiert hat und ob die Fortführung der Praxis im Vordergrund stand. Dies dürfte der Regelfall sein. 

Davon werden die Sonderfälle abzugrenzen sein, bei denen die Erlangung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Vordergrund steht. In diesen Sonderfällen wird die Finanzverwaltung voraussichtlich unterstellen, dass sich die Zulassung zu einem selbstständigen immateriellen Wirtschaftsgut konkretisiert hat und entsprechend dem Urteil des FG Niedersachsen keinerlei steuerlichen Abschreibungen zulassen. Ergänzend anzumerken bleibt, dass es sich hierbei nur um eine rein steuerrechtliche Würdigung handeln kann, da zivilrechtlich die öffentlich-rechtliche Zulassung nicht Gegenstand eines Kaufver­trages sein kann und entsprechende Verträge nichtig sind. 

Praxishinweis: Die Finanzverwaltung wird vermutlich insbesondere die Fälle aufgreifen, in denen nach Praxisübernahme eine zeitnahe Verlegung des Vertragsarztsitzes an einen anderen Ort erfolgt. Dies allein rechtfertigt aber noch nicht den Schluss, dass die Fortführung der Praxis nicht im Vordergrund gestanden hat – man beachte die relativierende Kann-Formulierung des BFH. Die zeitnahe Verlegung des Vertragsarztsitzes mag als Indiz zu sehen sein. Hier wird es auf die Umstände des Einzelfalls und ihre Dokumentation ankommen. In Grenzfällen dürften dann vor allem folgende Punkte geprüft werden: 

  • Wie wurde der Kaufpreis ermittelt und hat er sich an der Ertragskraft der Praxis orientiert?
  • In welchem Umfang wurde der Patientenstamm – auch und gerade in den Fällen der Sitzverlegung – vom Erwerber fortgeführt?
  • In welchem Umfang/Rahmen hat der Praxisabgeber an der Überleitung der Patienten mitgewirkt?
  • Wurden die Arbeitnehmer und das Anlagevermögen übernommen?